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Martin Wagenschein

Das Fallgesetz im Brunnenstrahl

(1953)



At the new edition of 1975 the above picture of 1953 has been modernized:

1. Am Anfang mögen etwa solche Fragen stehen: Man möchte wissen, wie der geworfene Stein fliegt. Und wie die geschossene Kugel? Wie lang sie sich ihres Abschusses erinnert, der Richtung, die ihr das Rohr gewiesen hat?
Wann sie langsam genug geworden ist, um sich wieder zu besinnen, dass sie fallen soll? Ist es so, wie Santbach (1561) meinte, dass "ein Kanonenprojektil bis zur Erschöpfung seiner Geschwindigkeit geradlinig fortgeht und dann vertikal herabfällt"? [Mach: Mechanik, S. 143]

2. Es bedarf der Entdeckung, dass der Wasserstrahl, wie er aus dem Brunnen springt oder aus dem Gartenschlauch, uns darauf antworten kann: Man muss den Zufluss hin und wieder absperren, unterbrechen, das Wasser in Portionen zerhacken, Wasser-Stücke, Wasser-Stangen, Wasser-Geschosse, um zu sehen: das ist geworfenes Wasser! Denn man sieht: wenn so ein Wasserstück aus dem Zusammenhang herausgenommen wird, gelöst vom Vorher-Schießenden und vom Nachdrängenden, so ändert das nichts an der Gestalt des eigentümlich gebogenen Strahls: Wir haben also das Recht, den zusammenhängenden Strahl in Gedanken in Tropfen zu zerlegen. Wie diese Wasser-Tropfen, diese Wasser-Brocken, durch die Luft geworfen, fliegen, auf welcher Bahn sie das tun, das zeichnet uns dieser Strahl in die Luft.

3. Da ist nun sofort etwas sehr Wichtiges zu sehen. Wir fragten: "Wann erinnert sich das Geworfene, dass es zu fallen habe?" - Es erinnert sich sofort, es hat es überhaupt nicht vergessen! Denn zwar verlässt es die Mündung in der Richtung des Rohres, des Wurfes also, aber sofort beginnt die "Anfälligkeit" gegen die Schwere. Die Krümmung des Strahles setzt ohne Zögern ein, ohne Knick, und nicht ein Stückchen ist die Bahn noch gerade.
Nun möchte man freilich sagen: wenn aber das Wasser "ganz schnell" fließt - entsprechend: wenn die Kanonenkugel ganz schnell fliegt - dann ist die Bahn doch "ganz gerade, wenigstens anfangs". Hier hilft es nun, den Hahn ganz allmählich aufzudrehen, das Wasser erst ganz sacht, dann immer geschwinder fließen zu machen. Dann wird die Krümmung immer schwächer, und wir müssen immer weiter von der Mündung weggehen, ehe wir das Absinken merken können. Merken! Sollen wir aber wirklich glauben, dass es anfangs gar nicht da ist? Wäre es nicht richtiger zu sagen, es sei "unmerklich"? Denn nirgendwo zeigt der Strahl einen Knick. Und niemals, während wir den Hahn langsam aufdrehen, zeigt die Kurve einen Wechsel ihrer geschmeidigen Form; sie dehnt sich, aber niemals wird aus dem Gebogenen etwas Geknicktes. Was wir am schnell fließenden Wasser als scheinbar gerades Laufstück noch 1 Meter von der Mündung vor uns sehen, das ist nichts anderes als, wie durchs Vergrößerungsglas gesehen, die ersten paar Zentimeter des langsamer fließenden und also "eher" fallenden Wassers. Es bewährt sich hier ein Verfahren, das ein Grundsatz erfolgreichen Experimentierens ist: sieh nie das einzelne, das du studierst, isoliert an! Wenn du etwas ändern, variieren kannst, so tue es bis zum Äußersten (ganz schnell, ganz langsam fließendes Wasser) und du wirst den Einzelfall zwischen seinen Extremen erst recht verstehen.
In extremen Fällen äußern sich nämlich die beiden Einflüsse nackt, die im mittleren Verhalten im Kampfe liegen: das Schießen und das Fallen.

