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Michael Soostmeyer

Kinder und die Elektrizität


Situationsorientierter und handlungsbezogener Sachunterricht -
ein Beitrag zum Begriff des
"wissenschaftsverständigen Lernens in der Grund- bzw. Primarschule"





© Schriften der Schweizerischen Wagenschein-Gesellschaft
Nr. 2/1992


Inhalt
Ich arbeite mit Kindern gegen Ende eines vierten Schuljahres im Sachunterricht. Die verantwortliche Lehrerin hat mit den Kindern vor, elektrische Phänomene zu behandeln. Wir haben zusammen unterschiedliche Alltagsmaterialien und Haushaltgeräte sowie einfache Werkzeuge zusammengestellt und in eine Arbeitsecke im Klassenzimmer plaziert.
Mein Ziel ist es, herauszufinden, wie die Kinder mit alltäglichen Materialien umgehen, welche Experimente, Versuche und Proben sie machen und wie sie Lernerfahrungen in einem handlungsoffenen, situationsorientierten Unterricht machen und miteinander verknüpfen. Nicht das Lehren "über die Dinge", und damit wie so häufig "über die Köpfe der Kinder hinweg", sondern das Lernen an den Dingen, "die Sache der Kinder sind" (Wagenschein) ist zentrales Anliegen des Unterrichts.
Ferner möchte ich an den Beispielen der Kinderhandlungen wichtige didaktische und methodische Ansätze aufdecken und auf bedeutsame kindliche Denkmuster aufmerksam machen, die in geöffneten, erfahrungsbezogenen und handlungsorientierten Lernsituationen auftreten. Wenn nicht gleich an allen Objekten und Phänomenen möglich, will ich an einigen für die Kinder subjektiv-exemplarischen Inhalten der Frage nachgehen, wie Kinder vom alltäglichen Umgangswissen zu einem Erklärungswissen gelangen, das für naturwissenschaftliches Denken und für die Erarbeitung objektiv-exemplarischer Inhalte offen ist - kurz, ich will der These Wagenscheins nachgehen, die Kinder seien "von sich aus wissenschaftsorientiert", wenn der Unterricht nicht durch ein Zuviel an Belehrung dies verhindert.
Letztendlich will ich zeigen, daß ein Unterricht, der den im Titel genannten Kriterien entspricht, die Zielvorstellungen erreichen kann, die Walter Köhnlein (1991) in Anlehnung an die Funktionsziele Martin Wagenscheins (1970) für den Sachunterricht formuliert hat.
In den ersten beiden Teilen dieses Berichts wird das kindliche Lernen an Beispielen der Elektrizitätslehre dargestellt. Um den Charakter von Lernsituationen zu präzisieren, werden im dritten Teil andere naturwissenschaftliche und technische Inhalte herangezogen.

Teil 1: Entdeckungen und Probleme

1.0 Das Material - die Arbeitsecke oder der Entdeckungstisch

Es sind als Materialien vorhanden: Plastikleinen; Wollknäuel; Blumendraht; isoliertes Kabelmaterial; Taschenlampen (sowohl für Flachbatterien als auch für zylindrisch geformte Batterien); Tauchsieder (unpräpariert); Tauchsieder, an dem in einer Windung das Metall und die Zementschicht (innen) weggefeilt sind, so daß die Kinder den Heizdraht erkennen und berühren können; Bügeleisen (unpräpariert) und ein Bügeleisen so präpariert, wie es beim Tauchsieder dargestellt wurde; Haarfön (funktionstüchtig); Haarfön so präpariert, daß die Kinder eine Seite öffnen und das "Innenleben" (Heizspirale, Ventilator, Motor usw.) sehen können; Heizplatte (unpräpariert); Heizplatte so präpariert, wie es beim Tauchsieder dargestellt wurde; Toastgerät (unpräpariert); Toastgerät so präpariert, daß die Kinder es aufklappen können, um das "Innenleben" untersuchen zu können; Elektroheizgerät mit Ventilator, so präpariert, daß Kinder es öffnen und untersuchen können.
Bei allen präparierten Geräten ist es den Kindern unmöglich gemacht, diese an die Steckdose anzuschließen. Bestünde diese Möglichkeit, wäre Lebensgefahr gegeben! Ferner sind vorhanden: mattleuchtende und klare Glühlampen; Fassungen für den Gebrauch im Haushalt; Glühlämpchen und Fassungen für den Batteriebetrieb (4,5 Volt); Schalter; Anschlußbuchsen; Krokodilklemmen; ein elektrisches Spielzeugauto (betriebsfähig); ein elektrisches Spielzeugauto, so präpariert, daß man an das "Innenleben" herankommt.
Diese Sammlung ist von der Lehrerin und von mir stillschweigend nach und nach in die Arbeitsecke, auf den sog. "Entdeckungstisch", gebracht worden. Von den Kindern kommen weitere defekte und auch funktionstüchtige Spielzeugautos; ein elektrisch betriebener Hund (funktionstüchtig - aber schon stark lädiert); eine "sprechende" Puppe (nicht mehr funktionstüchtig); weitere Batterien; Kabelmaterial; diverse Taschenlampen; Elektromotoren aus Baukästen und vieles mehr in die Sammlung, u.a. aber auch solche Materialien, die nicht in das "Set" passen z. B. Nylonschnüre, Nähgarn, Aluminiumfolie, Nägel, Heftzwecken, Nadeln, Büroklammern, Plastillin, u.ä.m.
Die Arbeitsecke ist also in den letzten Wochen zu einem respektablen Fundus an unterschiedlichen Materialien, defekten und funktionierenden Geräten und Spielzeug, geworden.
Sorgfältig haben die Lehrerin und ich geprüft, ob von den Sammlungsstücken, die die Kinder mitbringen, Gefahren ausgehen können. Immer dann, wenn z. B. noch Stecker oder Anschlußmöglichkeiten bestanden, haben wir diese entfernt.
Diese Materialsammlung besteht aus brauchbaren, aus unbrauchbaren Teilen, auch aus Geräten, Materialien, Spielzeug aus der Lebenswirklichkeit der Kinder sowie aus spezifischem Labormaterial und Teilen aus Grundschulbaukästen bzw. Experimentiermaterialien. Sehr rege und positiv verstärkend reagierten die Lehrerin und ich, wenn Kinder von sich aus anboten, Spielzeug, Batterien, Haushaltgeräte o.ä. mitzubringen.
Zurückhaltend waren wir dagegen, wenn es darum ging, Fragen zu beantworten, wozu das alles gesammelt werden soll oder wenn nach der Funktionsweise von Geräten gefragt wurde.
Die Qualität der Sammlung ist deutlich: ein großer Teil ist "erfahrungsoffen" und spiegelt den alltäglichen, praktischen Zweck der Geräte und teils auch schon die Funktionsteile wider.
Schön ist es zu sehen, daß einige Kinder "von sich aus," auch Versuche unternommen haben, Geräte in der o. g. Weise zu präparieren. So z. B.: Allen Kindern war mit Nachdruck und unmißverständlich mehrfach eingeschärft worden, daß sie niemals mit blanken Drähten oder präpariertem Gerät an die elektrische Steckdose gehen dürfen. Es wurde auf die Lebensgefahr hingewiesen, nachdrücklich!

2.0 Handlungen und Gespräche der Kinder - Beispiele

Mit zunehmendem Umfang und Differenzierung der Sammlung und damit auch mit der zunehmenden Beteiligung der Kinder wächst auch die kindliche Wißbegierde.
Die Kinder waren ausdrücklich aufgefordert, während der Freiarbeit in der Materialecke herumzuschauen und Objekterkundungen durchzuführen. Dabei konnten sich die Kinder in Gesprächen über die Funktionen der Geräte, Spielzeug usw. verständigen und ihnen bekannte Phänomene des elektrischen Stromes in der eigenen Sprache ansprechen. Soweit ich mitprotokollieren konnte, kommen stets Phänomene und Zwecke zur Sprache.

3.0 Lehrinhalte und Lernprozesse - eine erste Analyse

Nur sehr ungern breche ich hier die Darstellung der Kinderaktivitäten und -äußerungen ab. Mich erstaunt eigentlich wenig, wieviel Kinder vorgängig zum Unterricht über den elektrischen Stromkreis wissen.
Interessant ist, daß sie intuitiv zwei Grundphänomene erkennen, mitteilen, wiederentdecken und anwenden: die Wärmewirkung des elektrischen Stromes (auch bei der Taschenlampe) und seine physiologische Wirkung bei der Speichelprobe.
Mich freut nicht allein, daß das Ensemble an präpariertem und nicht präpariertem Spielzeug und Geräten den inhaltlichen Transfer "Wärmewirkung des elektrischen Stromes" bei der Taschenlampe, dem Bügeleisen den Heizplatten, dem Toaster und der Glühbirne gebracht hat, sondern insbesondere auch, daß die Kinder spielerisch nicht bloß die Standarddarstellung des elektrischen Stromkreises: "Batterie, Schalter, zwei Drähte, eine Fassung, ein Glühbirnchen und Klemmen" erarbeitet haben, sondern an die Stelle der Glühbirne einen Spielzeugmotor eingesetzt haben, oder durch Kurzschlußversuch herausfinden wollten, wie nun ein Bügeleisen in Gang zu setzen ist.
Besonders findig sind die Kinder bei der Anordnung und Umgruppierung der Batterien. Gerade dieser spielerische und variantenreiche Umgang, der Mißerfolge mühelos verkraftet, erscheint mir bedeutsam in motivationaler und in kognitiver Hinsicht.
Dieses Abweichen von der Standardform, der Herstellung eines Stromkreises, finde ich wichtig. Zwar ist die Herausarbeitung eines einfachen, griffigen Modells oder Grundversuches notwendig, sie hat m. E. aber nur dann einen pädagogischen Sinn, wenn dieser sog. Grundversuch aus einer Varianz anderer, analoger Versuche, teils mit anderen Materialien, herausgearbeitet wird.
Besonders beachtenswert finde ich den Methodentransfer, den die Kinder leisten, denn sie übernehmen Handlungspläne, die sie an anderen Gegenständen gemacht haben, auf die Behandlung neuer Phänomene, wobei sie intensiv versuchen, Variablen und Parameter zu verändern.
So spiegelt die Idee, mehrere Batterien in der dargestellten Weise anzuordnen, um gleichsam ein Versuchsergebnis zu erzwingen, die kindliche Experimentierfreude und die Hartnäckigkeit bei der Verfolgung eines Ziels wunderschön wider.

