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18. November 1985

(Thema: Die Winkelhalbierenden im Dreieck I)
# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in derselben Runde
() redaktionelle Kommentare

# Ich möchte jetzt gleich beginnen. Jemand hat gewünscht, mit dem Schnittpunkt der Winkelhalbierenden zu beginnen. Das ist ein ganz leichter Fall und scheinbar sehr einfach. Ich erinnere Sie an die Regeln, die wir einhalten müssen: Sagen Sie alles, was Sie denken, aber stützen Sie sich nicht auf Schulkenntnisse, auch nicht auf Schulworte, auch nicht auf Fachworte.
Sie wissen z.B. was eine Winkelhalbierende ist, ich gebrauche dieses Wort gar nicht am Anfang, und sagen Sie, was Sie von sich aus sagen, so, als, wie gesagt, als hätten Sie den ganzen Kram vergessen, noch nie gehört. Dann sind Sie wirklich unschuldig, arm im besten Sinne, unbefangen und sicher auch, denn Sie stehen ja auf Ihrer Meinung.
Der Lehrer, den ich da also spiele bei diesem Verfahren, der sagt das Problem; wenn es nicht so ist, dass es einem zufällig begegnet, etwa auf einem Schulspaziergang. Das Problem muss so sein, dass es auch eins ist. Also wenn das Problem, das ich Ihnen jetzt sage, so ist, dass es Sie langweilt, dann wäre es schlecht gewählt. Man kann aber gar nicht verlangen, dass alle Kinder oder Studenten sich dafür interessieren, höchstens, dass sie es aus pädagogischen Gründen tun.
Also wenn ich eine Schulklasse hätte, würde ich allen sagen, sie sollten ein Dreieck zeichnen, warum, werden sie gleich erfahren. Und dann von der Ecke aus einen Weg oder einen Pfad suchen, der immer schön in der Mitte zwischen den beiden Seiten der Ecke bleibt.
Sie sehen, ich vermeide alle mathematischen Ausdrücke. Sie wissen, was ich meine. Man kann es ja zunächst schätzen. Sie haben ja auch ein Lineal, das kann man so anlegen, als wäre das richtig. Ob man das genau machen kann? Ob man das genau machen kann, diesen Weg zu finden, das fragt sich ja noch, das weiß ich nicht, ich deute nur an.
Nachdem ich diesen habe, lasse ich hier (gemeint ist von einer zweiten Ecke des Dreiecks) einen ebensolchen durchlaufen, der fällt natürlich hier mit dem zusammen, hier ist der Schnittpunkt, gemeinsame Punkt, Kreuzungspunkt. Und nun, sage ich den Schülern, sollten sie einmal von der dritten Ecke aus dasselbe machen. Wenn sie einigermaßen gut geschätzt haben, wird einer sagen: "Gut, das geht ja durch den selben Punkt" und ein anderer wird sagen: "Weiß nicht, sieht so aus".
Also wenn sie sich jetzt nicht wundern, dann würde ich sie etwas aufscheuchen und ihre Wunderfähigkeit steigern. Ich würde sagen: "Ist doch ganz unmöglich, dass der da durch geht". Je genauer man zeichnet, umso mehr sieht es aus, als ob der geführt würde... Das ist kein beunruhigender Tatbestand, eher ein überraschender. Ja, das ist das Problem, ich habe nur als Anwalt fungiert.

* Ich möchte nur sagen, das stimmt nicht, dass der dritte Punkt von den anderen nichts weiß.
- Der ergibt sich ja automatisch, wenn ich eine Linie zeichne und dann zwei Winkel oder zwei Ecken bilde, dann ergibt sich der ja automatisch. Insofern weiß der schon was von den beiden anderen.
- Ob diese Ecke alles weiß über die beiden anderen Ecken? Sie weiß nicht, ob die Ecken so herum oder gerade anders herum liegen.