4. Wahrscheinlich ist es dieser Kampf, der den Knaben nicht müde werden lässt, den Steinen, die er wirft, mit dem Blick zu folgen: wie sie steigen, immer langsamer, immer flacher, wie die Schwere sich immer mehr durchsetzt; den Strahl dann aufzurichten, immer steiler; und immer gefesselt zu sein von der Anmut seiner Wurflinie, in der das Werfen mit dem Fallen streitet. - Der künstlerisch Empfindende nimmt es in unbewusster Freude wahr, wie er auch in der Musik das Gesetzliche ohne Nachdenken aufnimmt. Der Denkende fühlt sich vor diesem Wasserstrahl angeregt, der Anmut nachzugehen und zu fragen, worauf sie beruhe. Denn es ist etwas Maßvolles in dieser Linie, das uns zum Messen ermutigt.

5. Fragen wir nun, wo und in welcher Richtung wir unsere Maßstäbe hinein legen müssen in das Feld dieser miteinander ringenden Einflüsse (des Fallens und des Geschleudertseins), so ist die Antwort damit schon fast gegeben: in die Grundrichtungen dieser beiden. So entsteht das folgende Mess-Gerüst (Koordinaten-System). Es ist im allgemeinen schiefwinklig.
Beginnen wir aber - ein bewährter Grundsatz - erst einmal mit dem einfachsten besonderen Fall des waagerechten Ausflusses, um später, bereichert mit unserer Ausbeute, zu dem allgemeinen zurückzukehren:
In dieses Feld bauen wir nun, wie es beim Messen natürlich ist, ein gleichmaschiges Netzwerk hinein. Das heißt: wir messen in gleichen Schritten in Richtung des Werfens, und ebenfalls gleichen Schritten in Richtung des Fallens. Aber es ist nicht unbedingt nötig, dass die Rechts-Schritte ebenso lang sind wie die Schritte nach unten.

6. Es ist nicht bequem, in der Luft und am spritzenden Strahl mit dem Lineal zu hantieren. Lässt man ihn recht nahe an einem senkrecht stehenden glatten Brett, einer Wandtafel etwa, vorübergleiten, so ist es leicht, seine Bahn mit der Kreide festzuhalten und dann im Trocknen auszumessen. Streifend kann der Strahl auch selber seine nasse Spur auf die Tafel zeichnen. (Wie man beim Heranschieben der Tafel bemerkt, ist die Bremsung des Wassers an der Tafel unbedeutend.)

7. Wenn wir nun in einem solchen Netzwerk messen, finden wir bald das seltsame Gesetz, das die Form des Strahles bestimmt: Die Sink-Tiefen (d. h.: die Fallstrecken)- in Richtung des anfänglichen Strömens in gleichen Schritten gemessen, wachsen wie die mit sich selbst vervielfachten ganzen Zahlen (wie ihre Quadrate also).
Dabei ist es ganz gleichgültig, in welchen Einheiten wir messen. Das Bild 14 zeigt denselben Strahl wie das vorige, nur in anderen Einheiten vermessen.

8. Von den zwei Einflüssen, deren Wettstreit im Strahle beschlossen liegt, dem Fallen und dem waagerechten Antrieb, haben wir nur den zweiten "in der Hand". Ihn wollen wir nun ändern, also das Wasser schneller oder langsamer fließen machen, und wollen sehen, wie das quadratische Gesetz dabei besteht?

Es hält vollkommen stand!

9. Das gibt uns den Mut, nun auch den waagerechten Ausfluss aufzugeben und zu Bild 11 zurückzukehren, also nun nicht nur die Geschwindigkeit sondern auch die Richtung des Fließens zu ändern. Auch davon wird das Gesetz nicht erschüttert! Wir haben etwas Unveränderliches entdeckt, wirklich ein "Gesetz".