Teil 2: Stromkreise

4.0 Darstellung und Analyse von Lernprozessen

Unser Ziel ist es, den Stromkreis auf der Basis eines situationsbezogenen, handlungsorientierten und sachlich begründeten Unterrichts zu erarbeiten. Der wesentliche Ausgangspunkt wurde im ersten Teil am Beispiel der Kinderaktivitäten und -entdeckungen dargestellt. Der Situationsbezug und die Absicht, den Kindern größtmögliche Autonomie zu gewähren, wird im folgenden Unterricht weitergeführt. Die Kinder wollen in den nächsten Sachunterrichtsstunden nun mit den Sachen gezielter umgehen. "Wir wollen einmal gucken, ob wir was damit anfangen können." Einige Kinder, die sich reserviert zeigten, ziehen dann unmittelbar mit, nachdem geklärt ist, daß wir eine Reihe von Experimenten machen wollen.
Sehr bedeutsam erscheint mir (neben den physikalischen Phänomenen, die die Kinder selbst aufdecken, bewußt machen und anwenden) insbesondere folgendes: Sie definieren die Lernsituationen selbst. Sie gehen autonom vor und machen dabei wichtige Entdeckungen. Indem sie zur Sache gesprochen, sachbezogen experimentiert und Objekte erkundet haben, ein soziales Geschehen in Gang gesetzt haben, in dem jeder sagen darf, was er zur Sache zu sagen hat und sich dabei bemüht, daß ihn jeder in der Gruppe versteht, haben die Kinder das getan, was Wagenschein als "wissenschaftsverständiges Lernen" bezeichnet (vgl. hierzu Soostmeyer, M. 1988, S. 73-82).
Natürlich ist mir bewußt, daß die intrinsische Qualität der Materialsammlung einen starken Einfluß auf die Handlungen und Gespräche der Kinder genommen hat. Die Kinder waren trotzdem die "Agenten ihrer Lernprozesse", auch deshalb, weil die Lehrerin und ich uns äußerste Disziplin auferlegt hatten und bewußt dem Wagenscheinschen Postulat gefolgt sind, sich ganz "arm" zu machen und mit Erklärungswissen nicht allzu schnell das Lernen zu steuern. Unsere spärlichen Anmerkungen: "Das weiß ich auch nicht genau, das sollten wir gemeinsam untersuchen oder "Das glaube ich nicht, ich brauche Eure Hilfe." oder "Du hast es ja gemacht, jetzt weißt Du es besser als jemand, der nur davon gehört hat," beflügeln die Kinder ungemein.
Lernsituationen der geschilderten Art haben demzufolge eine ausgeprägte emotionale Komponente, es treten sowohl Freude bei gelungenen Experimenten als auch Ärger angesichts von Widerständen in der Sache auf. Indes überwiegt der Anteil des eher als Freude zu kennzeichnenden emotionalen Aspekts, weil durch den gegenseitigen Austausch von Ideen und durch das Nachahmen gelungener Versuche die Kinder im Sinne der intrinsischen Motivation (Vgl. Bruner, J.S. 1973, S. 15-27) erfolgreich gearbeitet haben.
Bevor die Kinder beginnen, bitte ich sie, die Haushaltgeräte und das Spielzeug vorerst zu meiden. Ansonsten lasse ich alle Materialien zu, die ich eingangs genannt habe.
Es bilden sich mehrere Gruppen, offensichtlich Gruppen, deren Mitglieder im Sachunterricht immer gerne zusammenarbeiten. Die Lehrerin und ich sind äußerst wortkarg und zurückhaltend. Wir greifen ganz selten in den Unterricht ein.
Ich stelle im folgenden einige Kinderexperimente dar und versuche, an einigen Beispielen zu kommentieren, welche Motive, Perspektiven und didaktisch-methodische Schlußfolgerungen an diesen Beispielen sichtbar werden. Dabei gehe ich im Sinne einer phänomenologisch-pädagogischen Untersuchungsmethode kindlicher Lernwege und Äußerungen in Sprache, Bild und Handlung vor.

4.1 Experimentierfreude - Suche nach Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten

Eine Kindergruppe hat einen Stromkreis aus Batterie, Lampenfassung, Glühbirnchen und Kabeln zusammengebaut. Wie selbstverständlich beißen die Kinder mit den Zähnen die Isolierschicht der Kabel an und ziehen sie ab. Keineswegs benutzen sie Klemmen, sie wickeln die abisolierten Kabel um die Laschen der Batterie, drücken mit den Händen die anderen Enden auf die Kontaktstellen der Lampenfassung und stellen so einen elektrischen Stromkreis her. Später erst drücken sie Plastik auf die Drähte und Kontakte und erst danach benutzen sie die Klemmen -"um's jetzt ordentlich" zu machen. - Dieselbe Kindergruppe zeigt dann ein wenig Langeweile, der Stromkreis "an sich" ist irgendwie öde und (Zitat:) "langweilig". Die Kinder setzen an die Stelle der Glühbirne einen Spielzeugmotor. "Schau - das klappt auch!", sagen sie und versuchen nun durch Wechsel der Drähte an den Polen der Batterie den Motor "anders herum" laufen zu lassen. Auch der Versuch: "Motor und Glühbirnchen gemeinsam" wird durchgeführt. M. E. wird hier die Suche nach Abwechslung deutlich, die Kinder geben sich nicht mit der bloßen Struktur eines Stromkreises zufrieden. Sie wollen variieren, ihre Erfahrungen ausweiten, andere Dinge erproben. Sie suchen also nach Ausweitung der Handlungsspielräume. Das zeigt sich auch im folgenden.