# Meine Behauptung ist ja, dass dies für alle so ist, nicht nur gerade für das.

* Wir sind noch eine Stufe zurück. Die Ecke weiß wirklich nicht alles von den beiden anderen Punkten, sondern sie weiß nur, dass die Punkte auf ihren beiden Schenkeln liegen. Soviel weiß der Punkt von den anderen beiden.

# Zum selben Verein gehören, Mitglieder... Ja, die Frage ist nun, ob das wahr ist; und die zweite Frage ist, ob das genau wahr ist. Es könnte ja auch sein, der geht immer so einen Millimeter nördlich vorbei.

* Ja, ich würde auch noch vorher fragen, wie macht man das eigentlich, dass man genau in der Mitte läuft ?

# Das werden die Kinder auch sagen. Die werden sagen... "Sie malen da so rum." Jetzt kommen wir also dazu, die Winkelhalbierende zu definieren, das, womit ein schlechter Lehrer anfängt. Denn wenn er damit anfängt, dann wissen die schon die Hälfte. Aber das tun wir eben nicht. Die Frage ist jetzt, wie kann diese Linie überhaupt festgelegt werden, genau, nicht so aus dem Handgelenk. - Eine Studienreferendarin hat es mit einer Schulklasse gemacht, die hat denen Stuhlreihen aufgebaut. Etwas von sich aus erfinden, das es einem erlaubt, die Abstände zu messen.

* Stange vor mir herschieben,
- eine Stange, auf der die Abstände genau eingezeichnet sind
- Ein Lineal mit Millimetereinteilung
- und wie muss man die Stange halten, was bedeutet dann quer?
- Die kann man verdrehen
- senkrecht zu deiner Laufrichtung
- an den Seiten eine Schnur abwickeln und eine Markierung haben, dass wir die immer auf dem Weg haben. - Seil muss mitlaufen, eine Rolle irgendwie
- Die Stange hat bewegliche Enden, ich habe sie in der Mitte und taste die Wände ab.
- Ich gehe immer senkrecht zu meiner gehaltenen Stange.
- Die Frage ist, ob die Punkte überhaupt eine Gerade bilden.

# Für den Anfänger, den ich meine, ist das ganz klar, was eine Gerade ist. Eine Gerade ist halt eine Gerade. Wenn er es nicht weiß, würde ich ihm halt ein Seil spannen, oder es gibt noch viele andere Definitionen.

* Wenn man ein schweres Seil hat, bekommt man es nie so gespannt, dass es eine Gerade wird.

# Ja, das ist richtig, auch richtig, dass man etwas nie s o spannen kann, dass es eine Gerade wird. Ja, dann kommt der Lichtstrahl, der hängt ja nicht durch. Und dann gibt es die schönste Definition, die habe ich zufällig von einer Mathematikerin, die gefällt mir sehr gut: Stellen Sie sich einen Massivkörper vor und halten Sie zwei Punkte fest, an der Oberfläche dieses Körpers. Und dann sagen Sie ihm, er soll sich bewegen, soweit er kann. Was macht er dann?

* Er wird rotieren
- Er kann sich nur um die Achse drehen, die da gebildet wird.

# Er rotiert, wie man sagt, um eine Achse, und die Definition heißt: Es gibt eine Punktmenge, die sich nicht bewegt, die liegen auf einer Achse, der Verbindung, der geraden Verbindung, die haben nichts zu tun, denen schreibt man zusammen den Namen "gerade Linie" zu. Die ist sehr schön, die Definition, meine ich.

* Man könnte nur auf die Idee kommen, dass die Punkte sich um sich selbst drehen.

# Wenn sie dick sind, ja! - Bei der Gelegenheit bemerkt man, dass die Mathematiker keine dicken Punkte meinen, sondern Punkte meinen, die es gar nicht gibt. Dann ist noch die ganz wichtige Frage, was sie überhaupt meinen. Die reden nicht von dicken Punkten, auch nicht von dicken Geraden, nur von langen Geraden. Was würden Sie jetzt vorschlagen, Sie haben jetzt den Wanderer mit der Latte, der dauernd kontrolliert, ob er auf dem richtigen Weg ist. Er läuft auf der ersten Winkelhalbierenden entlang ... Wir haben doch jetzt eine Feststellung; was eine Winkelhalbierende ist, brauchen wir gar nicht in Worte zu fassen.

