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28. April 1986

Thema: Der Sechs-Stern I

# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in derselben Runde
() redaktionelle Kommentare

# Ich fand die erste Stunde sehr gut, das war die Ausarbeitung des Problems. Es hatte den Charakter einer Plauderei. Es war sehr lebhaft, und so darf eine Plauderei sein. Bei der zweiten Sitzung habe ich den Fehler gemacht, wie sagten Sie? Sie sagten nach der Sitzung, warum das so still war. Ich sagte, es liegt am Raum, Sie sagten, 'jetzt fingen die Schwierigkeiten an'. Ja, und das war es auch.
Diese Schwierigkeiten habe ich einfach ignoriert, also unverzeihlich, nicht? Man rutscht immer wieder in das alte Schulmeisterverhalten hinein, wenn man ein paar Jahre an der öffentlichen Schule war. Dass man da so gar nicht das macht was man will, was ich will, sondern... ein Beispiel.
Dass ich das jetzt anführe, hat ja auch seine Vorzüge, weil Sie dann sehen, was ich nicht meine. Ich habe am Anfang eine Scheu, allgemeine Redensarten zu machen. Aber jetzt können Sie konkret sehen... auch Sie haben sich schulmäßig verhalten, schülermäßig, das heißt, so, wie es in der Schule meist ist.
Wenn jemand ein Problem... und es wird eine richtige Antwort von einem Teilnehmer gesagt, dann war das eigentlich so, als ob man sagte, nun haben wir sie, die richtige Antwort, alles übrige ist ja überflüssig. Die steht im Raum, der hat sie gesagt, da habt ihr sie. Kann sein, es stimmt. Ich habe das leider häufig akzeptiert.
Und dann entwickelt sich ein Gespräch zwischen dem Leiter, den ich spiele, und dem, der die richtige Antwort gegeben hat, dann klärt sich die Sache angeblich. Der Rest, ich sage Rest, das ist für die Anderen eigentlich eine Geringschätzung, der Rest schweigt oder sagt nichts, und dann bildet man sich ein, die Sache sei erledigt.
In Wirklichkeit muss es völlig anders sein. Wenn einer etwas sagt, dann soll das nicht seine Absicht sein, die richtige Antwort zu geben.
Darauf kommt es hier überhaupt nicht an. Sondern seine, wie er jetzt denkt, egal, was er gelernt hat. Das Gelernte ist meist nicht viel wert.
Das heißt, wenn man nachfragt, sitzt es meist nicht auf einem guten, geklärten Fundament. Das Ziel ist ja die vollständige Klärung eines Problems.
Das war das eine, was ich betonen möchte. Wenn jeder nur seine Meinung sagt, als ob er nichts vorher wüsste und jetzt anfängt, über die Sache nachzudenken.
Das zweite ist die Frage: 'wem sagt er das?' Im üblichen Betrieb sagt er es dem Lehrer, was sich so äußert, dass er auch den nur anguckt, denn darauf kommt es ja alleine an, was der macht.
Wenn der also nickt oder gar sagt 'gut' oder überhaupt einen zufriedenen Eindruck macht, dann stimmt die Sache, dann ist zwischen den Beiden Einigkeit, dann gibt es allenfalls ein Gespräch mit noch einem Fachdozenten und der Rest 'kommt mit', wie man sagt, oder gibt vor, mitzukommen.