4.2 Bezug zur Lebenswirklichkeit - der Rekurs der Kinder auf ihre eigenen Erfahrungen

Eine Mädchengruppe hat einen Stromkreis aufgebaut, ordentlicher als die Kindergruppe oben, und zusätzlich einen Schalter eingebaut. Ich werde gefragt: Kann man auch zwei Birnen nehmen?" - "Ich weiß nicht! Versucht es doch einmal, ihr könnt das selbst herauskriegen." Die Kinder führen das aus: "Das funktioniert!" "Geht's auch mit drei und mehr Birnchen?" "Selbst ausprobieren," sagt die Lehrerin. Der Stromkreis hat nun drei Glühbirnen. Nach und nach bauen die Kinder weitere Birnchen ein.
Diese Gruppe tut danach einen geradezu verblüffenden Schritt in die alltäglichen Erfahrungen hinein. Sie wollen bestimmte Zwecke erreichen. Mit Kreide malen die Kinder den Grundriß einer Wohnung: Diele, Wohnzimmer, Küche auf die Tischplatte und legen die hintereinandergeschalteten Glühbirnen in die einzelnen Zimmer. "Jedes Zimmer - guck mal - hat jetzt Licht." Die Sache hat nur einen Schönheitsfehler. Wenn die Kinder den Schalter betätigen, dann geht das Licht in allen Zimmern aus. Ich werde gefragt: "Wie kriegen wir das hin, daß in jedem Zimmer das Licht einzeln ausgeht, so wie zu Hause?" - Ich gebe die Lösung bewußt nicht, weil an einem anderen Tisch Kinder (ohne dies zu wissen) eine Parallelschaltung entwickelt haben. Ich sage nur: "Schaut Euch doch bitte um, vielleicht haben die anderen etwas entdeckt, was Ihr hier brauchen könnt!"
Nach einiger Zeit werde ich von diesen Kindern an den Tisch gerufen. Sie haben eine Lösung. In Reihe haben sie nun abwechselnd jeweils in den gezeichneten Zimmern vor das Glühbirnchen einen Schalter eingebaut also vier Schalter und vier Glühbirnchen abwechselnd hintereinander usw.
Sie wollen es mir zeigen. Ich bitte vorher, mir kurz zu sagen, was sie sich gedacht haben. "Also -," beginnt Silke, "wenn wir jetzt den Schalter vor der Lampe in der Küche einschalten, dann geht die Lampe in der Küche an, und dann können wir die anderen Lämpchen auch einschalten."
Ich habe den Eindruck, daß die Kinder in dem geöffneten Schalter so etwas ähnliches erkennen, wie ein Ventil, das geschlossen ist. Also geschlossen kann der Strom bis zum nächsten geöffneten Schalter, der einer Unterbrechung (einem geschlossenen Ventil) entspricht, weiterfließen.
Die Handbewegungen des Kindes deuten dieses innere Vorstellungsbild ganz deutlich aus. Wenn das Kind gestisch den Schalter schließt, fließt (wellenförmig mit der Hand repräsentiert) der Strom bis zum nächsten geöffneten Schalter, dessen Funktion dadurch gekennzeichnet wird, daß die Hand wie eine Barriere dem "Stromfluß" entgegengesetzt wird. Klappt die Hand um und gibt den Weg frei, dann folgt die nächste wellenartige Bewegung bis zum nächsten Schalter und so fort. Das alles geschieht während das Kind spricht. Die gesamte Gestik, die Motorik sowie die Rede sind ganz eindeutig.
Ich rege an: "Nun, dann macht das mal!" Silke legt den Schalter in der "Küche" um. "Nichts passiert!", ruft Silke enttäuscht. Ein anderes Mädchen legt nach und nach alle Schalter um und schließt den Stromkreis, überall leuchtet es nun wieder. "Siehst Du, der Strom kann jetzt ganz durch, und dann leuchten alle Birnchen."
Eine gewisse Erleichterung macht sich breit. Ich bitte nun ein Mädchen, nur das Licht in der Küche auszuschalten. Das Kind betätigt den Schalter und zum Entsetzen der Kinder geht das Licht überall aus.
Sie erproben nun nach und nach jeden Schalter; immer komrnt dasselbe Ergebnis. Es fällt mir schwer, mich zurückzuhalten, als ich in die etwas enttäuschten Gesichter der Kinder blicke. "Ich glaube," sage ich, "Ihr müßt noch einmal genau überlegen. Ich will Euch das nicht vorsagen."
"Eins ist klar," sagt Alfred, "man darf keinen Schalter ausmachen."
Ich beobachte die Kinder danach. Nachdem sie eine zeitlang nachgedacht und sich beraten haben, besorgen sie sich drei weitere Batterien und demontieren den bestehenden Stromkreis. Für jedes Zimmer bauen sie dann einen eigenen Stromkreis aus Kabeln, Glühbirne, Fassung, Batterie und Schalter. Nun sind sie in der Lage, in jedem Zimmer einzeln das Licht ein- und auszuschalten. Danach kommen sie zu mir und zeigen ihre Lösung.
Ich befinde sie für gut, mache aber bewußt eine nachdenkliche Geste. "Ganz zufrieden sind wir auch nicht", platzt Anke heraus, "denn zu Hause ist das ganz anders." - "Wie anders?", frage ich. "Na ja, da ist ja auch nicht in jedem Zimmer eine Batterie." - Die anderen Kinder protestieren: "Da sind gar keine Batterien." - "Ja! ich meine ja auch das nicht so, da ist nicht für jedes Zimmer ein eigenes E-Werk" -"Was?" -"Ein E-Werk, das Strom macht." Pause - Nach einiger Zeit sagt Marion zu mir: "Was meinst Du denn dazu?" und blickt mich fragend an. "Ich meine, daß Ihr Euer Ziel erreicht habt. jedes Zimmer kann für sich beleuchtet werden. Anke hat natürlich recht; ganz zufrieden wäre ich auch nicht. Warten wir doch einmal ab, vielleicht kommt Euch noch eine andere Idee. Schaut Euch doch noch einmal bei den anderen Gruppen um."
Ich bin deshalb so zuversichtlich, weil eine andere Kindergruppe die Lösung schon hat. Diese Gruppe hat die Idee der Wohnung aufgegriffen und ebenfalls eine Zeichnung auf ihrem Tisch gemacht. Nur mit folgendem Unterschied: Sie haben die Glühlampen nicht in Reihe, sondern parallel geschaltet, und zwar wie folgt: ein Stromkreis bestehend aus Kabeln, Glühbirnchen, Klemmen, Lampenfassung und Schalter sowie Batterie. Die Enden der Verkabelungen führen an die Pole der Batterie und die Anschlußstelle des Schalters sowie der Lampenfassung.
Diesen Stromkreis wiederholen die Kinder insgesamt 4 mal und schieben jeweils den Schalter in die Küche, die Diele, das Wohnzimmer und in das Bad. Wohlgemerkt! Jeder Stromkreis beginnt und endet an Polen der Batterie. Die Kinder können nun nach Belieben schalten.
Nach einiger Zeit haben Anke und Marion bei der Gruppe die Lösung entdeckt, nach der sie suchten. Sie holen die anderen beiden Mädchen an ihren Tisch und machen die Schaltung nach, indem sie genau so vorgehen, wie die anderen Kinder. Danach kommen sie zu mir, führen mich zuerst an den Tisch der anderen Gruppe und zeigen mir die Parallelschaltung (natürlich benutzen sie das Wort nicht). "Die haben das gebaut, das ist das, was wir wollten. Wir haben das jetzt auch." - "Wir brauchten das ja nur noch nachzumachen, das war ja einfacher, als das mit den vier Batterien," sagt Astrid.
Ich gehe hin und schaue mir die Lösung an und stelle fest. "Nun ist ja alles in Ordnung - oder?" Ich bitte die Kinder das Experiment stehen zu lassen und noch zusätzlich einmal die vier Glühbirnen hintereinander zu schalten, so wie sie es zum allerersten Male gemacht hatten. Die Mädchen versorgen sich mit weiteren Materialien und rekonstruieren ihren ersten Ansatz.
Speziell diese beiden Beispiele zeigen, daß Kinder den Rückbezug des Sachunterrichts in die Lebenswirklichkeit haben wollen. Deutlich machen die Kinder durch die Zeichnung des Grundrisses einer Wohnung auf den Tischen, daß sie nicht bloß den Stromkreis "an sich" verstehen wollen, sondern daß es ihnen um das Verständnis und um das Aufdecken von Funktionen und Zusammenhängen geht, die sie in der Alltagswirklichkeit vorfinden. Der Stromkreis "an sich", als physikalisches Konstrukt, ist eine fachspezifische Abstraktion, die die Kinder von sich aus nicht haben. Der Versuch der Kinder, ein "Funktionsmodell" für die Elektrizitätsversorgung einer Wohnung zu erstellen, zeigt sehr deutlich, den kindlichen Versuch, den Unterricht auf die eigenen Erfahrungen hin zu transzendieren.
In diesen Kinderhandlungen zeigt sich ganz eindeutig die psychologische Begründung für die Forderung, das schulische Lernen in die alltäglichen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen einzuwurzeln, so wie Wagenschein sie unter dem Begriff enracinement (1970, S. 464) erhoben hat.
Pädagogisch gesehen freut mich besonders die Redlichkeit der Kinder. Sie geben nicht vor, die Idee der Lösung selbst entwickelt zu haben, sondern zeigen mir zuerst die Urheber. Eine schöne Geste, die den Respekt vor den Leistungen anderer eindeutig zeigt. Ich komme später auf diese Dimension des Lernens an wissenschaftlichen Sachverhalten zurück.

4.3 Spieltrieb -chaotische Strukturen

Eine dritte Gruppe - in der Hauptsache Jungen - hat gleichzeitig versucht, eine "große Maschine" zu bauen. Sie hat sich mehrere Batterien angeeignet, diese unbekümmert hintereinander, gegensinnig verknüpft, also den Pluspol der einen mit dem Minuspol der anderen und umgekehrt gesetzt. Mit dem Kabelmaterial haben sie sowohl Glühbirnen "in Reihe" als auch parallel gesetzt. Auf die Fragen etwa: "Können wir auch einmal einen Motor einbauen?", habe ich stets geantwortet: "Bitte, versucht es, probiert aus, was Euch einfällt."
Auf diese Art und Weise und durch die vielen konkurrierenden Ideen der Kinder ist schlichtweg ein völliges Chaos entstanden, ein "Kabelsalat", der nicht durchschaubar ist. Betätigen die Kinder einen der vielen Schalter, geschieht entweder gar nichts oder es leuchten Lämpchen dort auf, wo die Kinder es eigentlich nicht erwarteten. Keineswegs herrscht an diesem Tisch Trauer darüber, daß das Ganze unüberschaubar ist. Offensichtlich macht den Kindern das Chaos sogar Spaß. "Einige Birnchen haben wir schon geschafft", strahlt Julian mich an. Munter geht es weiter

4.4 Suche nach Ordnung

Bevor weiteres Material zerstört wird, greife ich ein und bitte alle Kinder an diesen Tisch. Silke fragt: "Was habt Ihr denn da gemacht?" "Siehste doch, Stromkreise", antwortet Claudio. Silke bleibt skeptisch: "Kannst Du mir einenmal zeigen?" Claudio versucht es - es gelingt ihm nicht. Ein Mädchen aus dieser "Chaotengruppe," versucht es ebenfalls; es gelingt ihm auch nicht. Nach einigen Fehlversuchen, die Stromkreise herauszuarbeiten, stellt Anke fest: "Das sieht ja ganz toll aus - aber da muß man zuerst einmal Ordnung schaffen." Ohne zu fragen, beginnt sie damit und die Kinder der "Chaotengruppe" machen mit. Nach einigen Verständigungsprozeduren entstehen dann einmal eine Parallelschaltung und eine Reihenschaltung. Das Ganze geschieht weitgehend ohne Schwierigkeiten. Zwar sind einige Kinder der "Chaotengruppe" etwas enttäuscht, daß die "große Maschine", die sie bauen wollten, nunmehr als funktionsuntüchtig dasteht. Sie fügen sich allerdings sehr schnell wieder ein, als sie ihren Wunsch verwirklichen können, Motoren in einen Stromkreis einzubauen.
Diese experimentellen Lernprozesse werden von der Lehrerin und mir lediglich beobachtet. Die Kinder bedürfen keiner Hilfe oder irgend eines Eingriffes anderer Art. Ankes Motiv "Ordnung zu schaffen", ist nachgerade ein Beispiel für den Ansatz wissenschaftlichen Denkens par exellence.
Die Suche eben nach Ordnung, Klarheit, Einfachheit, Übersichtlichkeit nach dem "reinen und klaren Fall" ist konstitutiv für wissenschaftliches Denken.
Anke führt damit die Kinder aus dem selbstgeschaffenen Dilemma heraus. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Kinder die Sache verhandeln, wie sie also dasjenige, was allen verständlich und zugänglich ist, experimentierend und kommunikativ herausarbeiten, zeigt in überzeugender Weise die Aspekte, die Wagenschein dem "wissenschaftsverständigen Lernen" zuordnet (vgl. hierzu: Soostmeyer, M. 1988, S. 72-75). Dieser Kindergruppe wurde nicht von"oben" herab eine Ordnung aufgezwungen, die Ordnung entstammt einem Diskurs der Kinder untereinander.
Nachdem wir dieses Problem der"großen Maschine" behandelt haben, wenden wir uns anderen Stromkreisen zu.

