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25. November 1985

(Thema: Die Winkelhalbierenden im Dreieck II)
# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in derselben Runde
() redaktionelle Kommentare

# Ich habe inzwischen von Frau Eisenhauer ein zehn Meter langes Protokoll bekommen, ich habe das gar nicht mitgebracht, ist viel zu schwer. Da steht also genau drin, was wir gemacht haben. Ich habe also bemerkt, dass ich dauernd Fehler mache, indem ich zuviel rede. Ich mache also mit diesem oder jenem ein kleines Gespräch, der Rest ist Schweigen. Es müsste ja so sein, dass ich schweige und Sie miteinander reden. Also wenn ich sowas falsch mache, bitte erinnern Sie mich dran. - Ein Protokoll?

(Das Protokoll wird frei vorgetragen.)

# Wer hat's verstanden?

(Meldungen)

* Wir waren ja auch das letzte Mal da. Man sollte die fragen, die nicht da waren, das letzte Mal, ob die es verstanden haben.

# Das habe ich nicht verstanden. Ich meine, ob die, die da waren, es verstanden haben, es verständlich fanden oder übereinstimmen mit dem, an was sie sich selbst erinnern.

Waren Sie das vorige Mal da? Die drei?

* Ja

# Ich frage die, die da waren, ob das deutlich war.

* Die Schwierigkeit besteht meines Erachtens darin, dass es verbal übermittelt nicht so anschaulich ist wie wenn man eine Zeichnung dazu macht. Aber sonst war es schon verständlich.

# Wer kann jetzt mal eine Gegenüberlegung machen, also so darstellen, wie er denkt, mit Zeichnung? Vielleicht können Sie es auch so einrichten, dass Sie an alle sprechen.

* Ich denke schon, dass es möglich ist, sie hat ja im Protokoll auch Zeichnungen angefertigt, sie hat es nicht an der Tafel vorgeführt sondern versucht, sich mündlich auszudrücken. Aber ich glaube, das Protokoll hat ja auch die Aufgabe, das, was in der letzten Stunde besprochen worden ist, ins Gedächtnis zurückzurufen und nicht die letzte Stunde zu wiederholen.

# Ja, meinen Sie nicht, dass ich fragen dürfte, ob das verständlich war?

* Ja, natürlich dürfen Sie das. Ich wollte nur noch einmal klarstellen, dass das Protokoll sich von der Stunde unterscheidet.

# Trotzdem möchte ich dabei bleiben, dass jemand das so vorführt, dass es jeder versteht, ob er nun da war oder nicht. Man braucht nicht genau den Verlauf der Sitzung zu erzählen, meinetwegen eine Zusammenfassung, aber in sich Klarheit.

* Ich kanns mal machen. Also ich zeichne ein x-beliebiges Dreieck, dessen Winkelhalbierende zu konstruieren ist, indem man im gleichen Abstand von der Ecke auf beiden Schenkeln eine Senkrechte errichtet. Die Verbindung des Schnittpunktes der beiden Senkrechten mit der Ecke des Dreiecks ist die Winkelhalbierende. (Ich habe jetzt nur die letzte Methode, über deren Richtigkeit wir uns einig waren, gebracht.)

# Ist das nun klar gewesen? Ich meine ganz von Anfang an.

* Man muss sich von Anfang an erst mal im Klaren sein, wie man das realisieren kann, einen Abstand zu messen.

# Versuchen Sie's doch mal.

* Das erste, was wir gesagt haben, war, dass wir hier auf den Schenkeln Senkrechte errichten. So, das sind die Dreieckseiten.

# Bemerken Sie, dass er mich ansieht?

* (derselbe) Ja, ich hab's auch gerade bemerkt. - Ja, jetzt hat das aber noch nicht zum Ziel geführt. Wenn wir hier die zweite Winkelhalbierende einmalen, dann weiß ich nicht, was hier (bei S) mit diesen Abständen passiert, da habe ich noch keine Aussage. Dann haben wir uns noch überlegt, ob man den Abstand irgendwie anders einführen kann. Beispiel: Gerade und Punkt irgendwo. - So, ich fälle dann das Lot von der Seite auf die Winkelhalbierende. Abstand von der Ecke "ein Schritt auf jeder Seite".
- Das mit dem Schritt finde ich schwierig, ich weiß gar nicht, ob es stimmt.
- Wenn du einen Zirkel nimmst, einstichst und Kreisbogen schlägst, ist es das Gleiche. Du nimmst ein Bein als Zirkelspitze und das andere als Bleistift.
- Ach ja.

# Konstruktion, Schulerinnerungen. Man muss nur genau sagen, was das ist. Das jetzt ist schon besser, aber ich würde trotzdem nichts verstanden haben. - Und Sie als Mathematikerin, hätten Sie's verstanden?