Eben das ist ja das, was ich aufheben möchte, in gewissen Richtungen, dass das nicht so ist. Also wem sagt er was? Er sagt es nicht dem Lehrer, überhaupt nicht dem Lehrer, der Lehrer hat überhaupt kein Anrecht, am Gespräch teilzunehmen, möchte ich sagen.
Aber er sagt es den anderen und zwar allen anderen. Er guckt sie auch an, denn er muss wissen, was die sagen wollen.
Das haben Sie nicht getan und konnten es auch nicht tun, weil ich ja diese Einleitung noch nicht gehalten habe. Ich bin auch mit darauf hereingefallen.
Das Ergebnis war, dass so einige Sachen halbklar vorübergegangen sind und dann wieder verschwunden. Die Punkte, die sich hätten klären lassen, die jetzt hätten geklärt werden müssen, waren recht schwierig, die waren als dunkle Punkte.
Zum ersten Mal, wieso der Pfahl ziehen kann oder halten kann. Das schon zu unterscheiden ist gar nicht einfach. Dass die Kraft also ein doppelköpfiges Wesen ist. Und das Zweite, die große Falltür, war die Reibung, die ja eine ganz besondere Kraft ist, ganz anders als die anderen, da sie nur in Kraft tritt, wenn das Ding, an dem sie angreift, wie man sagt, schon in Bewegung ist. Wenn ein Ding bloß da liegt, hat es mit Reibung nichts zu tun. Das sind alles ganz schwierige Sachen. Mit anderen Worten, das ganze Thema war viel zu schwierig. Ich lasse es fallen.
Ich fange jetzt ganz brav wieder ganz unten an, ganz unten heißt innerhalb meines Repertoires.
Ich habe ja eine Kette von Beispielen, von denen einige schwierig sind, einige sind also schwierig und einige ganz sonnenklar. Und die Sonnenklaren sind ja meistens natürlich die mathematischen. Weil wir sie ja selber machen.
Aber vorher möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Wenn also einer etwas gesagt hat an die anderen, die haben also nun die Pflicht, das zu hören. Nicht an sich vorbeirauschen zu lassen, sondern das zu hören, was der gesagt hat und dann zu sagen, was sie denken.
Es sagt also jeder, was er denkt, eine entsetzliche Anforderung, außerordentlich schwierig. Nicht schwierig, wenn man Laien hat, die mit diesem Fach, was man gerade traktiert, nichts zu tun gehabt haben. Mit denen kann man das leicht, auch wenn sie schon erwachsen sind.
Dazu gehört auch viel Zeit, Ruhe und Ablegen aller schülerhaften, lehrerhaften Gewohnheiten. Das kann man nur langsam lernen.
Und wenn ich Sie jetzt bitte, zu sagen, was Sie dazu meinen, dann fängt es schon an. Dann werden Sie natürlich keine Neigung haben, etwas zu sagen.
Deswegen komme ich wieder konkret an mit einem alten Beispiel, mit dem ich häufig angefangen habe, weil es ganz einfach ist und ganz ideal ist. Welches ist dann mein bestes Beispiel? Sie wissen es, Frau Feldmann.