4.5 Variationen - Freude und Probleme bei der Abwechslung

Eine Gruppe aus drei Kindern fand es "langweilig", auch aus Kabelmaterial, wie die anderen Kinder, einen Stromkreis zu bauen. Die Kinder hatten zuerst versucht, mit Plastikschnüren den Stromkreis zu erzeugen. Die Begründung war wie folgt: "Das Plastik fühlt sich fast genau so an wie das, was um die Drähte herum ist." (gemeint ist das Isoliermaterial der Kabel). "Wir haben dann die Schnüre genommen, das hat aber nicht geklappt." Die Lehrerin, die dies beobachtete, hatte die Kinder lediglich gebeten, die Schnüre nicht ganz wegzulegen, sondern griffbereit zu halten. Als die Kinder dieser Gruppe gemerkt hatten, daß bei den anderen Gruppen das Kabelmaterial entisoliert wurde, haben sie festgestellt, daß unter dem Plastik etwas anderes war, "Kupfer" meint ein Schüler lakonisch. "Das haben wir aber dann nicht haben wollen."
Mit Blumendraht haben diese Kinder weitergearbeitet: "Das hat auch nicht geklappt," sagt Frederick. Bei näherer Durchsicht erkennen wir, daß die Kinder den Lack des Blumendrahtes nicht entfernt haben.
Sie haben dann Aluminiumfolie genommen, diese in Streifen geschnitten und zu einem Draht verdrillt. Den so entstandenen "Draht" haben sie dann an die Batteriepole angeklemmt, einen Schalter eingebaut, dann weitergeführt und die Halterungen der Lampenfassung benutzt. "Das hat dann geklappt!" Frederick stellt die Frage, warum der Blumendraht nicht geeignet sei: "Warum klappt das mit dem Blumendraht nicht, der ist doch nicht aus Plastik?" Nachdem wir gemeinsam den Lack des Blumendrahtes abgekratzt haben, funktioniert der Stromkreis; das Glühbirnchen leuchtet.
Spontan reagieren Kinder einer anderen Gruppe, als sie diesen Vorgang beobachtet haben: Zu zweit haben sie Kupferdraht genommen: "Der hat nicht geklappt." Sie holen den Kupferdraht heran; er ist mit klarem, nicht erkennbarem Lack isoliert. Nachdem wir die Isolierung entfernt haben, funktioniert dieser Stromkreis auch. Jetzt sind diese Kinder zufrieden.
Man muß sich an dieser Stelle einmal vergegenwärtigen, vor welchen gedanklichen Problemen diese beiden Kinder standen. Sie hatten beobachtet, daß bei anderen Gruppen Kupfer geeignet ist. Die abisolierten Enden der Kabel waren ja deutlich zu sehen. "Wir sollten dann sofort Kupfer nehmen, dann brauchten wir ja nicht darauf rumbeißen", stellt Christian fest. "Aber unser Kupfer funktionierte nicht." "Und-?", frage ich zurück. Frank sagt: "Dann gibt es also 'zwei Kupfer', das eine kann man für den Strom gebrauchen und das andere nicht." - "Und wie ist das jetzt?", frage ich. "Nun können wir das Kupfer (die Hand weist auf das mit Klarlack isolierte Material) auch gebrauchen - wir konnten ja nicht wissen, daß da so ein Zeugs drauf ist. Das kann man ja nicht sehen!"

4.6 Auswertung der Erfahrungen anderer - anderswo gemacht

Schön finde ich die Idee, die drei Mädchen verwirklichten: Nach einigem Hin und Her haben sie sich für den Nachbau eines einfachen Stromkreises entschlossen. Zuvor hatten sie kein brauchbares Konzept. Als Leiter haben sie Draht genommen "von dem wir genau wußten, daß er funktionieren wird", sagt Anja. "Wieso wußtet ihr das?", fragt ein Kind aus der Klasse. "Ganz einfach, wir haben einen Draht genommen - so einen, aus dem Bügeleisen - der muß ja funktionieren, sonst wäre der ja nicht da drin gewesen." - "Und wenn das nicht geklappt hätte?", fragt er ein weiteres Kind - Die lapidare Antwort: "Hat aber, siehst Du doch."
Ich meine, daß z. B. der Rückgriff der drei Mädchen auf den Draht im Bügeleisen eindrucksvoll ist. Diese Kinder greifen auf die Erfahrungen anderer Menschen zurück und verwerten sie. Sie erkennen, daß solch ein Draht einen elektrischen Strom leiten muß, weil dieser Draht von Fachleuten, die Bügeleisen herstellen, benutzt wurde.
Die Fähigkeit, die Erfahrungen anderer - anderswo gemacht - aufzugreifen, ist nur Kindern möglich, die die konkrete Lernsituation und das unmittelbar Gegebene transzendieren und in ihren Wissensbestand aufnehmen. Bruner hat diese Fähigkeit als "kumulativen Konstruktivismus des Kindes" (Bruner , J.S. 1971, S. 18 u. 21-96) herausgearbeitet und damit ein intellektuell anspruchsvolles Denkniveau gekennzeichnet.
Ich verzichte auf die Darstellung weiterer Schülerexperimente, weil die restlichen Kleingruppen im wesentlichen ähnliche Anordnungen verwirklicht haben. Bis auf die o. g. Gruppe, die mit Plastikleinen und nichtisoliertem Material gearbeitet hatte, gab es in dieser Lernsituation keine weitere Gruppe, die sich dem Phänomen der Leitfähigkeit von Materialien gewidmet hatte.

4.7 Erklärung eines Neuen, Unbekannten durch Vertrautes

Nur Petra, die - wie oben dargestellt - sich erschreckt hatte, als "es auf der Zunge so stark kribbelte" meldet sich und fragt noch einmal in der Gesprächsrunde: "Ist das immer so bei vollen Batterien, daß die auf der Zunge kribbeln? Oder ist das nur beim Ralph und bei mir so ?" Pause. -"Tut eine leere Batterie - ich meine eine, die 'alle' ist, gar nichts?" Ralph: "Das hab' ich Dir doch gesagt!" Ich werfe ein: "Hilft der Petra das jetzt weiter? Was müßte sie eigentlich tun? Was müßten wir überhaupt alle tun, wenn wir Petras Frage beantworten wollen?" Rasch ergibt sich die Antwort: ,Alle müßten eine Batterie, die 'alt' ist und eine neue nehmen und mit der Zunge an die Laschen gehen." Die "alte" Batterie - sie wird auch als "leere" Batterie gekennzeichnet - dürfte nicht "kribbeln", die "neue" - "volle" Batterie müßte sogar "zwiebeln". In der Materialsammlung sind sowohl alte als auch neue Batterien. Ich brauche nicht zu bitten: einige Kinder holen sie herbei, und die Probe beginnt. Ich sorge lediglich dafür, daß die Kinder die Pollaschen der Batterien mit Papiertaschentüchern reinigen, bevor sie sie weitergeben. Das kleine Experiment wird von den Kindern durchgeführt und die Batterien werden nach "leer" und "voll" sortiert.
Ein Kind schlägt vor, "zur Sicherheit" (wörtlich) die Batterien mit einer der in den einfachen Stromkreisen vorhandenen auszutauschen: "Wenn dann das Birnchen brennt, dann wissen wir, daß die Batterie noch gut ist, wenn nicht, dann ist sie alle" (gemeint ist "leer"). Dieser Vorschlag wird an einigen Batterien durchgeführt und die "Zungenprobe" wird bestätigt.
Interessant ist eine Bemerkung, die Angelika macht und die von den anderen Kindern zuerst lediglich hingenommen wird, dann aber auch auf Verständnis stieß. Angelika sagt: "Wenn das so ist, dann muß ja in der Zunge der Strom geflossen sein."
Pause - Zweifel auf den Gesichtern der anderen Kinder. Angelika bemerkt ihn und bessert nach: "Was in der Birne heiß macht, daß es hell leuchtet, das macht in der Zunge kribbelig oder tut sogar weh!"
Apel (1963, S. 152-172) spricht von einem "Leib-a-priori der Erkenntnis", das hier klar und deutlich zum Ausdruck kommt. Wagenschein Stellt als eines der wesentlichen Funktionsziele naturwissenschaftlichen Unterrichts heraus, daß der Schüler erfahren soll, wie man ein Neues, ein Unbekanntes durch ein Vertrautes erklären kann (Wagenschein , M. 1970, 251-262).
Aber nicht nur das. Die Kinder zielen von sich aus auf weitere wichtige Standards wissenschaftlichen Denkens, so z. B. nach Intersubjektivität mit der Anmerkung "... ist das nur beim Ralph und bei mir so?" - oder die Anregung "zur Sicherheit" eine Batterie in einen bestehenden Stromkreis einzubauen.
Intersubjektivität, Personenneutralität, Vergleich und Deutung der Phänomene, das Herstellen von Analogien sind hier grundlegende Ansätze für eben das wissenschaftsverständige Lernen innerhalb der Gruppe. Ich bin beinahe versucht zu sagen, für die Mitglieder der kindlichen science community, die hier an der Sache arbeitet.

4.8 Zwischenbemerkungen: die Lernepisode als Weg zur Wissenschaft

Deutlicher kann das Zusammenspiel des "Leib-a-prioris" der Erkenntnis und des Motives, Neues und Unbekanntes durch Vertrautes zu verstehen, sowie die Suche nach Intersubjektivität der Erkenntnis nicht dokumentiert werden, als durch Angelikas Äußerungen und das nachfolgende Geschehen. Wagenschein spricht hier vom" Einzelkristall des Verstehens" (1971, S. 206) und meint damit den "Urakt aller Naturforschung". "Sie (die Kinder) wollen das Unbekannte oder Neue mit bereits Bekanntem verbinden". Unterricht, der also mit den Kindern von der Sache ausgeht, die Sache der Kinder ist, ist damit wissenschaftsorientiert. Die Erfahrungen und die gemeinsame Interpretation der Phänomene - das wissenschaftsverständige Lernen also - werden dann zu einem Weg in die Naturwissenschaften.
In einer späteren Stunde, die ich hier nicht dokumentiere, haben wir das Phänomen der chemischen Wirkung des elektrischen Stromes wie folgt behandelt: Wir haben festgestellt, daß Speichel kein reines, klares Wasser ist. Danach haben wir eine normale Babyzelle in ein Becherglas hineingestellt und Essigessenz mit Wasser verdünnt aufgefüllt. An der Entstehung der Glasbläschen am Plus- und Minuspol sowie an der allmählichen Verschmutzung der Essiglösung konnten die Kinder die chemische Wirkung erkennen.
Walter Jung hat in einer Analyse den Begriff der Lernepisode angedeutet. Episoden haben situativen Charakter, Ähnlichkeiten in ihnen fallen jedoch immer wieder auf (vgl. Jung, W. 1970, S. 84). Sie bieten Zugang zu wissenschaftlichem Denken, "wenn sie mit dem ganzen Organismus erfahren werden können" (Köhnlein, W. 1986, S. 122).
Ich zitiere lediglich zwei der von Jung dargestellten pädagogischen Intentionen, die m. E. dem Sachunterricht zugeordnet werden müssen.
Zumindest im Grund- bzw. Primarschulalter, insbesondere angesichts der entwicklungs- und lernpsychologischen Erkenntnisse, erscheinen die Begriffe "Erfahrung" und "eigene Arbeit" sowie "Anteil an wissenschaftlicher Produktion" bedeutsam.