* Naja, was man so verstehen nennt. Es ist schon einleuchtend, wenn man diese Zirkelkonstruktionen sieht, ist das einleuchtender als Formeln.
- Man sieht, was man tut, man sieht auch die gleichen Abstände.
- Zirkelkonstruktionen sind einleuchtender als mathematische Ableitungen.
- Weiß man überhaupt, ob die Abstände bei dem Schnittpunkt der beiden Lote gleich lang sind?
- Wie?
- Du hast behauptet, wenn du im gleichen Abstand von der Ecke auf den Schenkeln die Lote errichtest und die schneiden sich, sei der Schnittpunkt die Mitte. Wann sind die Abstände gleich lang?
- Wenn du die Lote in unterschiedlichen Abständen errichtest, schneiden die sich gar nicht. Je geringer die Differenz zwischen den Abständen wird (von der Ecke bis dort, wo man das Lot errichtet), umso mehr nähert sich der Schnittpunkt der Lote der Mitte.
- Du hast das stillschweigend vorausgesetzt.

# Genügt es nicht, wenn wir sagen: "Winkelhalbierende, du hast so zu laufen, dass ..." Wie er es macht, ist seine Sache, es ist ein Punkt, ein denkender Punkt. Wie er es macht, von beiden Schenkeln immer den gleichen Abstand zu haben, ist seine Sache.

* Ja gut, das kann man natürlich so machen.
- Wenn das eindeutig ist, kann man es so sagen.
- Für unsere Betrachtung ist es ja auch nicht so interessant, wie man das in der Realität wirklich vollführen kann, sondern wir setzen voraus, der Punkt läuft von seiner Ecke aus los und überprüft als, wie er das macht, ist egal. Er stellt jedenfalls fest, an jedem Punkt, an dem er sich befindet, hat er gleichen Abstand von den Seiten.

# Es ist jedenfalls keine Physik, es sind keine Manipulationen nötig, kein Anecken, es wird nur gedacht, wie er zu laufen hat. Ich empfinde sie als eine Art Stützen, die Lote, er stützt sich senkrecht ab, bloß um die Richtung zu kennzeichnen. Ja nun, nachdem das klar zu sein scheint, wie geht's denn nun weiter? Soviel ich weiß, waren wir gar nicht ganz fertig. Kann jemand berichten, wie weit wir waren? Sie wollen doch schließlich herauskriegen, warum sie durch einen Punkt gehen. Bis jetzt wissen Sie, was eine Winkelhalbierende ist, mehr nicht.

* Doch wir waren schon fertig gewesen. Wir hatten ja ständig überprüft, ob der Abstand noch gleich ist. In dem Punkt, der der Schnittpunkt ist, auch. Auf der Geraden (1) als auch auf der Geraden (2). Und der Schnittpunkt ist ein Punkt, der sowohl auf der Geraden (1) als auch auf der Geraden (2) ist und dann ergibt sich nur noch ein Abstand zu der einen Seiten (c). Wenn die Abstände zu den Seiten immer gleich sein sollen, dann gilt das auch für den Punkt, in dem die beiden sich dann schneiden. Dann erfüllt auch die Gerade, die hier durch geht, die gleiche Bedingung. Das ist dann die dritte Winkelhalbierende.

# Wer hat's verstanden? - Wer es verstanden hat, kann es nochmal erklären. Bitte nochmal. Also ich hab das mehrmals in der Schule, in der öffentlichen Schule, gemacht. Ich finde es furchtbar schwer, und ich finde, dass 14-15-jährige große Mühe haben, es aufzusagen, aufzuschreiben. Es ist auch schwer. Kann's nochmal jemand versuchen?

* Also ich bin in der ersten Ecke losmarschiert, habe mich immer nach links und rechts orientiert, dass ich hier den gleichen Abstand habe und dann komme ich hier (bei D) an. Dann mache ich das Gleiche von der anderen Ecke aus, marschiere wieder los, orientiere mich nach rechts und links, gehe weiter und lande im Schnittpunkt und stelle fest, dass der Abstand, den ich vorher festgestellt habe, jetzt wieder genau der gleiche ist. Also gilt das für diese beiden Strahlen und das Gleiche mache ich für den dritten Punkt, laufe wieder hier los, orientiere mich nach rechts und nach links. Wenn ich jetzt auf der dritten Graden lang gehe und hier im Schnittpunkt ankomme, stelle ich wieder das Gleiche fest, dass also dieser Abstand, den ich vorher bekommen habe, wieder der Gleiche ist. Also sind alle drei gleich. Hat's jemand verstanden? - Wie ist das bei dem ersten Weg, wann weiß ich, wann ich stehenbleiben muss?
- Ich gehe immer ein ganz kleines Stückchen und dann gucke ich auf diese Gerade (a) und auf diese (b) und wenn die Abstände gleich sind, dann stehe ich richtig, wenn sie nicht gleich sind, korrigiere ich meinen Standpunkt.
- Nein, meine Frage war eine andere: Wann merke ich denn, wenn der Endpunkt kommt, also wenn die andere schneiden muss?
- Ja, theoretisch müsste ich erst einmal ans andere Ende laufen (zur gegenüberliegenden Seite). Und dann marschiere ich in der zweiten Ecke los. Und bei der zweiten merke ich es ja dann, dann sehe ich, dass es genau mein Abstand von vorhin war. Der zweite Weg kreuzt dann den ersten. Wenn ich das zum dritten Mal mache, merke ich, dass er genau an der Stelle ankommt, wo meine ersten beiden Wege sich gekreuzt haben.
- Eigentlich brauche ich ja den dritten Weg überhaupt nicht mehr zu gehen.
- Das will ich zeigen, es ist die Frage, ob ich wirklich in dem Punkt ankomme.
- Es genügt ja eigentlich, zu zeigen, wenn man von beiden Seiten in der Mitte angekommen ist, dass dann der Abstand auch für die Linie aus der dritten Ecke stimmt. Dass man den Weg gar nicht mehr geht.
- Ja, um das zu überprüfen, wäre es doch sinnvoller, die Strecke zu nehmen und von der Mitte aus hochzulaufen (in die Ecke).
- Wir sind ja davon ausgegangen, dass wir es immer überprüft haben, dass die Abstände stimmen. Da es vorher, bei den anderen beiden Geraden, immer gestimmt hat, können wir es auch für den dritten Punkt voraussetzen.