* Ich nehme an, dass Sie den Kreis meinen, wo der Radius sechsmal rumgeht.

# Wer es schon kennt, wird natürlich gebeten, sich so zu verhalten, wie ich schon sagte, als kennte er es nicht. Kunststück. Aber es geht, ich weiß nicht, wie man dazu anleiten kann. Die Frage ist überhaupt nicht, ob ich etwas weiß, ob ich etwas gelernt habe.
Es handelt sich überhaupt nicht darum, bestimmte Tatsachen, Sätze, Kenntnisse zu erwerben. Das muss man auch, das ist dann Information. Dies ist keine Information.
Ja, ist es einigermaßen deutlich? Finden Sie, dass das deutlich war?

* Ja, ich kenne es ja schon, deswegen bin ich vorbereitet.

# Deswegen frage ich Sie ja doch.

* Also ich meine schon.

# Es kommt nicht darauf an, dass die richtige Lösung ausgesprochen wird von irgendwem, dass er sagt, was er jetzt zur Sache denkt. Ich kann natürlich nicht verlangen, dass sie das, was Sie wissen, vergesen, total vergessen, das geht ja nicht. Aber wenn man mal merkt, wie das ist, ganz naiv.
Wer von Ihnen hat denn mit Mathematik nichts zu tun? Alle schwer belastet (da sich keiner meldete), hatte ich gar nicht gewusst.
Trotzdem, dann werden Sie sofort sagen, 'was ist das für eine simple Sache hier. Die ist doch im Handumdrehen erledigt.'
Ist sie auch. Ja, darauf kommt es nicht an, dass man sie im Handumdrehen erledigt, sondern dass man sie selbst erledigt, nicht allein, sondern auch nicht im Zwiegespräch mit dem, der so tut als wäre er der Lehrer, sondern mit den anderen. Und zu allen reden, auch angucken.
In der Schule werden vergleichbare Dinge nicht gemacht, da guckt man nur noch nach vorne. Man kennt auch als Lehrer nur die Vorderseite, bei dieser Anordnung sieht man nur Gesichter.
Ich habe in der öffentlichen Schule manchmal wochenlang gebraucht, bis ich die Kerle von der Seite gesehen habe, oder mal auf der Straße. Wie die eigentlich aussehen.
Es war erstens nur ihr Normalgesicht und da war außerdem eine Schulmaske davor. Man kennt dies ja.
Also wenn dies eine Schulklasse wäre und ich würde schon in diesem Sinn unterrichten können, dann wissen die wirklich nichts. Das ist natürlich schön.
Wenn ich in der Schweiz bin bei einer bestimmten Lehrergruppe, dann sind das meistens solche Lehrer, die überhaupt nichts von Mathematik wissen. Das ist großartig, die denken nämlich dann wirklich nach, während unsereiner einen Haufen Zeug im Kopf hat und nun sich umguckt bei diesem Zeug, was er so hat, ob da nichts brauchbar ist, um eingesetzt zu werden, um das Problem zu knacken, schnell, schnell.
Es handelt sich nicht um irgendein Problem selber, sondern es handelt sich darum, Mathematik zu entdecken. Und ich habe bemerkt, dass es Leute gibt, die Mathematik studiert haben, ohne sie überhaupt entdeckt zu haben.
Das kommt vor, wenn das jemand sehr schnell macht und Pech hat. Dass er dann eigentlich nicht weiß, was er tut. Was er dann so Mathematik nennt oder auch Physik nennt, Physik ist noch viel, wie das Bild an der Tafel zeigt (zwei Karikaturen).
Also wenn Sie Kinder wären, würde ich sagen, ich zeige es dir jetzt mal, und, natürlich, ich habe es gemacht, und nicht so, wie ich es hier mache, aber der Anfang so. Wenn Sie Kinder wären, würde ich sagen, ich male euch mal einen Kreis an die Wand, oder ich sage zu einem, er soll mal einen Kreis machen.
Dann guckt er zunächst in die Ecken und holt den Zirkel. "Nein," sage ich, "nicht so. Einfach so." Dann macht er da einen, ist unzufrieden, ist schlecht. Ich kann auch so anfangen, dass ich selbst den Kreis mache. Ja, ich zeichne jetzt einen Kreis, und das tue ich dann auch recht schlecht, eine Kartoffel, absichtlich. Aber die Absicht darf nicht erkennbar sein. Ich muss so tun, als gäbe ich mir große Mühe einen Kreis zu machen, so langsam, und dann wird also die Kartoffel daraus.
Und dann sagt dann einer: "Na, hören Sie mal, das ist doch gar keiner". - "Ja", sage ich, "das finde ich auch".
Und dann macht es einer besser. Und dann... ist ja klar, wie sich die Sache weiter entwickelt. Das kann er nicht genau wissen, ob sie dann nach einem Zirkel verlangen. Wahrscheinlich.
Das ist dieses hochkultivierte Instrument. Der Zirkel ist ein hochkultiviertes Instrument, der verbirgt, was er zeigt, was er meint. Er meint nämlich den Abstand zwischen den beiden Zirkelspitzen. Das sieht aber aus, als ob er herum etwas täte. Das Richtige ist natürlich, was meinen Sie?

* Eine Schnur.

# Schnur? Ja. Aus welchem Material? Nicht aus Gummi. Ich kann es nicht sehen, wenn Sie lachen.

* Der zieht sich dann, der Gummi, der Kreis wird dann immer größer.