10. Diese Unveränderlichkeit des quadratischen Gesetzes ist merkwürdig und vielsagend. Sie will sagen, dass das Gesetz von den Besonderheiten des Strömens (Geschwindigkeit und Richtung) nicht berührt wird, also wohl auch gar nichts mit ihm zu tun hat. Sie gibt den deutlichen Hinweis, dass dies Gesetz ganz und gar der anderen Macht, dem Fallen angehört. Dass wir hier vielleicht etwas über das Fall-Gesetz erfahren können!
Das ist bemerkenswert, insofern ja das Fallen hier, im Wasserstrahl, beim Werfen also, nicht "frei" ist, sondern gestört; gestört durch das gleichzeitige Werfen. Sollten wir gerade aus dem gestörten Fallen etwas über das "Fallen an sich" erfahren können? Das wäre gut; denn der Fall an sich, der "freie Fall" verwehrt uns den Einblick, weil er für unsere Augen zu schnell vor sich geht. Was man sieht, ist ja allenfalls, dass es "immer schneller" geht. Und so ganz unverständlich ist es ja auch wieder nicht, dass sich ein Vorgang gerade dann zu erkennen gibt, wenn er gezwungen wird, sich mit einem anderen "auseinanderzusetzen" (Auch unter den Menschen ist es so.) Wenn nämlich dieser zweite Vorgang quer zum ersten vor sich geht, so ist jener erste gezwungen, sich breit zu entfalten, sich also buchstäblich mit ihm "auseinander-zu-setzen". Man sehe das Zittern einer Saite, einer Stimmgabel an: der Schwingungsraum ist so winzig und von so schnellen Schwingungen erfüllt, dass wir so gut wie nichts erkennen. Fahren wir aber mit dem schwingenden Stimmgabelzinken an einer rußigen Platte gleichmäßig entlang, so zeichnet sie in einer feinen Wellenlinie eine Aussage über sich selber hin, die schon ein wenig mehr enthält als der Anblick des ungestörten Schwingens verrät. So ist es auch hier: indem das fallende Wasser im Wasserstrahl zugleich seitlich geworfen wird, "entwirft" es uns ein Bild seines Fallens. Noch mehr: das Fallen "misst sich" mit dem Strömen, es misst sich an ihm. Eben dies haben wir verfolgt. So fand sich das quadratische Gesetz als eine Regel, die dem Fallen selber innezuwohnen scheint. Um aber ganz sicherzugehen, wäre es doch wünschenswert, noch einmal besonders und ausdrücklich nachzuprüfen, ob denn das Fallen von einem gleichzeitigen Schießen unbeeinflusst bleibt?

11. Um das zu erreichen, müsste man einmal das "freie Fallen" vergleichen mit dem "Fallen im Wurf". Man müsste also etwa zwei Steine miteinander vergleichen, von denen der eine frei fällt, der andere aber geworfen wird. Sie müssten ihre Fahrt im gleichen Augenblick beginnen. Zur Vereinfachung würden wir zuerst wieder waagrecht werfen.

Das führt zu einer bekannten, klug erdachten Versuchs-Anordnung, die man sich leicht selber machen kann:
Die beiden Brettchen A und B sind durch den lose durch beide hindurchgeführten Stift 5 leicht drehbar miteinander verbunden.
Einige Meter über dem Boden wird A befestigt, so dass seine Ebene, und damit auch die von B,' waagerecht liegt. Ein heftiger schneller Schlag, an der bezeichneten Stelle mit der Hand oder einer Latte gegen B geführt, nimmt die locker auf B liegende Kugel K1 wegen ihrer Trägheit und wegen der geringen Reibung nicht merklich mit, sondern entzieht ihr nur den Boden, so dass sie (A ist unter ihr ausgespart) senkrecht frei abwärts fällt, während gleichzeitig die am Rand von A liegende zweite Kugel K2 durch die (wenn nötig, erhöhte) Kante von B waagerecht fortgeschleudert wird. (K1 liegt etwas höher als K2, man kann das durch eine leichte Unterlage ausgleichen, die man K2 unterschiebt, etwa eine Streichholzschachtel).
Das Ergebnis überrascht zuerst wohl jeden. Man möchte nicht glauben, dass die geworfene Kugel ebenso schnell den Boden erreichen kann wie die ledig fallende, denn, so denkt man, sie hat doch einen viel längeren Weg. Den hat sie; dafür verfügt sie aber auch über eine sehr viel größere Geschwindigkeit, die ihr durch den Anfangs-Schlag von uns mitgegeben worden ist. Jedenfalls entscheidet die Natur: die beiden Kugeln treffen hörbar im gleichen Augenblick auf den Boden auf. Die beiden Bewegungen verwirren also einander nicht, sie durchsetzen sich, als wüssten sie nichts voneinander. Das Fallen wird durch das Werfen tatsächlich nicht gestört!