# Es muss einem an einer bestimmten Stelle ein Licht aufgehen. Versuchts jemand nochmal, ganz anders? Es ist ganz merkwürdig, wie schwer es ist und doch ganz einfach es ist. Soll ich Ihnen mal erzählen, wie ich es gemacht habe nach drei, vier, fünf Misserfolgen? Also ich habe gesagt, soweit ich mich erinnere, diese Punkte, Winkelhalbierende, sollen so laufen, stützen sich also immer senkrecht auf die Schenkel ab. Und dann der Trick: Diese Punkte gründen einen Verein, den Alpha- Verein, und die Parole ist, dass sie immer von den Schenkeln den gleichen Abstand haben. Das ist natürlich Blödsinn, aber was gibt es alles für Vereine, die feiern ihre Feste ... Nun kommt also aus dem anderen Eck ein neuer Verein, ein Konkurrenzverein. Es sind ganz andere Leute, der Beta-Verein, die wissen ja nichts von den anderen, dem Alpha-Verein. Die treffen nun hier (im Schnittpunkt) drauf, hier passiert nun etwas, jetzt frage ich Sie, im Stil dieses Vereins, was passiert, wenn diese Vereine da ...

* Bilden da eine Arbeitsgemeinschaft.
- Oder es gibt halt ein Mitglied, das in beiden Vereinen ist.
- Oder sie kämpfen um die Macht.

# Es kommt nicht darauf an, das Bild in irgendeine Richtung auszudenken, sondern dass es gut passt.

* Die machen einen Wettstreit auf, wer der bessere Verein ist.
- Die sind sich wenigstens in einem Punkt einig.

# Ich weiß nicht mehr genau, wie das weiterging. Hier (Schnittpunkt) trifft doch zum ersten Mal ein Mitglied des Vereins einen anderen, sie stellen sich vor: "Gestatten, Alpha" - "Gestatten, Beta". Der Alpha ist sehr erstaunt: "Was sind denn Sie für einer?" - "Ich bin ein anderer Verein, Beta-Verein." Jetzt kommt eine Überraschung. Der eine kommt doch als Alpha-Mensch an, dann kommt ein anderer der sagt: "Was sind denn Sie für einer?" ... Keine Überraschung?

* Ja, sie merken, dass sie sich am selben Punkt festhalten. Die Alphas haben gesagt: "gehen wir da runter und stützen uns senkrecht auf" und die Betas auch. Plötzlich merken sie, dass es dieselbe Stütze ist.

# Der eine gehört zum Beta-Verein, der zum Alpha-Verein. Jetzt kommen sie hier zusammen, machen ein Gespräch. Was passiert?

* Sie haben die gleiche Satzung, das gleiche Prinzip. Das Prinzip, nach dem sie den Verein gegründet haben, ist dasselbe.
- Ja, und die kommen aus verschiedenen Ecken. Es ist ja nicht gesagt, wenn ich auf verschiedenen Ecken das gleiche Prinzip anwende, dass es dann das Gleiche gibt.
- Eine Gerade haben sie gemeinsam. Jeder Verein hat zwei Gerade, von denen er sich gleich weit weg hält. Aber eine Gerade ist beiden gemeinsam. Das stellen sie fest, wahrscheinlich.
- Also ich nehme an, die werden sich streiten. Weil sie beide ein Recht anmelden auf diese gemeinsame Stütze, die brauchen sie ja beide, um diesen Punkt zu erreichen. Dann werden sie beide in ihren Satzungen haben, dass nicht nur die Alpha-Stütze, sondern auch die Beta-Stütze an diesem Punkt gilt. Sie werden sich darauf einigen müssen, dass sie diesen einen Herkunftspunkt gemeinsam haben.

# Das ist ein Mitglied von welchem Verein, dieser Schnittpunkt?

* Von beiden!

# Von beiden, ja. Und dann verschmelzen die beiden, der hier ankommt (von Alpha) und der von hier ankommt (von Beta) zu einem Punkt und er kann von sich sagen, dass er zu beiden Vereinen gehört, und zwar ohne dass er es von vorneherein deklariert hat, er merkt es jetzt. Nun kommt der dritte, von dem weiß man gar nichts, der kommt aus dem Dunklen, aus dem Nebel. Der muss doch gar nicht durch (den Schnittpunkt) gehen, ich meine, die werden sehr erstaunt sein, dass der genau durch sie hindurch geht. Aber dann wird sich herausstellen, wenn sie sich etwas unterhalten, dass es ja selbstverständlich ist, obwohl er doch gar nichts - das habe ich vorher gesagt, zur sokratischen Irreführung - obwohl er gar nichts weiß, der da, von den beiden. Hier sieht man ja, dass er etwas weiß.

