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(eine Detektivgeschichte)

Wer war Gerd Kauter?

Die Zeitungsausschnitte fanden wir in Wagenscheins nicht gerade spärlich gefülltem Ordner "Eigene Arbeiten, gedruckte", größtenteils fast ganz hinten, bei den Dingen der Odenwaldschulzeit.
Als erstes die "Schwäbischen Eindrücke", dazu noch mit der Randnotiz versehen: "Ohne jede Verantwortung. M"
Ein Freund (der) Wagenscheins, dessen Werke pietätvoll aufgehoben wurden? Aber warum in diesem Ordner? Wenn ein Freund, dann ein kongenialer.
Dieser Stil, diese Wortwahl, manches könnte er auch selbst geschrieben haben. Nachfragen: Niemand, der die Wagenscheins persönlich kannte, konnte mit dem Namen Gerd Kauter etwas anfangen, im 24-bändigen Brockhaus war er auch nicht zu finden.
Sollte er etwa? Sicherheit gab dann die Passage aus dem Brief aus Neapel - in Paestum: "und W. hüllte sich trotz der Wärme in ihr schwarzes Cape". Das berichtet sie auch in ihrem Reisetagebuch - und niemand sonst war dabei. Ertappt!
Und dann fanden wir in den Papierbündeln des Umzugskartons Nr.15 noch eine kleine Mappe "Eigene Aufsätze, Duplikate". Da waren auch die Manuskripte, der letzte Beweis: Fahrt nach Norwegen von Gerd Kauter - - und das war durchgestrichen und durch "Martin Wagenschein" ersetzt. Alles klar, es war sein Pseudonym.
Aber warum? Andere Dinge - zum Beispiel zum 25-jährigen Bestehen der Quantentheorie - hatte er doch unter seinem richtigen Namen veröffentlicht. Hätte der Mathematik- und Physiklehrer Auml;rger bekommen an der Odenwaldschule, wenn er solch unwissenschaftliches Zeug veröffentlicht hätte? Nein, meinten die wenigen Zeitzeugen, die wir noch fragen konnten, der alte Waldkauz hätte beide Augen zugedrückt - aber dies brachten nachstochernde Fragen hervor - das Honorar wäre selbstverständlich in die Gemeinschaftskasse gekommen!
Alles klar?
Nein, noch zwei Fragen:
Warum gerade der Name Gerd Kauter? Ich fand mich schon damit ab, dass ich da den Autor wohl selber hätte fragen müssen. Da sah ich den Titel seiner Seminararbeit aus der Gießener Universität "Über das Continuumproblem ..." Verfasser: Martin Wagenschein, Gießen, Erdkauterweg 40.
Übrigens gibt es in Gießen die S-Bahn-Haltestelle "Erdkauterweg", gleich bei der Ziegelei, in der er bei seinen Eltern aufwuchs.
Und dann, warum hat er denn 1937 (ich wollte erst das Datum nicht glauben) seine Reiseskizzen wieder als Gerd Kauter veröffentlicht?
Ja, ich denke, heute heißt das manches erschlagende Schlagwort für schöne Erinnerungen - Nostalgie.
Doch noch ein Nachsatz: Forschungen bringen immer wieder Neues zu Tage: Als wir Wera Wagenscheins Reisetagebücher lasen, merkten wir, dass etliche der Texte, besonders die Norwegenfahrt, zu einem großen Teil aus ihrer Feder stammten: "Gerda Kauter" also?
Klaus Kohl
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