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Rolf Gschwend
Laudatio für Hansueli Küng
Liestal, 22. Mai 2002
Lieber Hansueli,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Meine Damen und Herren,
"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht."
Zugegeben, dieser Anfang ist nicht besonders originell, schliesslich wird dieser Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg seit mehr als 200 Jahren gebraucht, wenn über Chemie
oder über Chemikerinnen und Chemiker gesprochen wird. Ich stelle mir vor, dass dies in der Nordwestschweiz oft vorkommt, schliesslich dominiert hier die chemische Industrie.
Heute geht es um einen Chemiker, oder genauer um einen Chemielehrer, es geht um Hansueli Küng, es geht um sein Lehrstück 'Chemisches Gleichgewicht' und vor allem geht es um die
Übergabe des Wagenscheinpreises.
"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht."
Wenn wir Hansueli Küngs Adresse im Telefonbuch suchen, dann finden wir die üblichen Angaben und die Berufsbezeichnung Gymnasiallehrer. Diese unbedeutende Tatsache ist insofern interessant, als es unter Gymnasiallehrerinnen und -lehrern nicht selbstverständlich ist, den Lehrerberuf zu veröffentlichen. Viele verzichten auf die Berufsbezeichnung zugunsten des Titels oder des Fachs, und im Telefonbuch finden wir beispielsweise Mathematiker, Physiker, Romanistinnen und Chemiker. Hansueli bezeichnet sich Gymnasiallehrer, er versteht somit mehr als nur Chemie und der heutige Tag weist darauf hin, dass er die Chemie recht gut versteht.
"Wer nur Chemie versteht, versteht auch die nicht recht."
Neben Schule und Unterricht wendet Hansueli Küng viel Zeit auf für die Kultur. Er interessiert sich für die Malerei, davon zeugt das Bild auf der Einladung zu unserer Veranstaltung. Er besucht oft Schauspiele und Konzerte, und in der Literatur ist er ebenfalls bewandert. Kurzum, wir ehren einen vielseitigen Menschen, eine weitere Voraussetzung für das Verständnis der Chemie.
Vor mehr als einem Dutzend Jahren habe ich Hansueli kennen gelernt. Der Anlass war - wie könnte es anders sein - ein Fortbildungsvorhaben. Die Schulleitung des Wirtschaftsgymnasiums Bern-Neufeld wollte im Kollegium das Verständnis für interdisziplinären Unterricht stärken und dafür ein geeignetes Unterrichtsgefäss schaffen. Beides konnte schliesslich realisiert werden. Das war möglich, weil sich die Schulleitung klar dafür ausgesprochen hatte. Das war möglich, weil es im Wirtschaftsgymnasium Bern-Neufeld - wie in vielen anderen Schulen auch - eine Gruppe von Lehrpersonen gibt, denen Innovationen nicht grundsätzlich zuwider sind. Leute, die mithelfen Neuerungen einzuführen. Leute, die im Gymnasium das Schliessfach-System überwinden wollen.
Bald einmal wird mir klar, Hansueli gehört zu dieser Gruppe. Er engagiert sich für die Schule und für den Unterricht. Er springt ein, wenn Not am Mann ist, und setzt sich beispielsweise ein für die schulinterne oder kollegiumsinterne Fortbildung. Dort erfährt er, wie sich einige Kolleginnen und Kollegen schlecht vorstellen können, sich auch ausserhalb ihres Faches weiterzubilden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie stellen fest, ich versuche Ihnen darzustellen, was Sie alle längst wissen, Hansueli Küng ist ein guter Lehrer. Ein Lehrer, der sich intensiv um seinen Unterricht, um die Schülerinnen und Schüler und um die Organisation Schule kümmert. In den vergangenen acht Jahren hat er sich zudem gründlich mit der Lehrkunstdidaktik beschäftigt, dabei ist sein ausgezeichnetes Lehrstück entstanden. Das ist erfreulich und eine grosse Leistung. Dass er sich während dieser Zeit nicht nur auf sein Fach konzentriert und sich weiterhin mit den Anliegen der Schule und der Weiterbildung beschäftigt hat, erheischt Bewunderung.