12. Auch das Werfen durch das Fallen nicht?
Um dies zu erfahren, müssten wir das Fallen abstellen. Das können wir aber nicht.
Wir können es aber "aufheben", indem wir etwas unterhalten, was das Fallen verhindert, die Wurfbewegung aber nicht, oder nicht merklich, aufhält.
So entsteht, in voller Entsprechung zur vorigen, die folgende, ebenfalls sehr einfache Versuchs-Anordnung: an eine waagerechte Tischplatte baut man seitlich in gleicher Höhe und Ebene ein glattes, möglichst poliertes Brett so an, wie das Bild zeigt. Auf dieser Bahn soll die eine Kugel, K1 der Schwere enthoben und möglichst reibungslos bis zur Wand rollen, während die zweite, K2 durch die Latte zusammen mit K1 und mit derselben Geschwindigkeit in Fahrt gebracht, unterwegs abstürzt und also geworfen wird.
Beide Kugeln schlagen gleichzeitig gegen die Wand.

Was bedeutet das? Es sagt uns, dass K2, trotzdem sie fällt, in Richtung des Schießens verfolgt und gemessen, "ruhig weiter" fliegt, als ob nichts geschehen, als ob sie nicht abgestürzt wäre; ganz so wie K1, also ganz gleichmäßig! Dies gilt immer, wohin man auch die Wand stellen möge, ob also die beiden Kugeln bald oder erst später auf ihren Bahnen von der Wand aufgehalten werden. So entsteht in uns, wie eine Folge von Momentaufnahmen, diese Vorstellung (man kann sich mehrere widerstandslose Papierwände denken, die von den Kugeln durchschlagen werden. Sie sind durch die senkrechten Strecken in willkürlichen Abständen voneinander angedeutet.):

Um anzudeuten, dass K1 gleichmäßig rollt (und damit auch K2 in waagerechter Richtung gemessen!) machen wir die Momentaufnahmen in gleichen Zeitabschnitten:


13. Kehren wir nun mit dieser Kenntnis zum Brunnen zurück, so treten Wassertropfen an Stelle der Kugeln, und die waagerechte Gerade wird für uns jetzt der Weg, den das Wasser, jeder Wassertropfen, nehmen würde, wenn er seine Schwere verloren hätte. Auf dieser Bahn würde der Strahl gleichförmig geradeaus durch die Luft fließen wie auf einem unsichtbaren Tisch oder wie in einer Rinne. Nach 1, 2, 3, gleichen Zeitspannen würde irgend einer seiner Tropfen die Punkte 1, 2, 3 passieren.
Auf diese Weise ist für uns diese waagerechte Achse etwas wie eine Uhr geworden. Sie zählt uns die Zeit; das Lineal, das wir anlegen, zählt sie uns: 1, 2, 3 gleiche Zeitspannen sind vergangen. Es sind recht kurze Zeiten, mit denen wir da umgehen, vielleicht Zehntelsekunden; und wir brauchen nicht einmal zu wissen, wie lang unsere Zeitspanne dauert.
Nun dürfen wir nach allem, was wir wissen, sagen: Nach 2, 3, 4,... Zeitspannen ist der im Strahle fallende - von uns in Gedanken herausgegriffene - Tropfen 4-mal, 9-mal, 16-mal usw. tiefer gefallen als in der ersten Zeitspanne! (Bild 21). Und da nach Absatz 11 der frei fallende Tropfen genau so fällt wie der im Strahl geworfene, so gilt dies Gesetz auch für den Tropfen, der frei, also senkrecht, nach unten fällt. Zeichnen wir auch diesen Tropfen in das letzte Bild noch ein, so hat der im Strahl geworfene Tropfen I nun zwei Begleiter bekommen: dem einen (II) fehlt die Schwere, dem anderen (III) fehlt der seitliche Wurf, er fällt frei. Der eine (II) zählt die Zeit, der dritte (III) ist die eigentliche Hauptperson, ihn meinen wir. Auskunft aber gibt uns der mittlere (I), im Strahl. Er gibt sie durch die Form seines Strahls:
Aus dem Formgesetz, ausgesprochen in Absatz 7, ist nun das Zeitgesetz für den freien Tropfen III geworden:
14. Schauen wir jetzt den Brunnenstrahl noch einmal an, wie er ruhig und glitzernd seinen Weg nimmt, so sehen wir seine Schönheit nach wie vor. Nur sehen wir noch ein feines Gespinst außerdem: feine Linien, Zugstraßen unseres Denkens, umgeben und durchdringen ihn und das Feld der um ihn und in ihm lautlos streitenden, lautlos sich einigenden Mächte: des gleichförmig durch den Raum Geschleudertseins und des quadratisch beschleunigten Sturzes. Es ist dadurch der Anmut dieses Strahles nichts genommen. Sie ist uns nur noch einmal gegeben: wir schauen sie nicht nur, wir denken sie auch.

15. So schön es ist, das Fallgesetz aus dem Wasserstrahl abzulesen, man möchte es doch gern auch noch einmal unmittelbar an einem frei fallenden Körper prüfen. Da gibt es nun, hat man erst einmal das quadratische Gesetz, den einfachen Versuch mit den sogenannten "Fallschnüren". Jede Arbeitsgruppe oder Klasse, jeder einzelne, kann sie sich selbst machen. Die ganze Schnur wird so lang gewählt, dass sie, aus dem höchsten erreichbaren Fenster gehalten, gerade bis kurz vor den Boden reicht. Dann werden Steine (oder Bleistücke oder Schraubenmuttern), von unten an gerechnet, in quadratischen Abständen eingeknotet, wie das Bild 22 zeigt. Losgelassen, stürzt die ganze Schnur, und die Steine knallen unten auf ein untergelegtes Blech: sie zählen uns dann gleiche Zeiten vor!

Der Versuch gewinnt an Überzeugungskraft, wenn man ihn - zum Vergleich - mit einer zweiten Schnur abgewandelt wiederholt, die nun die Steine nicht in quadratischen, sondern in gleichen Abständen trägt: sie prasseln in immer kürzeren Zeitabständen auf das Blech.

16. Verlangen wir größere Genauigkeit, so geraten wir in Experimente und Apparaturen mit zunehmendem technischen Aufwand: fallende Stimmgabeln, die quadratisch gedehnte Wellenlinien aufzeichnen, frei fallende Metallkugeln, die elektromagnetisch Stoppuhren auslösen, und dergleichen. Begänne man mit ihnen, so würde dieser Aufwand das Natur-Erlebnis des Fallens ersticken; folgen sie aber als späte, sorgsam angegliederte Stufen, so verlieren sie diese schädigende Wirkung ganz. Der Lernende, der am Brunnenstrahl anfing zu schauen und zu denken, behält ihn nun immer im Sinn. Er weiß: Die "Apparatur" gilt nur der Messgenauigkeit. Die Störungen, die ihr räumliches Überwiegen, ihr unorganischer Anblick im Gesichtsfeld des Beschauers anrichten, täuschen ihn nicht darüber, dass diese unscheinbare, leicht zu übersehende fallende Stahlkugel in ihrem Rang alles andere überstrahlt, gleichsam die Hauptperson ist, die, von allem Aufwand unberührt, in ihrer Naturhaftigkeit den technisch umstellten Raum so rein durchfällt wie ein Kind durch die Straßen einer Großstadt geht.