* Vielleicht behauptet er, er war schon vorher dagewesen.

# Also er gehört zu dem Gamma-Verein, und wenn er hierher (zum Schnittpunkt) kommt, dann merkt er, dass er auch zu dem Alpha-Verein gehört.

* Also ich hab eine Schwierigkeit mit der Vorgehensweise, also z.B. zu sagen, dass der dritte Winkel oder die dritte Winkelhalbierende von den ersten beiden nichts wüsste. In dem Moment, in dem wir es mit einem Dreieck zu tun haben, das durch das Verhältnis von Winkeln bestimmt ist, egal wie groß jetzt der einzelne ist. Man muss ja gar nicht sagen, dass die Winkelsumme 180 Grad ist, das ist ja nicht so wichtig. Aber in dem Moment, wo das ein festes Gefüge ist, besteht doch eine Beziehung. Sicher, wenn man sich so einen einzelnen, einsamen Punkt vorstellt, der könnte dann sagen: "ich weiß von nichts", aber das ist ja nicht so, er ist ja in einem Gefüge.

# Das ist ja gerade das, worauf es ankommt.

* Ja, aber Sie sagen doch, dass er nichts wüsste und mal kurz hinmarschiert.

# Er weiß nur, er ist im Gamma-Verein, dass er von diesen beiden Seiten den gleichen Abstand hält.

* Aber wenn es zwei andere Winkel gibt und die zu dritt ein Dreieck bilden, dann weiß ja der einzelne, der da losmarschiert, Alpha- Beta- oder Gamma-Männchen, dass, wenn sie auch subjektiv nichts voneinander wissen, ergibt sich doch objektiv, dass das Gefüge von drei Winkeln im Verhältnis zueinander sich so ausdrückt, dass sie sich in einem Punkt treffen.

# Also kurz, wir sind wieder bei der Frage "warum muss der dritte durch den Punkt durchlaufen?"

* Das haben wir geometrisch gezeigt.

- Nein, wir haben lediglich gezeigt, wenn sie sich schneiden in einem Punkt, dann sind es die Winkelhalbierenden, aber wenn es die Winkelhalbierenden sind, schneiden sie sich dann auch, das ist die Frage ... Der dritte Punkt muss sich mit den Alphas und Betas einigen, er muss durch diesen Punkt hindurch, wenn er seine Satzung einhalten will.

# Also der Schnittpunkt der beiden ersten ist da, dann kommt der dritte. Warum muss er durch?

* Aber die beiden, die sich da getroffen haben, die können im gemeinsamen Gespräch feststellen, dass sie zu allen drei Seiten gleichen Abstand haben.

# Die zwei ersten?

* Die zwei ersten. Weil jeder hat zu zwei Seiten den gleichen Abstand und eine Seite oder einen Abstand haben sie gemeinsam, dann müssen zwangsläufig die anderen beiden auch gleich lang sein, ohne dass sie jetzt wissen, dass ein dritter Verein gegründet worden ist, können sie wissen, wenn noch ein dritter Verein losläuft, muss der auch bei uns hier durchkommen.

# Bitte nochmal, vor allem den Anfang.

* Die haben ja alle den gleichen Abstand zu je zwei Seiten, jeder dieser Vereine. Und in dem einen Punkt stellen sie fest, dass sie also einen Abstand gemeinsam haben. Also müssen auch die Abstände zu den anderen beiden Seiten gleich lang sein und dies wäre die Voraussetzung für den dritten Verein, auch durch den Punkt zu gehen.

# Verstehe ich Sie recht, dass die beiden Leute, die von Alpha und Beta kommen, ein Gespräch führen, in dem sie über den Gamma-Winkel etwas aussagen, der noch gar nicht bei ihnen eingetroffen ist?

* Genau, ja.
- Das kann man sich auch so vorstellen, dass, wenn der Gamma-Winkel noch nicht bekannt ist, im einzelnen noch nicht bekannt ist, ist er doch schon da, und zwar kann man ihn auch darüber entwickeln, dass Alpha und Beta in gleicher Weise weitermarschieren und die Abstände von den Seiten ergeben dann wieder zwangsläufig diesen anderen Winkel. Den kann man ja auch daraus konstruieren, wenn zwei Winkel bekannt sind und drei Seiten, sie müssen ja bekannt sein, dass die überhaupt loslaufen und den gleichen Abstand halten können. So bilden sie den dritten Winkel.
- Stimmt, und dadurch hat der Gamma ja keine Probleme, weil er aus Alpha und Beta gebildet wird, also muss er doch auf Bekanntes treffen.
Also Alpha und Beta bestimmen ja seine Existenz, und im Grunde genommen trifft er ja wieder auf Bekanntes, auf Alpha und Beta. Also Alpha und Beta, oben in der Spitze, da gehen die übereinander und kreuzen sich, und das ist die gleiche Situation, die er hier in der Mitte (beim Schnittpunkt) antrifft.
- Und was kreuzt sich da?
- Die beiden Schenkel von Alpha und Beta und genau das Gleiche ist bei der Winkelhalbierenden. Alpha und Beta kreuzen sich da in der Mitte, also hat der Winkel Gamma die gleiche Situation.
- Was ist daran gleich?
- Dass hier auch Alpha und Beta zusammentreffen, genau so wie oben auch.