1.9 Sicherung der Ergebnisse

Unser Ziel ist es nun, die Kenntnisse der Kinder zu sichern. Die Kinder schauen sich die unterschiedlichen Schaltungen noch einmal an. Gleich, ob sie nun einen Spielzeugmotor verwenden oder ob sie in Reihe oder parallel geschaltet sind. Natürlich hantieren die Kinder dabei und folgen dem so wichtigen Manipulationstrieb, der auch als Kompetenzmotiv aufzufassen ist (Vgl. Bruner, J.S. 1974, S. 112).
Von Anja kommt folgende Feststellung, die sie allen Kindern sehr gut mitteilen kann, weil diese das Phänomen unmittelbar sehen. "Seht einmal: Bei dem einen Stromkreis, wo die Birnchen wie auf einer Perlenschnur hintereinander sind und bei der alle Birnchen ausgehen, wenn man schaltet, leuchten alle Birnchen dunkler." Weil mehrere Stromkreise mit unterschiedlichen Birnchen, in Reihe geschaltet, vorliegen, wirft Mehmet ein: "Immer mehr Birnchen, dann dunkler." Anja bejaht und fährt fort: "Bei den anderen Stromschaltungen sind die Birnchen alle gleich hell zur gleichen Zeit."
Ich bitte die Kinder, jedes für sich, die Stromkreise aufzuzeichnen. Fausto, einer der besten Zeichner in der Klasse, bietet sich an, die Zeichnungen in der Tafel zu wiederholen. Gespannt und aufmerksam beobachten die Kinder sein Vorgehen. Seine Zeichnung ist natürlich naturalistisch, das Glühbirnchen, die Batterie mit Namen, der Schalter, die Halterung und die Verkabelung werden sorgsam dargestellt. Es entstehen drei Zeichnungen.
Zu den Zeichnungen entwickeln die Kinder folgenden Text:

Teil 3: Die Dimensionen von Lernsituationen dargestellt an Lernsituationen aus dem Sachunterricht

5.0 Zum Begriff der Lernsituation

5.1 Vorbemerkungen

Ich werde im folgenden versuchen, unter Verwendung anderer Beispiele aus dem Sachunterricht, mögliche Strukturierungen für Lernsituationen darzustellen.
Der Begriff "Situation" kommt in einem ersten Angang nahezu jeder Begebenheit zu. Alltägliche Verrichtungen, kindliches Lernen und wissenschaftliches Forschen vollziehen sich in Zusammenhängen und in Umständen, die in der Lebenswirklichkeit der handelnden Personen unterschiedlich und spezifisch auftreten.
Anhand zahlreicher Entdeckungen und Erfindungen können Bezüge zur Geistesgeschichte, Politik und Ökonomie dargestellt und ihre Situationsgebundenheit kann herausgearbeitet werden. Es sei indes an dieser Stelle darauf verzichtet und mit dem Hinweis getan, daß das Kriterium der Situationsorientierung dem wissenschaftlichen Handeln und dem kindlichen Lernen zukommt.

5.2 Analyse des Lernprozesses innerhalb einer Situation

Eine bisher unübertroffene Analyse des Lernens und der Denkakte liegt aus dem Jahre 1910 bei John Dewey (1951) vor. Dewey schildert den Denkvorgang, der zur Beantwortung der Frage zu einer ganz alltäglichen Erscheinung führt.
Ein Glas wird in warmer Spüllauge gespült und dann kopfüber auf eine Tischplatte gestellt. Nach kurzer Zeit treten an der Grenzfläche zwischen dem Glas und der Standfläche Blasen aus. Häufig kann man beobachten, daß das Glas sich bewegt, wenn die Tischplatte ein wenig geneigt ist. Nach einiger Zeit bleibt das Glas stehen und es bilden sich, anders als zuvor, an der Innenwand des Glases Blasen. Man kann teils auch beobachten, wie die zuvor außen befindlichen Blasen verschwinden und gleichsam sich neu im Innenraum bilden.
Dieser Vorgang ist alltäglich, man kann ihn immer wieder beim Spülen beobachten. Dewey stellt nun in seiner Analyse des Problems alle Wissensbestände bereit, die zur Beantwortung der Frage notwendig sind.
Er nennt das Phänomen der Wärmeausdehnung von Gasen, berührt die Fragen der Bläschenbildung seifiger Flüssigkeiten, spricht die Wechselwirkung zwischen der Seifenlösung, der Zimmerluft, dem Glas, der darin eingeschlossenen Luft an, bespricht das Phänomen der Erwärmung und Abkühlung des Glases in der Lauge bzw. an der Luft und löst das Problem, das ihm in dem alltäglichen Phänomen bewußt wird. Schließlich wiederholt er den Versuch, denn nur das was wiederholbar ist, ist auch erlernbar. Einmaliges ist nicht erlernbar. Dewey legt also offen, was er unternimmt, eine Frage zu beantworten und unterscheidet 5 Schritte:
Plastischer kann der Zusammenhang von Situation und Denklernen nicht dargestellt werden. Man kann diese Erkenntnistheorie als "Theorie der Situationsbeantwortung" (vgl. Bohnsack, F. 1976) bezeichnen.
Weil der Situationsbezug in gleicher Weise für die Bewältigung alltäglicher Lebenslagen, für wissenschaftliches Arbeiten und für das kindliche Lernen so wichtig ist, muß der Sachunterricht Situationen in der Lebenswirklichkeit berücksichtigen.
Eingangs stelle ich folgendes fest:
"Ich wende mich an den handelnden, problemlösenden, denkenden und den lernenden Menschen und sehe, daß dieser Mensch sich in Situationen befindet, in denen seine Zielgerichtetheit und Konstruktivität und Soziabilität verlangt sind."
Ich differenziere unter dieser Perspektive Lernsituationen nach folgenden Dimensionen:
subjektiv-erlebnishafter; inhaltlich-objektiver; kognitiv-struktureller; und sittlich-sozialer Gehalt bzw. Aspekt der Werteerziehung.