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Zusätze:

Im Vorstehenden ist nur eine Strähne aus dem Geflecht der Tatsachen herausgegriffen, die sich im Geschehen des Falles durchsetzen. Es folgen deshalb einige kurze ergänzende Hinweise.

1. Um das Fall-Gesetz vollständig in Besitz zu bekommen, bedarf es noch irgend einer einzelnen Messung; am einfachsten der Falltiefe, die nach einer Sekunde erreicht ist. Sie ergibt sich - wie man leicht nachprüfen kann - zu rund 5 m. Genauere Messungen ergeben 4,905 m. Dieser eine Wert, zusammen mit dem quadratischen Gesetz gibt das vollständige Weg-Zeit-Gesetz.
In der Formel s ~ 5 tē ist es verdichtet.

2. Das Trägheitsgesetz in seiner strengen Form, in der es sagt, ein kräftefreier Körper bewege sich unaufhörlich auf gerader Bahn gleichförmig weiter, wurde im Vorigen nicht ausdrücklich gebraucht. Wir konnten uns begnügen mit der Beobachtung, dass im Bild 18 die rollende Kugel K1 nachdem sie von der schiebenden Latte losgelassen ist, ihre Bewegung ohne merkliches Zögern fortsetzt, so dass sie - (in dem später ausgesprochenen Sinn) eine Uhr ersetzen darf, die für unsere nicht übertriebenen anfänglichen Ansprüche genau genug geht. Selbstverständlich wird man zu einer letzten Klärung des Fallgesetzes und auch der Wurflinie das Trägheits-Gesetz brauchen.

3. Das in den Abschnitten 11 und 12 gefundene "Unabhängigkeits-Prinzip" ist wichtig genug, um nicht nur im Wurf, sondern auch bei anderen Gelegenheiten und damit in seiner Allgemeinheit erkannt zu werden. Der Schwimmer, der den Fluss überquert, und der Mann, der auf dem treibenden Floß quer zum Strom marschiert, sind die bekannten einfachsten Beispiele. Eindrucksvoll ist das Pendel. In der Ebene schwingend braucht es seine Zeit, sagen wir 2 Sekunden, um an den Ausgangspunkt (der höchsten Erhebung) zurückzukehren. Gibt man ihm hier einen richtig abgewogenen Querschlag, so macht es statt dessen ein Rundlauf ("Konisches Pendel"), in dem sich zwei zueinander senkrecht gerichtete Schwingungen miteinander abfinden. Dieser Rundlauf dauert ebenfalls zwei Sekunden! Trotzdem also der Pendelkörper nun eine zweite Bewegungsaufgabe mit dazu übernommen hat, bleibt er der ersten insofern treu, als er keine Zeit verliert und unbeirrt nach wieder genau zwei Sekunden im Ausgangsort einläuft. Dass sich Wasserwellen durchkreuzen, indem sie einander ohne gegenseitige Störung überlagern, das Vor-Bild jeder Interferenz, ist ebenfalls ein Ausdruck des Unabhängigkeits-Prinzips. Seine präzise Fassung: Wenn ein Körper zwei Bewegungsantrieben (man darf nicht "Kräfte" sagen, denn Kraft ist ein Beschleunigungsfaktor, nicht Ursache von Bewegung schlechthin) zugleich ausgesetzt ist, so findet er sich nach Ablauf einer gewissen Zeit an eben dem Ort, den er erreicht hätte, wenn er die beiden Bewegungen, soweit sie in dieser Zeit einzeln abgelaufen wären, nacheinander gemacht hätte. Der "Satz vom Parallelogramm der Wege" sagt nichts anderes.