# Kann es nicht nochmal jemand ganz einfach sagen?

* Also ich würde ganz einfach die Seiten benennen mit Seite 1, 2 und 3. Und würde sagen, die Punkte, die dem Alpha-Verein angehören, sind von der Seite 1 und der Seite 2 jeweils gleich weit entfernt, und die Punkte, die dem Beta-Verein angehören, die sind von der Seite 2 und der Seite 3 gleich weit entfernt. Und der Platz, den beide Punkte einnehmen, der eine Punkt sagt "ich bin von Seite 1 und 2 gleich weit entfernt" und der andere "ich bin von Seite 2 und 3 gleich weit entfernt". Und dann bringen sie's auf einen Nenner und sagen "wir" oder "ich bin von Seite 1, 2 und 3 gleich weit entfernt". Und da die Leute, die zu Gamma gehören, von 3 und 1 gleich weit entfernt sind, müssen sie ja da durch gehen. - Schreib das mal an, hör mal, aber bezeichne die Seiten mal als a, b und c, gegenüber von Alpha legen wir a hin, gegenüber von Beta kommt b.
- Der Alpha ist dann von Seite b und von Seite c gleich weit entfernt und der Beta von Seite c und a gleich weit entfernt. Und im Schnittpunkt, die beiden stellen fest, wir beide sind von b, c und a gleich weit entfernt, und da Gamma von b und a gleich weit entfernt ist, muss es ja dahin gehen.

# Wer hat's verstanden? So. Jetzt gibt es noch ein Verfahren, das, was Sie gesagt haben, ganz sicher zu machen, indem man das, was sie gesagt hat, an die Wand schreibt, so einfach wie möglich. Wenn man es nämlich nicht versteht, dann ist das ganz furchtbar, lauter Alpha und Beta und man versteht absolut gar nichts.

* Soll ich das vorne zeigen?

# Ja.

* Also die hier sind von Seite b und c gleich weit weg, alle die hier drauf sitzen.
Alpha = b + c
Alle die hier drauf sitzen, sind von Seite a und c gleich weit weg:
Beta = a + c
Also nennen wir sie mal die Alpha- und Beta-Leute.
Alpha = b + c
Beta = a + c
-----------------
S = a + b + c
und im Schnittpunkt, der für beide gilt, stellen sie fest: Oh, ich oder wir sind von b, c und a gleich weit weg, ich, der Schnittpunkt, habe die gleiche Entfernung. Es ist gleichgültig, ob ich zur Seite b marschiere, zur Seite a oder zur Seite c, ich hab immer gleich weit weg, ich, der Schnittpunkt, habe die gleiche Entfernung. Es ist gleichgültig, ob ich zur Seite b marschiere, zur Seite a oder zur Seite c, ich hab immer gleich weit, und die Gamma-Leute, wenn die sagen, wir sind von b und a gleich weit entfernt, dann müssen sie ja durch den Schnittpunkt gehen, weil der Schnittpunkt auch von b und a gleich weit entfernt ist.
- Du, das darf man so, wie du es an der Tafel stehen hast, nicht hinschreiben, das ist falsch, wenn du es als mathematische Gleichung hinschreibst.
- Das macht doch nix, das muss doch keine mathematische Gleichung sein, das ist doch nur eine Untermalung meiner sprachlichen Aussage, und die darf ich doch schreiben wie ich will.
- Zumindest ist es so verständlich.
- Sonst erschlag ich ja die armen Kinder, die wagen ja gar nicht, etwas hinzuschreiben, etwas zu sagen. Wenn ich ihnen aber erlaube, so was zu schreiben, dann sagen sie mir auch etwas.

# Darf ich jetzt mal so fragen: "Sind Sie überzeugt, dass die drei durch einen Punkt gehen?" Überzeugt, das ist nämlich etwas anderes, als wenn man einen Beweis abrollen lässt. Dann gibt es so einen Knacks im Gehirn. Hier hat kürzlich jemand gesessen, der Physik studiert hat, und hat gesagt: "Ja, ich hab das alles verstanden, aber überzeugt, das ist doch etwas ganz anderes, ob das auch wirklich wahr ist".
So überzeugend muss es sein.

* Ich habe da noch eine andere Idee dazu, wie man das vielleicht anschaulich machen könnte. Wenn man einen Ball in die Ecke von einem Raum legt, dann weiß man doch, dass sein Mittelpunkt von allen beiden Seiten gleich weit weg ist.

(Daraus entwickelte sich eine Zusatzaufgabe mit Diskussion, der Inkreis wurde erwähnt, ebenso Konstruktion der Winkelhalbierenden formal erklärt.)