Im vergangenen Sommer hat mich Peter Stettler angefragt, ob ich die Laudatio für Hansueli Küng halten könne. Wie Sie sehen, habe ich zugesagt. Das war für mich nicht ganz einfach, und zwar aus zwei Gründen:
1. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ich eine Anfrage von der Schweizerischen Wagenscheingesellschaft und vom Weltbund für Erneuerung der Erziehung erhalte. Die Schweizerische Wagenscheingesellschaft schien mir bereits erlaucht genug. Der Name Weltbund für Erneuerung der Erziehung hat bei mir den bekannten Reflex des Bürgers eines Kleinstaates ausgelöst: Eine Mischung zwischen Ablehnung und Stolz. Was haben wir in einem Weltbund zu suchen? habe ich mich gefragt. Seitdem wir Mitglied der UNO sind, hat sich dieser Reflex glücklicherweise etwas beruhigt. Aber ein Weltbund ist schon eine grosse, vielleicht eine zu grosse Sache. Wenn aber ein Weltbund wahrnimmt, was wir im Kanton Bern in der Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer tun, dann ist das sehr erfreulich.
2. Laudatio heisst Lobrede und Würdigung. Loben und Würdigen will gelernt sein. So lehrt uns die Theorie der Organisationsentwicklung, dass Veränderungen erfolgreicher realisiert werden, wenn auf vorhandenen Stärken aufgebaut wird. Damit diese herausgefunden werden können, befragt man die Betroffenen, beispielsweise ein Kollegium oder eine Gruppe, nach einem bestimmten Raster. Der Moderator, die Moderatorin versucht herauszufinden, welche Stärken, Chancen, Schwächen und bedrohliche Mängel vorhanden sind. Die bedrohlichen Mängel rührt man wenn möglich nicht an, an den Schwächen arbeiten ist mühsam und selten Erfolg versprechend, Stärken und Chancen hingegen öffnen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Vielfach ist es bereits hilfreich, wenn eine Gruppe erstmals ihre Stärken und Chancen zu Gesicht bekommt, erstmals schwarz auf weiss lesen kann, welche positiven Kräfte vorhanden sind. Kurzum, wer mit Menschen zusammenarbeitet, tut gut daran, die Stärken hervorzuheben. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Deshalb: Loben und Würdigen will gelernt sein.
Ich habe mir überlegt, wie lange Hansueli Küng Lehrer ist. Ich weiss, dass er vor recht langer Zeit im Deutschen Gymnasium in Biel begonnen hat, danach ans Wirtschaftsgymnasium Bern-Neufeld gewechselt und die Entwicklung dieser Schule mitgeprägt hat.
In diesen Jahren ist viel passiert:
So wurde der Vietnamkrieg beendet und Mao Tse-tung ging ins Grab und Elvis Presley ebenso. Johannes Paul II. wird Papst und Ajatollah Khomeini herrscht im Iran, und Leonid Breschnew stirbt. Boris Becker gewinnt erstmals in Wimbledon, Michail Gorbatschow wird Parteichef KPdSU und beginnt mit "Glasnost" und "Perestroika", die Sowjetunion radikal zu reformieren. Vreni Schneider gewinnt insgesamt drei Goldmedaillen, in Berlin fällt die Mauer und mit ihr die DDR. Die Sowjetunion zerfällt in selbständige Einzelstaaten, und Nelson Mandela wird in Südafrika nach 27 Jahren Haft entlassen. Das vom Irak besetzte Kuwait wird zurückerobert, Bill Clinton wird neuer Präsident der USA und in Frankreich tritt Jacques Chirac die Nachfolge François Mitterands an . Die Schweizer Banken geraten unter internationale Kritik, und Frankreich führt die 35-Stunden-Woche ein. Boris Jelzin erklärt seinen Rücktritt und übergibt die Amtsgeschäfte an Wladimir Putin. Die Serben stürzen ihren Diktator Milosevic, und George W. Bush wird neuer Präsident der USA.