4. Es darf natürlich in der Schule nicht fehlen, dass alle Körper, ob leicht oder schwer, gleich schnell fallen wollen, soweit es an ihnen ist; dass sie es im leeren Raum also auch wirklich tun. Diese, für jeden unbefangenen Menschen zunächst ganz unglaubhafte Tatsache, kann ganz überzeugend nur durch den Vacuum-Versuch eingeprägt werden. Ein jeder sollte ihn gesehen haben. Das wird heute nicht möglich sein. Einen gewissen Ersatz bietet ein Versuch mit einer weiten, durchsichtigen, oben offenen Flasche (Rundkolben), in deren Rundung ein leichtes, auffallend gefärbtes Stückchen Papier an einem Faden aufgehängt ist: Fällt die Flasche (einige Meter tief, auf ein Sprungtuch, vor geeignetem Hintergrund, am besten im Freien, um die Zuschauer gehörigen Abstand nehmen zu lassen), so bleibt das Papier nicht zurück; was es ja könnte, wenn es wollte. Ein Zeichen, dass man ihm nur den Luftwiderstand, den Fahrtwind, abzuhalten braucht, um "seine wahren Absichten" erkennen zu lassen.

5. Keinesfalls darf sich aber der Unterricht auf den Fall im leeren Raum beschränken. Er wäre dann unnötig wirklichkeitsfremd. Man denke nicht, das Fallgesetz im lufterfüllten Raum sei zu kompliziert. Das ist es, aber wir brauchen es nicht. Wir müssen folgendes klären, und das gelingt mit einfachsten Mitteln:

a) Warum fällt ein Papierschnitzel langsamer als ein Stein? Das zusammengeknäuelte Papier fällt schneller als das gleich große ausgebreitete. Einfluss der Oberfläche. Ein Hinweis auf den Luftwiderstand.

Das genügt aber nicht:

b) Warum fällt eine Bleikugel schneller als eine gleich große Celluloidkugel (Tischtennisball)? Die Fläche, also der für den Luftwiderstand maßgebende Faktor, ist doch dieselbe! - Man sage nicht: weil die Bleikugel "schwerer" ist! Denn wenn das der wahre Grund wäre, so müsste sie auch im leeren Raum voreilen und sogar erst recht. - Nun hilft nichts als eine klare Begriffs-Spaltung zwischen "Gewicht" und "Trägheit" (die hier nicht ausführlich dargestellt werden soll). Die Celluloid-Kugel bleibt, in Luft fallend, deshalb gegen die Bleikugel zurück, weil sie von ihrem "Gegenwind", den sie sich selbst im Fallen erzeugt, wegen ihrer geringeren Trägheit ("Masse") stärker zurückgetrieben wird. Es ist klärend, sich zum Vergleich folgendes vorzustellen:

1. Man halte beide Kugeln in den Sturm und lasse los,
2. man werfe beide Kugeln mit derselben Hand, also mit gleicher Anfangsgeschwindigkeit waagerecht in die Luft.

c) "Wie" fällt irgend ein Körper in Luft? Das heißt: nach welchem Gesetz? Welches andere Gesetz tritt an die Stelle des quadratischen? - Vergleichende Versuche an Schrotkugeln die in Öl fallen; Erfahrungen der Flieger und Fallschirmspringer. - Anfangs fällt der Körper auch hier in der Luft "schneller und schneller", wenn auch offenbar nicht mehr quadratisch beschleunigt. Damit züchtet sich das abwärts ziehende Gewicht einen Gegner, den Luftwiderstand. Auch der wird stärker und stärker. Bis schließlich der Augenblick gekommen ist - er ist bei Regentropfen bald, bei einem Felsblock oder einem abstürzenden menschlichen Körper spät erreicht -, in dem dieser zunehmende Gegner dem gleichbleibenden Gewicht "gewachsen" ist, genau so stark nach oben drückt wie dieses Gewicht nach unten zieht. Von da an ist der stürzende Körper "kräftefrei" und - hier braucht man das Trägheitsgesetz oder: hier haben wir eine Stütze dafür bewegt sich also "gleichförmig". - Nun ist auch einzusehen, warum Staub oder die Wassertröpfchen der Wolken so sehr bald, schon nach einer winzigen Fallstrecke so weit sind, dass sie gleichförmig fallen müssen, warum sie also so außerordentlich langsam weiterfallen, dass wir meinen, die Wolken fielen gar nicht.

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