5.3 Der subjektiv-erlebnishafte Gehalt einer Lernsituation

Im Unterricht hatten die Kinder gelernt, wie ein Thermometer funktioniert. Ihnen war also das Grundphänomen der Wärmeausdehnung von Flüssigkeiten (Alkohol, Öl, Quecksilber) geläufig. Diesem Grundphänomen wurde nun nachgegangen bei anderen Stoffen, zuerst bei der Luft. Nicht wenige Kinder kopierten zuerst das Thermometer, anstelle des Flüssigkeitsspiegels wollten sie nun beobachten, wie sich die Luft im Thermometer ausdehnt. Natürlich sieht man nichts, wenn man ein lediglich mit Luft gefülltes Thermoskop in warmes Wasser hält. "Luft dehnt sich nicht aus!", war die Schlußfolgerung einer großen Gruppe von Kindern. Begründung: "Weil man sie ja nicht sehen kann!"
Popper stellt zu solchen Kontexten fest: "Um ein Problem zu verstehen, muß man wenigstens einige der einleuchtenderen Lösungen ausprobieren und herausfinden, daß sie falsch sind; so wiederentdeckt man also, daß es da eine Schwierigkeit gibt - ein Problem. Um eine Theorie zu verstehen, muß man zuerst das Problem verstehen, zu dessen Lösung die Theorie entworfen wurde, und dann muß man sehen, ob das dieser Theorie besser gelingt als einer der naheliegenderen Lösungen. Um ein schwieriges Argument ( ... ) zu verstehen ( ... ) muß man die Arbeit selbst tun und dabei genau beachten, was unbewiesen vorausgesetzt wird." (Vgl. Popper, K. 1982, S. 70 f.)
Die o. g. Behauptung stieß ganz in diesem Sinne bei anderen Kindern auf Widerspruch.
"Das ist ja gar kein Grund, daß man sagen kann, Luft dehnt sich nicht aus, nur weil man sie nicht sehen kann! Vielleicht kann man Luft doch sehen, dann würde man das ja genau begucken können, ob Luft sich nun ausdehnt oder nicht."
Die Klasse - es handelt sich um ein drittes Schuljahr - sucht nun nach Phänomenen, an denen man Luft bemerken bzw. an denen man Wirkungen der Luft beobachten kann. Die Kinder finden Bewegungen von Bäumen, Staub, Blättern..., sie nennen das Rauschen der Bäume, Töne von Blasinstrumenten, Flöten, Orgeln..., den Fahrradschlauch, den Autoreifen, die Seifenblase, die Luftblase unter Wasser.
Ich frage nur: "Nun wie ist das mit der Luft?" - "Jetzt dehnt sie sich aus, man kann ja jetzt was sehen", kommt als Antwort. "Ist das ein Grund?" frage ich. "Ich glaube, wir müssen erst einmal ausprobieren oder einen Versuch machen."
Die Kinder erfinden nun eine Vielfalt von Versuchen, die ich im einzelnen nicht vorstellen kann. Es werden heißluftbetriebene Flöten und Orgeln erfunden.
Ich greife auf die Formulierungen von Popper zurück:
Lernen müssen wir als "ein Machen, als eine Nachschöpfung dieses Gegenstandes (hier des Experimentes, M.S.) erklären. Wir müssen die Arbeit selbst tun und dabei genau beachten, was unbewiesen und vorausgesetzt wird." (Popper, K. 1982, S. 70 f.)
Ein Junge macht folgenden Versuchsvorschlag: "Ich nehme einen Eimer und klebe ein Stück Butterbrotpapier darauf so oben auf dem Rand rundherum - aber ganz fest und dicht." (die Handbewegung ist entsprechend und inzwischen hat er einen Joghurtbecher als Demonstrationsobjekt in der Hand). "Dann nehme ich den Eimer mit der Luft drin mit in die Badewanne. Das Wasser ist ja heiß - und drücke dann den Eimer mit mir zusammen in die Badewanne (deutlich zeigt er, daß das Papier oberhalb der Wasseroberfläche sein muß - es darf nicht naß werden). Wenn dann das alles heiß wird - und die Luft auch -, weil sie dicker wird, dann macht das Papier 'peng'!"
Norman machte den Versuch - ich auch. Wir konnten beide feststellen: das Butterbrotpapier war zerrissen, bei Norman mit einem "Peng!", bei mir mit einem "Krz!" - Ich denke der Unterschied in unseren Wahrnehmungen und deren Interpretation als eben "peng!" und "krz!" ist absolut marginal. Wir hatten unsere Arbeit gemacht und die zerrissenen Membranen als "Beweismaterial" in den Unterricht mitgebracht.
Norman und ich hatten die Erfahrungsgrundlage für das in Frage stehende Grundphänomen gelegt und gesichert.
Andere Kinder kamen einige Tage später - auch sie hatten - wenngleich mit zeitlichem Verzuge - ihre Arbeit dann auch getan. Dies lediglich als pure Reproduktion abzutun erscheint mir herzlos, denn es geht bei diesen Kindern um eine "Nachschöpfung dieses Gegenstandes", wie Popper deutlich macht.
Manche Psychologen werden hier Nachahmung oder "Modellernen" interpretieren - im Kontext ihrer wissenschaftlichen Sichtweise mag das womöglich richtig sein, didaktisch-pädagogisch ist mir auch das Nachschöpfen eben wichtig und richtig - in diesem konkreten Fall; denn ich argumentiere hier in situativem Kontext und bezogen auf Kinder, in denen ich versuche, jeweils "das Individuelle" zu sehen, das zu respektieren ist.
In mehrfacher Hinsicht eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang die Versuchsplanung eines Mädchens. Marion schreibt:
"Dehnt sich die Luft aus, wenn man sie warm macht?" und nennt dann folgende Materialien: "Luftballon, Puste, Herd und (nachgeschoben im Text) Kühlschrank." Das Versuchsergebnis antizipiert sie wie folgt: Ach nehme einen Luftballon und puste ihn voll, Puste ist ja Luft. So sperre ich die Luft ein. Dann stecke ich den Luftballon in den Herd Backofen (beides durchgestrichen) - Kühlschrank und warte so vielleicht eine Stunde. Wenn ich dann den Ballon herausgenommen hab, dann muß er kleiner geworden sein. Wenn er nicht kleiner geworden ist, dann - (hier wird das Schriftbild undeutlich, es folgen durchgestrichene Satzfragmente wie:
"Ich beantworte die Frage, der Ballon ist dicker - nein - dünner geworden, die Luft macht das nicht mit, die muß ja mehr geworden sein, das klappt nur ... ) - ich weiß nicht mehr weiter ..." (Das Schriftbild und die Kritzeleien drücken Verzweiflung aus).
Ich finde das sehr beeindruckend, das Kind legt eine kreative Versuchsidee vor. Entscheidend ist hierbei nicht, daß es sich keine Gedanken macht hinsichtlich des Verhaltens der Gummihaut bei Abkühlung, sondern, daß das Kind den Versuch macht, einen neuen Sachverhalt "Ausdehnung der Luft" auf einen anderen, der als sicher bewiesen gelten kann: "Ausdehnung von Flüssigkeiten", zurückzuführen und daß es dabei einen vernünftigen Handlungsplan hat. Das Kind will das Neue und Unbekannte durch etwas Vertrautes erklären.
Martin Wagenscheins Vorstellungen zum wissenschaftlichen Erklären und zur Wissenschaftsorientiertheit kindlichen Denkens werden hier in prägnanter Weise deutlich.
Diesen Gedankengang konnte es aufgrund einer unbewußten Änderung seiner Versuchsidee dann nicht mehr bis zu Ende denken.
Im Gespräch mit dem Mädchen konnte ich folgendes herausfinden: Es hatte den Versuchsplan zu Beginn auf Erwärmung der Luft in einem Backofen zentrieren wollen.
Es ist ihm aber zwischendurch eingefallen, daß Gummi bei der Berührung mit dem heißen Backofen "kaputt" geht. Daraufhin habe es zeigen wollen, daß Luft sich bei Abkühlung zusammenzieht, das wäre ja genauso, wie beim Alkohol im Thermometer. - Aber oben ganz am Anfang sei ja die Frage nach der Ausdehnung gestanden: "Das hab' ich nicht mehr hingekriegt!"
In Anlehnung an das obige Zitat von Popper mußte Marion die Arbeit selbst tun und dabei genau beachten, was unbewiesen und vorausgesetzt ist oder welche Voraussetzung verändert wird.
Die Freude, die dem Mädchen anzumerken war, als im Gespräch herausgearbeitet wurde, daß seine Idee gut und tauglich war, daß der Versuch klappen würde, kann man kaum beschreiben. Das Gesicht klarte zunehmend auf und kam bis zum Lächeln und zum Ausdruck der Erlösung und der Freude. Schöner noch zeigte sich die Freude des Kindes, als wir den Versuch dann auch konkret durchführten.

5.4 Der inhaltlich-objektive Gehalt einer Lernsituation

Unmittelbar einsichtig ist es, daß der subjektiv-erlebnishafte Gehalt der Lernsitiuation in der Spannung liegt, Antworten auf die Fragen zu finden: "Dehnt sich Luft aus oder nicht? Kann man dazu einen Versuch planen?. Welche Erscheinungen müssen dann beobachtbar sein?" Das bedeutet also das Problembewußtsein und der Widerstand, den der Sachverhalt bietet, sind die subjektiv-erlebnishaften Erfahrungen in der Problemsituation. Das ist bei Norman genauso gut gelungen wie bei Marion, deren Situation didaktisch-methodisch und pädagogisch aufschlußreicher ist.
Ganz deutlich ist bei dem Mädchen erkennbar: Es hat einen brauchbaren, richtigen Handlungsplan entwickelt, kommt mit ihm aber nicht klar. Die Erfahrungen sind hierbei durchaus schmerzhaft. Sie lassen das Kind in eine scheinbar aussichtslose Situation kommen, die dann im Gespräch geklärt wird.
Das Gefühl der Erlösung und der Freude, es doch mit eigenen Mitteln richtig gedacht zu haben, zählt dann ebenso zu dem so wichtigen "subjektiv-erlebnishaften" Gehalt der Situation. Dieses Gefühl erzeugt dann auch den Mut zu weiteren autonomen Handlungen.
Den inhaltlich-objektiven Gehalt sehe ich zum ersten in der Tatsache, daß die Kinder etwas ganz Naturwissenschaftliches tun. Sie versuchen, ein neues Phänomen auf ein altes zurückzuführen bzw. sie versuchen, ein bewährtes Experiment auf ein neues Problem anzuwenden und ein "analoges" Phänomen zu produzieren. Die Kinder versuchen hier einen Methodentransfer, indem sie bereits verinnerlichte Handlungsschemata auf ein neues Phänomen anwenden. Da es nicht allen Kindern sofort gelingt, einen brauchbaren Versuch zu konzipieren, suchen sie nach Phänomenen, die Beweise liefern könnten. Hier wird also die naturwissenschaftliche Methode zum Inhalt des Unterrichts.
Nicht zuletzt aber zähle ich die erworbene Kenntnis des Grundphänomens der Ausdehnung von Gasen zum inhaltlich-objektiven Gehalt der Situation. In der Diktion der klassischen Didaktik gehört diese Einsicht zu den grundlegenden Kenntnissen, die der naturwissenschaftliche Sachunterricht vermitteln bzw. erwerben lassen soll.

5.5 Der kognitiv-strukturelle Gehalt einer Lernsituation

Den kognitiv-strukturellen Gehalt dieser Situation erkenne ich darin, daß die Kinder Handlungspläne - Versuche konzipiert haben, deren strukturelles Gerüst ist:
Quelle: Soostmeyer, M. 1978, S. 219

Der Satz "Was beantwortet mir die Frage?" zeigt hier wiederum den Vorsatz, Neues durch Bekanntes zu erklären.
Diese gesamte Grundstruktur ist das, was erhalten bleiben wird.
Nun kann man wohl im Vornherein sein Handeln durchdenken und die Ergebnisse antizipieren. Die Sicherung einer problemhaltigen und lösungsträchtigen Struktur kann aber auch nach getaner Tat geschehen. Dabei können Strukturen und Abfolgen des Handelns sichtbar werden, die zu Schemata des Erkennens oder zu Begriffen werden können. Auf diese Weise werden Orientierungs- und Handlungskompetenzen aufgebaut, vertieft und gesichert und Grundlagen dafür geschaffen, daß das Kind sich nicht bloß bestehenden Situationen anpaßt, sondern diese auch kreativ handelnd selbst gestaltet. In der Diktion von Hans Aebli entstehen die "Drehbücher," (1983, S. 185) oder Handlungsschemata. Diese sind:
"(1) ... als ganze gespeichert, (2) ... daher reproduzierbar und (3) ... auf neue Gegebenheiten ... übertragbar:" (Aebli, H. 1983, S. 185)