# Aber ich weiß noch eine Form, wie man es in der Schule sozusagen totschlagen kann. Ich zeige Ihnen jetzt, wie man es formell macht, das ist ja ganz furchtbar einfach, und dann versteht man es ohne zu verstehen.
Also dieser Punkt, der Schnittpunkt S, der Abstand Sa ist gleich Sb, das gilt nur für S, den einen Schnittpunkt. Nun kommt von da drüben noch einer an, für den gilt: Sc ist gleich Sb. Und dann sagt man die schöne Regel: Sind zwei Größen einer dritten gleich, so sind sie auch untereinander gleich.
Sa = Sb
Sc = Sb
------------
Sa = Sb = Sc
============
Was halten Sie von der Methode? Daran kann man nichts mehr aussetzen. Diese Sache: Sind zwei Größen ... klingt ja so selbstverständlich, dagegen ist nichts zu sagen, ist reine Logik, die klingt ganz albern, so selbstverständlich ist sie.
Das Beste ist, wenn man erkennt, dass der Schnittpunkt von zweien schon den dritten mit drin hat, dass, wenn Sie den Schnittpunkt S von zweien haben, dass der dann schon weiß, sozusagen, dass er auch zur dritten gehören muss, weil je zwei Winkel, jeder Winkel zwei Seiten (.....) sind, und wenn zwei Winkel zusammenkommen, ist der dritte mit drin.
Was halten Sie vom Ganzen? Ist das überhaupt ein anständiges Beispiel? Was soll das? Einfach so beweisen? Es gibt ja tausend Beweise und die Schule macht das doch, dass sie Sachen beweist lässt. Wozu eigentlich? Kann man dabei was lernen? Kann jemand, der das verstanden hat, etwas begreifen? Was? Gleichzeitig wissen Sie, das Beispiel ist gar nicht so wichtig. Anders gesprochen, glauben Sie, dass man diesen Satz wissen muss? Dass der so würdig ist, dass er also jedem bewusst werden muss? Dass die drei Winkelhalbierenden durch einen Punkt laufen, gehört das zu dem selbstverständlichen Gepäck? Wenn Sie auswählen, was wichtig wäre für die Schule überhaupt, was soll man dann behalten und wissen?
Wo ist denn der Maßstab? Soll man alle Geschichtszahlen wissen? Oder nur eine besondere?

* Also ich denke mir,nur die Dinge, die für meine Existenz notwendig sind, sind erst mal wichtig, also für meine Existenz, für mein Leben würde ich erst mal die Prioritäten setzen, was ich für wichtig halte.
- Dann müsste ich lernen, Kartoffeln anzubauen und nicht Winkelhalbierende von Dreiecken zu konstruieren.
- Ja, wenn das momentan das Wichtigere für meine Existenz wäre, wäre das meine Entscheidung.

# Wenn Sie einen Lehrplan machen, dann kennen Sie ja die Existenzen nicht, dann können Sie nur testen, dann können Sie nur sagen: Dies und das.

* Wenn jeder nur das getan hätte bisher, was er zur unmittelbaren Existenz brauchte, dann wäre die Gesellschaft heute nicht so wie sie ist. (Beispiel Kindbettfieber)

# Würden Sie nicht gleich die ganze Mathematik streichen? Weil sie für diesen Fall nichts aussagt?

* Das war jetzt nur ein Beispiel, das belegen soll, dass prinzipiell Schule und auch Bildung mehr umfassen als die unmittelbare Existenzsicherung.

# Würden Sie Mathematik nicht streichen, nicht Rechnen?

* Nee.

# Wieso ist die denn so wichtig?

* Ja, das ist die Frage, wieweit gehe ich zurück, also brauche ich Rechnen, brauche ich nicht Rechnen, und zähle ich das zur Mathematik oder nicht.

# Rechnen nicht, ich meine Mathematik.

* Das Denken lernt man.
- Das ist doch interessant.

# "Denken lernt man dabei", damit kann man alles rechtfertigen.

* Man kann es begründen, man kann es nicht begründen, man kann vieles rechtfertigen und einiges kann man damit nicht rechtfertigen.
- Ja, man kann sich doch das Leben leichter machen, ich denke schon, dass es für die Existenz wichtig ist.

# Haben wir heute gedacht oder nicht?

* Ja, sicher hab ich nachgedacht.
- Gibts eigentlich einen Unterschied zwischen Nachdenken und Denken?
- Vordenken.

# Am Anfang stand doch: Dass die drei Winkelhalbierenden durch den Punkt gehen, ist merkwürdig, ist nicht sicher und ist deshalb herausfordernd, wenn man sich für sowas interessiert. Man glaubt es einfach nicht. Wenn Sie nun den Beweis hinter sich haben, dann müsste es also so sein, dass Sie sich nicht mehr wundern. Ist das der Fall?

* Doch, es wundert mich immer noch. Weil ich denke, es kann doch nur einer auf so einem Punkt sein, insofern wundert es mich immer noch, dass alle drei durch ein und dieselbe Stelle gehen sollen.