Und Hansueli Küng und mit ihm zahlreiche Kolleginnen und Kollegen bereiten ihren Unterricht vor, erfinden Prüfungen, lassen Schülerinnen und Schüler Tests und Klassenarbeiten schreiben, besuchen mehr oder minder spannende Lehrerkonferenzen, korrigieren Proben, räsonieren über Anordnungen der Obrigkeit und behalten dabei ihren Humor. Denn sie wissen, was unlängst eine Untersuchung bei Schülerinnen und Schülern zutage gebracht hat: Humor ist aus der Sicht der jungen Menschen eine der wichtigsten wenn nicht die wichtigste Eigenschaft der Lehrerinnen und Lehrer. Humorvoll bleiben und den Alltag heiter und gelassen meistern, sind hohe Anforderungen, denen viele Lehrpersonen nur mit Mühe gerecht werden können. Dass die Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung dazu einen unschätzbaren Beitrag leisten kann, haben wir auch mit der Lehrkunstwerkstatt bewiesen. Hansueli Küng war der erste, der das gemerkt hat.
Unmittelbar nach der Präsentation der Lehrkunstwerkstatt am Mittwoch, 16. Februar 1994, kam er zu mir und sagte: "Wenn das weitergeht, dann bin ich dabei". Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn Hans Christoph Berg und die Lehrkunstdidaktik nach Bern zu holen, war mit einigen Risiken verbunden. Hansueli ist dann tatsächlich in die Lehrkunst eingestiegen: Er war Mitglied der Pilotgruppe, die sich 1994 gebildet hat, verbrachte seinen Bildungsurlaub, der ihm von der Zentralstelle für Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung ermöglicht wurde, in Marburg, verfasste und publizierte das 'Chemische Gleichgewicht' und wurde schliesslich Co-Leiter der Gruppe 4 und 6 der Berner Lehrkunstwerkstatt. Als ich mich im Herbst 1993 entschlossen hatte, einen Versuch mit der Lehrkunst in Bern zu wagen, konnte ich nicht ahnen, dass daraus ein so grosses Projekt würde, klar war mir allerdings, dass Unterrichtsentwicklung zum Kern der Schulentwicklung werden muss.
Abgesehen davon, in der Lehrkunstwerkstatt unterrichten sich die Teilnehmenden gegenseitig, - Insider wissen, ich rede vom Buddelparty-Prinzip. Hier kommt zur Anwendung, was der berühmte Gelehrte Johann Amos Comenius (1592-1670) in der Mitte des 17. Jahrhunderts formuliert hat:
"Denn sehr wahr ist das bekannte Wort: Wer andere lehrt, unterrichtet sich selbst; nicht nur weil er durch Wiederholung das Aufgefasste in sich befestigt, sondern auch Gelegenheit erlangt, tiefer in die Dinge einzudringen (...) Daher bezeugt der geistreiche Joachim Fortis von sich, was er immer bloss gehört oder gelesen habe, das sei ihm schon innert Monatsfrist wieder entfallen; was er aber andere gelehrt habe, das könne er so herzählen wie seine Finger, und nach seiner Überzeugung könne nur der Tod es wieder entreissen. Deshalb rät er demjenigen, der in seinen Studien grosse Fortschritte machen wolle, sich Schüler zu suchen, um sie täglich in dem, was er lernt, zu unterrichten, und müssten sie auch mit Gold erkauft werden." (Comenius[1592-1670], 1957, 171 Zit. nach Renkl 1997)
Die "Schüler" der Lehrkunstwerkstatt mussten wir nicht mit Gold erkaufen, aber einfach gefunden haben wir sie auch nicht. Auf jeden Fall hoffe ich, dass wir weitere "Schülerinnen und Schüler" finden werden, so dass Hansueli Küng und einige Kolleginnen und Kollegen mit ihm auch künftig in ihren Lehrkunst-Studien grosse Fortschritte machen können.
Lieber Hansueli, ich gratuliere Dir sehr herzlich zum Wagenscheinpreis.
Rolf Gschwend
Leiter Kaderbildung & Fachbereich Sek II
Tel 031 970 36 38
E-Mail: rolf.gschwend@erz.be.ch
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