5.6 Der sittlich-soziale Gehalt einer Lernsituation, oder der Aspekt der Werteerziehung

Welches Wissen also vermittelt der Sachunterricht? Wird dieses Wissen später noch gebraucht? Ist es grundlegend, und wofür soll es grundlegend sein? Impliziert dieses Wissen auch den Aspekt des sittlich-sozialen Gehaltes oder, anders ausgedrückt, den Gesichtspunkt des erziehenden Unterrichts oder der sog. Werteerziehung? Ein schönes Beispiel zu diesem Aspekt habe ich bereits feststellen können. Wie oben beschrieben, hatte eine Kindergruppe die Lösung eines Problems Beleuchtung einer Wohnung vermittels einer Parallelschaltung von anderen Kindern übernommen. Bei der Demonstration der Lösung zeigen mir diese Kinder zuerst die Anordnung, von der sie gelernt haben. Sie geben nicht vor, die gelungene Lösung selbst gefunden zu haben; sie sind redlich. Dieses kleine Beispiel zeugt eindeutig von sittlichem und sozial verantwortlichem Verhalten. Die Kinder sahen sich ihren Mitschülern als Urheber der Lösung verpflichtet. Auch in den anderen Lernsituationen, in denen die Kinder in sachlicher Weise ihre Fragen aushandeln ohne dabei Konkurrenzverhalten zu zeigen oder Dominanzen zu gewinnen, erkenne ich neben der kindlichen Sachlichkeit auch die soziale Verantwortung zum Ausdruck kommen (vgl. Hengstenberg,1966).
Um diese Dimension von Lernsituation und mögliche weitere Antworten an einem Beispiel zu erläutern, gehe ich auf einen Unterricht über die Thematik Arbeitsstätten und Berufe in einem 2. Schuljahr ein.
Das Projekt fand in einer Ortschaft statt, in der eine große Tapetenfabrik und eine Druckerei angesiedelt sind. Einige Eltern der Kinder dieser Klasse haben mit dem Berufsfeld Drucken, Vervielfältigen zu tun. Der Bezug zur kindlichen Lebenswirklichkeit ist somit unmittelbar gegeben (vgl. hierzu Soostmeyer, M. 1987).
Die Lehrerin gibt den Kindern bei der Entwicklung der eigenen Handlungspläne keine Vorgaben. Vielmehr läßt sie ihnen die freie Wahl von Gegenständen aus einer Gruppe verschiedenartiger Materialien. Hierbei ist die intrinsische, sachbezogene Qualität der Medien so beschaffen, daß sie im wesentlichen dem gemeinsam gestellten Handlungsziel Tapetenmuster-Drucken dienen. Die Kinder finden sich sehr rasch in Gruppen zusammen.
Es ist nun einfach beeindruckend zu sehen, wie Kinder dieses Alters spontan kleine, aber funktionierende Handlungspläne entwickeln. Hierbei werten sie ihre vorausgegangenen Lernerfahrungen geschickt aus.
Die Papprollen, Korken, Gummiwalzen, Matrizen (Umdrucker), Bindfäden, Pinsel, Messer, die diversen Farben, Kleber und das Papier fordern zu kleinen Diskussionen auf:
"Damit kann man noch nichts machen.
Wir müssen daraus Werkzeuge machen.
Wie die in der Fabrik, die haben ja auch so was!
Ich will Muster haben und die drucken. Dazu nehme ich die Gummirollen.
Oh, schön, wir machen was mit dem Umdrucker, da können wir schreiben und malen!
Wir müssen noch überlegen, wie wir drucken.
Papier muß her und Farbe!"
Es bilden sich letztlich vier Gruppen, die unterschiedliche "Druckwerkzeuge und Methoden" entwickeln wollen. Unter Hilfestellungen, z.B. Hand anlegen bei der schwierigen Aufgabe, in eine Hartgummiwalze eine Auskerbung zu schneiden, erstellen die Gruppen folgende Werkzeuge: In einem ersten spielerischen Durchgang wenden die einzelnen Gruppen ihre "Werkzeuge" an. Sie beseitigen Schönheitsfehler bzw. verbessern die Muster. Das geschieht u.a. auch im Wechselspiel von Probedrucken und Verbesserung des Druckwerkzeugs. Ferner treffen die Kinder sehr schnell erste Verabredungen für Arbeitsteilungen innerhalb der Gruppe.
Die hier gefundenen Handlungspläne sind lediglich implizit und daher nicht sprachlich gefaßt. Es wird, ohne viel zu reden, arbeitsteilig gearbeitet. Nachdem die Kinder der einzelnen Gruppen die Arbeitsanleitung auf den "Begriff" gebracht und ein wenig später auch ihre speziellen Druckverfahren erprobt haben, wird ein Wettstreit veranstaltet. Drei Minuten lang druckt jede Gruppe mit ihrer Methode und ihren Werkzeugen Tapeten. Ziel ist es, die produktivste Methode zu herauszufinden.
Der Wettbewerb wird durchgeführt. Hierbei zeigt es sich, daß Kinder dieses Alters durchaus selbstkritisch sein können: Die Kinder beginnen mit dem Vergleich ihrer Methoden und entwickeln Kriterien zur Bewertung ihrer Druckerzeugnisse, die sogar zu einer sehr sorgsamen Betrachtungsweise und, wie später zu sehen sein wird, zu einem Paradigmenwechsel bei der Bewertung der Arbeit und des Wettbewerbs führen.
Das Ganze geschieht völlig einvernehmlich. Die Kinder gehen höflich und freundschaftlich miteinander um und kommen zu unterschiedlichen Kriterien und zu abwägenden Urteilen über die einzelnen Druckverfahren. Die Druckerzeugnisse werden erst einmal unter quantitativer Sicht miteinander verglichen: Die Kinder geben sich jedoch nicht allein mit den Zahlenwerten der Siegergruppe zufrieden. In der Diskussion - in die die Lehrerin nicht eingreift - entwickeln die Kinder ein Schätzverfahren, mit dem die Anzahl der Muster auf der betreffenden Tapete in trefflicher Weise ermittelt werden kann. Eine Kindergruppe mißt eine Fläche von ca. 20 x 20 cm aus und zählt die darin befindlichen Stempeldrucke. Die "Einheitsfläche" wird danach auf die gesamte Produktion übertragen, d.h. die Kinder legen die Fläche auf die bedruckten Tapetenstücke, klappen und verschieben sie so oft, bis die gesamte Produktion erfaßt ist. Die Gesamtanzahl der Stempelabdrucke wird durch Multiplikation errechnet.
Man bedenke hier angesichts dieses Paradebeispiels für den inhaltlich-objektiven Gehalt der Lernsituation: Es handelt sich um achtjährige Kinder eines zweiten Schuljahres!
Lediglich bei der schweren Multiplikation muß den Kindern geholfen werden. Alle vorausgegangenen Operationen sind eigenständig erarbeitet, dargestellt und schließlich von den anderen Kindern akzeptiert worden.
Nicht nur die mathematische Operation überzeugt hier, sondern auch die kommunikative Kompetenz der Kinder, die die anderen Klassenkameraden von der Brauchbarkeit ihrer Methode des Schätzens überzeugen konnten.
Dieses Beispiel macht deutlich, daß die Programmatik Wagenscheins zur genetisch-sokratischen Strukturierung des Unterrichts zutrifft: Die Kinder, die das Schätzverfahren entwickelt haben, handeln mit den anderen Kindern der Klasse ihr Verfahren aus, dabei darf "jeder alles sagen, er ist mir verpflichtet, zur Sache zu reden und sich dabei zu bemühen, daß ein jeder ihn versteht". Der Prozeß wissenschaftsverständigen Lernens wird hier transparent.
Ich habe versucht, bei den Kindern dieser Gruppe herauszufinden, wie sie zu der Lösung des Problems: "Wie schätzt man etwas sehr schnell und gut ab?" gekommen sind. Die Lösung stammt nicht, wie man vermuten könnte, aus dem Mathematikunterricht, sondern hier aus dem Sachunterricht selbst. Sie kommt wie folgt zustande:
Die Umdrucker-Gruppe hatte lediglich A4-Blätter bedrucken können und mußte nun diese Blätter auf Tapetenrollen aufkleben. Diese A4-Blätter aneinandergereiht und nebeneinander geklebt, brachten eines der Kinder in der "Stempel-Gruppe" dazu, eine vergleichbare Fläche zum A4-Blatt als Grundlage zum "Abzählen aller Stempel, die wir gemacht haben" (wörtlich) zu nehmen. Da das A4-Format nicht genau paßte, modifizierten die Kinder ihre Einheitsfläche so lange, bis sie eine zufriedenstellende Abdeckung aller Stempelabdrucke erreichten.
Es ist erstaunlich, wie die Kinder sich dann dem Problem zuwenden, daß in einer Maschine wie dem Drucker bereits "Arbeit versteckt ist". Ein Kind sagt: "Es ist ja klar, die Maschine ist ja so gebaut, daß man mit ihr schneller arbeiten kann. Die Maschine kostet ja auch Geld. Die ist ja vorher gemacht worden. Die muß man ja bezahlen.."
Die Diskussion mündet in die Feststellung: "Die Maschine hat gewonnen." Ein Kind hat aber sachlich und arbeitstechnisch völlig recht mit seiner Kritik, die es wie folgt (leider sehr zaghaft und leise) äußert: "Richtig ist das ja nicht, daß die Maschinengruppe gewonnen hat. Die haben nur Blätter. Die müssen noch aufgeklebt werden. Das kostet auch Zeit. Wir haben unsere Stempel ja schon drauf " [gemeint sind die Tapetenrollen, M S.] Was aber verdeutlicht dieses Beispiel neben den o. g. subjektiv-erlebnishaften, inhaltlich-objektiven und den kognitiv-strukturellen Gehalten? Ich denke, insbesondere den sittlich-sozialen Gehaltbzw. den Aspekt der Werteerziehung. Die Kinder hatten alle auf "Sieg" gearbeitetet, die Mengenfertigung war das entscheidende Kriterium - aber das Kriterium ändert sich im Verlaufe der Stunde. Ein Junge aus der Walzengruppe stellt dazu fest: "Wir haben zwar eine Menge geschafft, aber auch viel geschmiert." "Schöner (wörtlich) haben die Korkstempler und die Rollgruppe (Unikate) was fertiggebracht." - "Eigentlich müssen die als Sieger gelten, denn das ist ja schöner und auch schwerer zu machen."
Ich finde diese Einsicht und den Wechsel der Beurteilungskriteriums - die unwidersprochen blieben - einfach faszinierend. Die Kinder geben den Sieg, den sie eigentlich hatten und der ihnen unbestritten zuerkannt worden war, von sich aus ab in Respekt vor den Leistungen der Mitschüler. Hier ist. m. E. soziales Miteinander, Respekt vor den Leistungen anderer, Zurücknahme der eigenen Leistungen, auf die man auch stolz sein konnte, durch die Kinder selbst geschehen. Sittlich-sozial und in bezug auf die Werteerziehung im Sachunterricht hat der handlungsorientierte Ansatz den Kindern die Möglichkeiten der eigenen Entscheidung zur Akzeptanz der Leistungen anderer eröffnet.
M.E. liegen hier wichtige Erkenntnisse für die Grund- bzw. Primarschuldidaktik und -pädagogik: Das Grundschulkind befindet sich in einem allmählichen Übergang vom episodenhaften Lernen zum konstruktiven Aufbau seines Wissens, wobei mit Nachdruck vermerkt sei, daß das alles auf der Grundlage konkreten Handelns mit konkreten Handlungspartnern und -objekten geschieht. Es wäre verfehlt, hier formale oder abstrakte Denkvollzüge zu postulieren. Das Wissen und die elementaren Verfahren, mit denen es erworben und verarbeitet wird, sind intuitiv, halbabstrakt und stets auf die konkreten Erfahrungen bezogen.
Menschliches Handeln ist Ursache und Grundlage für das Denken und für Erkenntnis schlechthin. Es ist bedingt und bestimmt durch Zwecke, konstruktive oder gestalterische Absichten, durch den Willen, den Ansprüchen einer Person, eines anderen Lebewesens oder einer Sache gerecht zu werden, durch das Ziel Einblick in Sachverhalte und Beziehungen zu gewinnen oder durch die Absicht, Einsichten zu gewinnen, Probleme zu lösen oder Verantwortung zu übernehmen.
Der Sachunterricht kann Handlungsfolgen beim Kind aufbauen, die hierarchisch geordnet sind und als vollständige Handlungspläne gespeichert werden können (vgl. hierzu den Aspekt der zunehmenden Methodisierung des kindlichen Handelns beim Problemfinden und Problemlösen bei Soostmeyer, M. 1978, S. 212 ff. und die o. g. "Drehbücher" von denen Aebli, H. 1983, S. 185 spricht):
Probleme oder Unstimmigkeiten wahrnehmen ---> Fragen stellen, Meinungen bilden ---> Meinungen überprüfen, Meinungen begründet verwerfen ---> Meinungen modifizieren oder beibehalten.
Gestaltungsideen artikulieren ---> konstruktiv weiterentwickeln ---> Werkzeuge und Materialien zusammenstellen ---> Arbeits- und Fertigungsschritte abstimmen ---> Gestaltungsidee in die Wirklichkeit umsetzen ---> Ergebnis überprüfen und erproben. Konflikte wahrnehmen ---> Ursachen suchen ---> Lösungsideen entwickeln und durcharbeiten ---> Regeln für neue Konfliktsituationen aushandeln
Regeln auf Brauchbarkeit überprüfen und ggf. verändern.
Stutzen, Staunen, Beobachten ---> Fragestellen ---> Vermutungen begründet äußern ---> Versuche planen, (Versuchsergebnisse antizipieren, Material, Durchführung und Variation vorsehen) ---> Versuche durchführen ---> Ergebnisse kritisch mit den Vermutungen vergleichen ---> Bewerten und in größere Zusammenhänge bringen.
Verhalten von Tieren und Pflanzen beobachten ---> Lebensräume (Ernährungs-, Fortpflanzungs- und Brutverhalten) untersuchen ---> Bedingungen für Wachstum untersuchen ---> artgerechte Haltung, Hege und Pflege herausfinden ---> verantwortungsvoll mit den Lebewesen umgehen.
Geräte und Materialen gebrauchen ---> Funktion und Zwecke beobachten ---> Wirkungszusammenhänge suchen ---> vergleichbare Anwendungen finden ---> Zweck - Mittel - Relationen untersuchen.
Dieser Katalog ist sicher nicht vollständig. Weitere Handlungspläne etwa zum ökonomischen Handeln, zur Vermittlung von Handlungsfähigkeiten im Bereich öffentlich-rechtlicher Institutionen, zur Auswertung von Information oder zur Sicherung von Kenntnissen und Fertigkeiten sind leicht denkbar (vgl. hierzu die Prozeßverlaufsforrnen forschenden Lernens bei Soostmeyer, M. 1978).
Die obige Zusammenstellung einiger möglicher Handlungspläne kann zu dem Mißverständnis führen, daß die angebenen Handlungsfolgen als Standard oder als Normalverfahren angesehen werden. Wenn sie in dieser Interpretation zur Anwendung kämen, träfe der Vorwurf zu, die Schule würde stereotype Problemlösungen an die Kinder vermitteln und somit ihre Findigkeit, Originalität und ihren Entdeckungsdrang unterdrücken. Außerdem ist zu beachten, daß solche Methodisierungen, so notwendig sie auch sind, vorrangig auf die Problemlösung und auf die rationale Begründung von Aussagen über Sachen und Sachverhalte tendieren und nicht so sehr auf die Fähigkeit, Probleme zu finden. Damit wäre aber ein wichtiges Element kreativen und innovativen Lernens zerstört.
Die gespeicherten Handlungsschemata sind also keine stereotypen Verhaltensformen. So aufgefaßt würden sie der Mitmenschlichkeit, der Sachlichkeit und dem Denken zuwiderlaufen, denn menschliches Handeln ist nicht blindes Anwenden vorgegebener oder vorgefundener Methoden. Die Handlungspläne müssen strukturell gesichert werden und dadurch frei beweglich und flexibel sein. Dies ist wiederum nur dann möglich, wenn das Kind im Sinne offenen und aktiven Lernens und Lehrens die Aufnahme, die Bewertung und Neuordnung von Informationen einübt und nicht zu "Einsichten" oder gar zum Auswendiglernen gezwungen wird. Nur dann kann es seine Handlungsschemata aufbauen und sichern.