# Na, ich würde die Schnur vorziehen, weil man dann den sogenannten Radius in der Hand hat. Da weiß man doch, was man meint.
Und dann würde ich vorschlagen... da denkt einer, was schlägt er jetzt wieder vor und warum schlägt er denn das vor?
Dann sage ich, 'ich schlage euch das vor, weil ihr jetzt etwas sehen sollt, was ihr noch nicht seht. Werdet schon sehen, was kommt.'
Und dann werde ich also den Kreis mit der Schnur machen. Und dann werde ich tun, dass ich diesen Kreis jetzt in der Hand habe, in der Peripherie - ich sage nicht Peripherie, wie sagt man da? Umfang, Kreislinie - in der Kreislinie einsetze und so dann weiter und dann weiter und dann weiter, und dann noch weiter, immer weiter und immer so herum.
Also mathematisch gesprochen, ihn als Sehne anzutragen im Umfang fortlaufend. Das gibt dann lauter Einstiche. Hier fange ich an, hier ist der zweite, dritte, vierte, fünfte, sechste, siebente, achte, neunte, zehnte, lauter Einstiche.
Was ist zu erwarten, wie sieht das Bild dann aus, wenn ich eine Viertelstunde das gemacht habe? Wie das Bild aussieht? - Lauter Einstiche, ja, aber wieviele? Ich habe es eine Viertelstunde lang gemacht...
Sagen Sie es doch. Nicht als Mathematiker, sondern als Ahnungsloser. Ich muss es zeichnen, nichts zu machen.
Hat jemand eine Schnur?

() Ein Stück Wolle vom Strickzeug wird gereicht, an der Tafel entsteht eine Zeichnung, die etwa so aussieht: Einmal, zweimal, sechsmal, zwanzigmal.

# Also zeichnen Sie es. (Eine Teilnehmerin geht an die Tafel.) Aber so genau wie möglich, natürlich.

* Ich mache noch einmal den Kreis.

# Natürlich auch die Frage, ob es darauf ankommt, wie groß der Kreis ist.

* Ja, wenn man das die Leute machen lässt, gibt es sowieso verschieden große Kreise.

() Teilnehmerin zeichnet in der Zwischenzeit den Kreis an die Tafel, es 'klappt' natürlich nicht:

- So, ich habe aber keine Lust, das eine Viertelstunde zu machen.

- Ja, warum denn nicht?

# Die Punkte sind ja da. Sie sollten nur noch den Anfangspunkt kennzeichnen. (Der Punkt wird gesucht, er ist nicht mehr bekannt).

* Als Physiklehrer ist es völlig klar, es sind zwei paarweise zusammen, also liegt die Wahrheit in der Mitte.

# Na ja, falls Sie Schulkinder wären, würden Sie sagen 'na ja, also was denn nun?' Sie wissen das natürlich, ich brauche es gar nicht auszusprechen. Aber ich würde dann sagen: 'Macht es doch mal genauer' das heißt jeder für sich, meinetwegen auch mit dem Zirkel, dann entsteht also vor jedem ein Ding.
Darf ich dann sagen -so nebenbei eingeschaltet- 'aber passt auf, dass Ihr alle den selben Kreis habt' ? Nicht einen großen, die anderen einen kleinen.
Was glauben Sie jetzt zu dieser Querfrage? Eingeschaltete Frage.

* Ich würde sagen, diese Frage kommt als erstes mal von den Schülern, was für einen Radius das haben soll.

# Ich habe Sie gefragt, um Sie zu verwirren, unter uns gesprochen, und auch nicht zu verwirren, Sie aktiv zu machen.
Ich habe gefragt: Müssen jetzt alle den gleichen Kreis machen?
Sagen Sie jetzt, was Sie denken, oder was die Schüler antworten müssen, wenn sie bei Verstand wären, die Schüler, was würden sie machen?
Würden die schon etwas sagen?
Ich weiß es ja nicht. Mich interessiert nur, was Sie erwarten.
Großer Kreis, kleiner Kreis?

* Großer Kreis wird genauer.

# Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Die Frage war wahrscheinlich verfrüht.
Und jetzt mache ich den Versuch, dass jeder für sich sehr genau zeichnet. Dann kann ich ihm das Ergebnis sagen.
Oder können Sie es erraten? Was die nun feststellen? Vielleicht wissen Sie es gar nicht, das wäre aber schön.
Wer als Student weiß und als Lehrer weiß, was hier gespielt wird?