# Wir haben doch rausgekriegt, dass da gar nichts zu wundern ist, sondern dass das ganz selbstverständlich ist.

* Nee, aber ich denke, es geht eigentlich nicht. Ja, ich muss das akzeptieren.

# Nein, nein.

* Von dem, wie ich das erlebe, denke ich immer, ein Teil kann nur an einer Stelle sein, und wenn noch zwei Teile kommen, können die nicht auch an der gleichen Stelle sein, die können oben drüber oder unten drunter sein. Wenn ich zwei Finger übereinander lege, dann berühren die sich zwar, aber die können nicht ineinander gehen.

# Daran ist doch nichts zu verwundern. Wenn man es kapiert hat, ist doch nichts zu verwundern, oder doch? Die Probe ist doch, dass Sie sich nicht mehr wundern, dass drei Winkelhalbierende durch einen Punkt gehen.

(Diskussion über mathematische Linien, die in Körper umgesetzt werden. Übereinstimmung gesucht.)

* Wenn ich das abstrakt konstruiere und will es dann umsetzen in die Praxis, in körperähnliche Gegenstände, dann muss das doch übereinstimmen.
- Nein, man will es ja gar nicht praktisch umsetzen, man will ja nur wissen, ist das, worüber wir uns vorher gewundert haben, ist das eine Selbstverständlichkeit oder ...
- Das musst du ja nicht konkret machen, es wird doch kein Mensch hergehen und in einen dreidimensionalen Raum so Sachen einzeichnen und dann feststellen, ob das stimmt. Da gibt es keine Praxis, uns hat nur interessiert, wie ist das, und wenn wir wirklich wissen, wie es ist, wenn wir es verstanden haben, dann ist die Sache erledigt. So meine ich jedenfalls.
- Also heute kommen Physiker auf die Idee und wollen das nachprüfen.

# Meinen Sie etwa, ob die dritte auch genau durch den Punkt geht?

* Nein, dass die halt nicht alle an einer Stelle sein können, entweder übereinander oder untereinander. Wir haben halt den Unterschied zwischen gedachten Linien, also was nicht körperlich festzustellen ist und dem, wenn ich das umsetzen möchte in Gegenstände. Und dann stimmt es nicht überein.

# Dann stimmt es nicht überein?

* Ja

# Dann meint sie das doch !

* Wenn du von oben drauf guckst.
- Dann machst du einen Punkt an der Stelle, dann machst du es wieder neu!
- Dann ist es nicht gleichzeitig.
- Wenn du dir Taschenlampen vorstellst, die du so richtest, dann kann das sein, dass du es siehst.
- Nee, ich finde nicht, dass man immer bessere Methoden finden soll, um ihr zu beweisen, dass die Sache so geht. Mit Lichtstrahlen ist es ganz diffizil räumlich, aber es ist immer noch räumlich. Ich finde grad, die Erfahrung zu machen, dass ich etwas denken kann, was richtig ist und räumlich, das ist erstens Mathematik und das würde ich als Lebensgepäck bezeichnen, ja, zum Mitnehmen, was mir was bringt: Die Erfahrung, dass ich was denken kann was nicht wirklich zu machen ist. So finde ich das schon wichtig, die Winkelhalbierenden, natürlich, man braucht sie für Prüfungen. Prüfungsgepäck, das ist wieder etwas anderes. Aber Lebensgepäck, dass man das wirklich denken kann, dass es geht, dass es stimmt, dass es nicht in Physik ausarten muss.

# Dann wäre das bloß Denken?

* Aber nicht bloß. Aber dass man vom bloßen Gegenstand abstrahieren kann.

# Aber es hat keinen Zweck, etwas genaues auszudenken, wenn die Dinge nicht genau sind.

* Aber dass das Denken mir soweit Klarheit bringt, dass ich überzeugt bin, dass das stimmt. Obwohl ich das nie gesehen habe.

# Und gibt's das, dass das stimmt?

* Ich hab doch gedacht.

# Weil's nur gedacht ist?

* Nicht nur

# Weil es so gedacht ist, dass es stimmt. Stimmt das?

* Also ich bin der Meinung, wenn ich so denken kann, dann muss es auch möglich sein, mein Denken muss doch etwas mit meiner Existenz zu tun haben.

- Aber Denken geht doch über die bloße Anschauung hinaus. Von der bloßen Anschauung ist die Erde eine Scheibe, aber Denken geht darüber hinaus.