6.0 Schlußbemerkungen

Ich hoffe, gezeigt zu haben, daß ein erfahrungsoffener, handlungsorientierter und situationsbezogener Unterricht beim Kind Aktivitäten und Kräfte freisetzt, die zu "wissenschaftsverständigem Lernen" führen. Die Beispiele, die die Kinder zeigen, verdeutlichen dies mit hoher Klarheit. Ich denke auch, daß die Schülerleistungen auch den Zieldimensionen des exemplarisch-genetischen und sokratischen Lehrens und Lernens, so wie Wagenschein es konzipiert hat, entsprechen.
Walter Köhnlein hat den Katalog der Funktionsziele vonWagenschein (1970, S. 251 262), die für den Physikunterricht konzipiert waren, auf die Bedürfnisse des Sachunterrichts übertragen.
Ich zitiere abschließend Köhnlein (1991, S. 120-122) und stelle fest, daß der hier dargestellte Unterricht alle Funktionsziele des Sachunterrichts erreicht, indem er die Kinder erfahren ließ:


Literaturverzeichnis:
Aebli, H. 1968: Grundformen des Lehrens. Stuttgart 1961, 5. Aufl. 1968
Aebli, H. 1983: Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart 1983
Apel K. 0. 1963: Das Leibapriori der Erkenntnis. In: Archiv für Philosophie, Bd. 12. Stuttgart 1962, S. 152-172
Bruner, J. S. et al 1971: Studien zur kognitiven Entwicklung. Stuttgart 1971
Dewey, J. 1951: Wie wir denken. Zürich 1951
Hengstenberg, H. E. 1966: Philosophische Anthropologie. Stuttgart, Köln, Berlin, Mainz 1957,3. Aufl. 1967
Köhnlein, W. 1986: Phänomene lehren. Ansatzpunkte naturwissenschaftlichen Denkens im Sachunterricht. In: physica didactica, 1986, (Sonderheft)
Köhnlein, W. I991a: Grundlegende Bildung und Curriculum des Sachunterrichts. In: Wittenbruch, W./Sorger, P. (Hg.), 1991: Allgemeinbildung und Grundschule, Münster 1990, 2. Aufl. 1991, S. 101-125 (abgedruckt in: Biester W. (Hg.): Denken über Natur und Technik. Bad Heilbrunn 1991, S. 9 23)
Köhnlein, W. 1991b: Werterziehung im Sachunterricht. In: Rekus, J. (Hrsg.): Schulfach und Ethik, Hildesheim 1991, S. 69-87
Popper, R., Eccles, I.C. 1982: Das Ich und sein Gehirn. München 1977, 2. Aufl. 1982
Soostmeyer, M. 1978: Problemorientiertes Lernen im Sachunterricht. Paderborn 1978, UTB, 837 (vergriffen)
Soostmeyer, M. 1987: Was bedeuten die Begriffe "grundlegende Kenntnisse" und "elementare Verfahren" für den Sachunterricht? Teil 1: Problemaufriß, und Teil 2: Darstellung möglicher Lösungsansätze. In: Sachunterricht und Mathematik in der Primarstufe 1987, S. 482-486 und S. 533-540
Soostmeyer, M. 1988: Zur Sache Sachunterricht. Begründung eines situations-, handlungs- und sachorientierten Unterrichts in der Grundschule. Studien zur Pädagogik der Schule, Band 14, hrsg. v. R. Biermann und W. Wittenbruch, Frankfurt a.M., Bern, New York, Paris, 2. Aufl. 1992 Wagenschein, M. 1970: Ursprüngliches Verstehen und exaktes Denken. Band 1, Stuttgart 1965, 2. Aufl. 1970
Wittenbruch, W./ Sorger, P. 1991: Allgemeinbildung und Grundschule. Münster 1990,2. Aufl. 1991

Zum Autor
Michael Soostmeyer, Jg. 1943, Lehre als Maschinenschlosser, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium des Lehramtes für Volksschule, Studium der Erziehungswissenschaft, Diplompädagoge, Doktor in Erziehungswissenschaft, fachübergreifende Habilitation an der Universität Essen, venia legendi für den naturwissenschaftlich-technischen Sachunterricht, Professur an der Universität Essen, Fachbereich Physik, Arbeitsgruppe Didaktik der Physik; Publikationstätigkeit sowohl im naturwissenschaftlichen-technischen wie auch im human-gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.
Hauptwerke: Lernen im Sachunterricht. Paderborn 1979, UTB 837; und Zur Sache Sachunterricht -- Studien zur Pädagogik der Schule. Hrsg.: Rudolf Biermann und Wilhelm Wittenbruch, Bern 1988, 1992.

Nachtrag der Internet-Reaktion: Professor Soostmeyer verstarb im April 2002.
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