* Auf dieser Geraden ist der Abstand zu den beiden anderen Seiten immer gleich groß. Das wäre die Senkrechte auf die Seite ...

# ... von einem Punkt aus den Abstand so zu messen, dass man darauf los geht. Denken Sie einmal eine Gerade und einen Punkt alleine auf der Welt. Wenn ich diesen Punkt jetzt frage, wie willst du deinen Abstand von dieser Mauer dort messen? Dann wird er erst mal sagen, er habe viele Möglichkeiten, man könne es so und so und so machen. Welches wäre dann der bessere? Selbstverständlich der kürzeste. Der kürzeste Abstand eines Punktes zu einer Geraden liegt auf der Senkrechten zu der Geraden. Der Läufer mit seiner Stange, immer quer, hier läuft er. Der Punkt kann ja nur meditieren auf seiner ersten Winkelhalbierenden, die anderen beiden, die schlafen ja noch, die sind noch nicht in Betrieb. Der Punkt weiß ja noch nicht einmal, auf welchen Punkt er aufpassen muss.

* Von der zweiten Ecke aus treffen sie sich (die Winkelhalbierenden) auf jeden Fall in einem Punkt, das ist schon mal klar. Irgendwo schneidet die Gerade, die hier losläuft, diesen Punkt. Ich mache dasselbe mit der dritten Geraden ....
- Karambolage der Gestänge ...

# Die Querstangen tun so, als wüssten sie nichts davon, ob sie etwas beweisen können. Der Gedanke mit den Querstangen ist schon sehr gut, weil er genau sagt, wie man die Winkelhalbierende findet, aber für unsere Fragestellung scheint nichts dabei herauszukommen. Die Definition der Querstangen hilft also nichts, es ist besser, darauf zurückzugehen: Jeder Punkt misst seinen Abstand von der Linie, indem er senkrecht auf die Seiten, Wände losgeht. Nur muss das (Strecke a) gleich dem sein (Strecke b), dann haben wir die richtige Winkelhalbierende. Es zieht ihn (den Punkt) immer senkrecht auf die Wand, links und rechts.

( Einer macht es für die zweite Linie, es gibt Zweifel an der Darstellung, Ungenauigkeit der Zeichnung und Punkt, der außerhalb des Schnittpunkts liegt, waren die Gründe; dafür kommt das Argument auf:)

* Wenn ich die Senkrechten (vom Punkt bzw. der Linie auf die Seiten) fortsetze, dann bilden die einen von der ersten Linie und die anderen von der zweiten Linie diejenigen für den 'dritten Mann', die für den dritten sind also schon eingezeichnet.

( Für den Schnittpunkt wird gezeigt:)
* Wenn diese Senkrechte (a) und diese (b) gleich lang sind, und diese (b) gleich lang wie diese (c), dann sind diese beiden (a und c) natürlich auch gleich lang. Und damit hat dieser Punkt (Schnittpunkt) den gleichen Abstand von allen drei Seiten und wenn man es dann verlängert (in die Ecke hinein) hat man die dritte Winkelhalbierende. (Er hat drei gleiche Abstände herausgearbeitet und somit die dritte Winkelhalbierende festgelegt. In der Zeichnung kommt die Winkelhalbierende im rechten Winkel an. Sonderfall, ist nur beim gleichschenkligen Dreieck so. Neues, 'schiefes' Dreieck zu zeichnen wird versucht. )

# Nun müsste jeder eine Zeichnung machen, mit drei Farben, dann könnte er vielleicht etwas sehen. Wollen wir da aufhören? Wenn Sie zu Hause Zeit haben, können Sie es ja zeichnen.

(Nach Gemeinschaftsarbeit im Zeichnen von fast allen an der Tafel am 'schiefen Dreieck' viel Hin und Her und Zeichnen nach Augenmaß:)
# Die Zeit ist um, dankeschön.

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