# Aber ich kann doch sagen, was geht mich das an, darüber hinaus zu gehen, ich will Realitäten haben, nicht hinausgehen.

* Willst du jetzt nur Realitäten haben oder irritiert es dich, dass man das, was man denken kann, nicht umsetzen kann?
- Ja, das irritiert mich.
- Ich kenn da nur eine Geschichte von Platon, geht arg ins philosophische, der hat ganz spezielle Gedanken. Der hat sich vorgestellt, dass der Mensch, bevor er auf die Welt kommt, irgendwann mal bei Gott ist, in 'ner Art Paradies, und dort sieht er diese idealen Gebilde, also Geraden, die wirklich unendlich dünn sind, Punkte, die wirklich unendlich klein sind, Kreise, die wirklich exakt rund sind und net nur so eierförmige Gebilde, die man mehr oder minder gut machen kann. Das ist die Idee von Plato. Und danach, dieser Mensch, auf der Erde findet er sich plötzlich wieder, wo das alles überhaupt net so ist, wie du gesagt hast, da gibts dicke Punkte, eine dicke Linie, die sind alle mehr oder weniger dick, aber immer noch dick, auch wenn du sie so dünn wie möglich machst ... Idee von Plato, dass der Mensch auf dieser Erde immer wieder diese idealen Gebilde sucht und darum sagt er, "aha, das ist also ein Kreis" auch wenn's gar keiner ist. Ich meine damit, dieser Widerspruch wurde schon immer gefunden. Mich hat das enorm fasziniert, dass man sich da ständig mit Dingen befasst, die es in dieser reinen Form nicht gibt.

# Ja, schneiden sie sich nun in einem Punkt?

* Doch, na klar.
- Das Problem ist nur, die richtigen Geraden zu finden.

# Das ist doch die Frage, dass sie so hart übereinander liegen, sie haben eine gewisse Dicke und wir behaupten, sie schneiden sich doch. Ist dann der Satz gar nicht wahr? Ich weiß auswendig einen Satz von Platon, er heißt: Wir reden von Figuren, die wir in den Sand malen, aber die meinen wir gar nicht, wir meinen nicht die, die wir zeichnen, sondern wir meinen die gedachten Figuren, die genau sind, die idealen Figuren, die existieren überhaupt nicht in der Welt der Materie. Passt das da drauf?

* Das wäre wirklich eine Auflösungshilfe, wir zeichnen etwas ganz anderes als wir denken.
- Nein, nicht anders, sehr ähnlich.
- Gut.

# Verliert die Sache dann nicht ihre ganze Bedeutung? Hirngespinste nur?

* Nee, das fordert doch heraus. Warum unterscheiden die sich?
- Sind halt Krücken.

# Es gibt einen anderen Mathematiker, den Rényi, der in Budapest ist, der sagt: "Daran sieht man doch nur, dass unsere Figuren so genau sind, deshalb, weil wir sie uns nur denken".

* Dass die Figuren ein Anhaltspunkt sind, der dem anderen zeigt, was man denkt. So können wir uns im Groben drüber einigen, worüber wir nachdenken, nicht jeder stellt sich was anderes vor.

# Aber wie genau wir auch zeichnen, wir meinen das Gezeichnete nicht. Das kam das vorige Mal schon auf. Kann ein mathematischer Punkt rotieren? Ein gedachter Punkt? Wie ein Elektron?

* Mathematisch nicht, in der Physik schon.

# Wenn er rotieren würde, müsste man es doch feststellen können.

* Dann hätte er eine endliche Ausdehnung.
- Das ist ja gerade das Faszinierende an der Physik, dass alle bestimmten Sachen funktionieren, obwohl man genau weiß, dass es nicht sein könnte und dass es auch ganz klare Widersprüche gibt, die letzten Endes nicht aufgehoben werden können.
- Das Gute an der Mathematik ist eben, dass man da mit bestimmten Objekten hantieren kann, denen man ganz bestimmte Eigenschaften zuschreibt, von denen man dann weiß, sie haben wirklich nur diese Eigenschaften und keine anderen Eigenschaften. Während, wenn ich mit anderen Objekten umgehe, dann weiß ich noch nicht genau, welche Eigenschaften sie haben und kann bestimmte Eigenschaften nie rein herstellen.

# Ist Mathematik, die angewandt wird auf Dinge, dann noch genau?

* Insofern ist sie genau, als sie ihren inneren, eigenen Gesetzen gehorcht. Nur die Abbildungen, die wir herstellen zwischen der Mathematik und ihren Anwendungen, die sind immer ungenau.

# Ich würde sagen, dass Mathematik, auf Dinge angewandt, wird immer unscharf. Das heißt, wenn sich einer hinsetzt und will diesen Beweis durch Zeichnung beweisen, und sagt: "hier guck mal, meine Zeichnung ist so schön, die stimmt. Hier ist ein Punkt, wirklich ein Punkt", was soll man ihm dann antworten? Inwiefern hat er unrecht?

* Im Hinblick auf die mathematischen Objekte, die er meint, hat er recht, aber im Hinblick auf die Kreidestriche hat er unrecht.

# Ja, wir müssen wohl jetzt aufhören. Und dann, haben Sie einen Wunsch fürs nächste Mal? ... Ja, ich hatte vorgeschlagen, warum ein eisernes Schiff schwimmt. Mögen Sie das?

* Ja, oder auch, dass ein Tonklumpen, je nachdem, welche Form er hat, untergeht oder schwimmt.

# Das gehört dazu, das ist dann sehr weit, das Problem, das führt zu sehr vielem. Aber die Hauptsache wäre, dass wir da nicht von Schulkenntnissen ausgehen, sondern so tun, als ob wir es zum ersten Mal sehen, dass dieses schwere Ding schwimmt und nicht untergeht. Das ist ein Widerspruch, da stimmt was nicht. Dass wir da mit unseren Erfahrungen, nur persönlichen, privaten Erfahrungen mit Wasser rangehen.

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