* Also ich weiß, dass ich schon ganz klein mit Zirkel meine Sechsecke damit gemacht habe.

- Doch, das habe ich auch gemacht.

# Dann können Sie aber auch sagen, was die Kinder sagen werden, wenn sie das nun so eifrig machen, jeder für sich und nach einiger Zeit gucken sie.
Einige werden aktiv werden, werden eine Entdeckung machen.

* Ja, einige kommen meiner Meinung nach, dass es genau sechsmal geht, der Radius auf dem Umfang der Kreislinie.
Aber manche, es kommt darauf an, wie der Zirkel ist, wie genau man zeichnet, die merken auf einmal: Halt, der Anfangspunkt stimmt mit meinem sechsten Punkt nicht mehr ganz überein.
Was mache ich denn jetzt? Habe ich ungenau gezeichnet oder ist das wirklich so?

# Und wie wird es weitergehen? Ich mache das jetzt so, um Ihre Phantasie anzuregen. Ich muss ja auch als Lehrer wissen, was vielleicht passieren wird.
Vorher, zu Hause, da überlegt man sich, was die vielleicht sagen könnten. Man darf sich doch nicht einen festen Plan machen, was sie sagen müssten.
Jedenfalls drücken die das so aus, dass sie sagen 'es geht auf.' Merkwürdige Ausdrucksweise.

* Das ist wie beim Teilen, es bleibt kein Rest übrig.

- Aber es geht nur mit einem guten Zirkel auf.

# Sagen sie das wirklich?

* Wer den besten Zirkelkasten hat, mit dem geht es.

# Wenn sie schon vergleichen würden, ja. Da gibt es erst einmal welche, die sind sehr früh zufrieden und sagen 'bei mir geht es sechsmal' und dann gibt es welche, die sagen 'ach wo, bei mir nicht'. Na, Sie können sich ja denken, wie es weitergeht, immer genauer. Was wäre die nächste Frage, die ich stellen muss? Ich frage ja keine Kenntnisse heraus, ich stelle ja nur Fragen, die - verführen. Nicht zum Ergebnis, sondern etwas zu sagen, was in der Luft liegt.

* Ob das auch bei allen Kreisen geht, bei großen und bei kleinen Kreisen geht.

# Darauf wollen Sie zurückkommen, ja. Was zeigt sich denn dann? Lassen wir das direkt jetzt.
Wundert es Sie, dass das bei allen Kreisen so ist, dass es ungefähr sechsmal geht? Bei großen und bei kleinen. Ist das wert, festgestellt zu werden? Oder ist das selbstverständlich, dass... jetzt verschlucke ich eine mathematische Formulierung. Ist das selbstverständlich, dass dieses Sechsmal, wenn es genau stimmt, nichts damit zu tun hat, wie groß der Kreis ist? Was würden Sie denn denken? Jetzt, hier. Ist das selbstverständlich oder nicht?

* Ja, ich würde - es ist selbstverständlich.

- Warum?

- Warum? Ja, ich will es noch nicht sagen.

- Das sagen die Kinder erst einmal nicht.

- Ja, ich bin ja jetzt nicht als Kind gefragt. Das ist schwierig, aber ich habe lange überlegt und mir ist es mittlerweile selbstverständlich.

- Mir nicht.

# Sie haben es lange überlegt?

* Ja, aber jetzt ist es mir klar.

- Mir nicht.

# Mir auch nicht.

* Ich kann ja eine Begründung dafür angeben.

# Wenn ich das bis jetzt unterrichtet habe, habe ich das als selbstverständlich angenommen. Aber das kommt mir heute gar nicht in den Sinn, noch dazu, dass ich es frage. Das ist doch gar nicht selbstverständlich, dass große Dinge von gleicher Form, jetzt frage ich die Mathematiker: Wissen Sie, was man da macht? Kann man es aussprechen? Sind alle Kreise einander ähnlich? So heißt das ja wohl. Sind alle gleichseitigen Dreiecke einander ähnlich? Ganz egal, an welchem ich arbeite? Sind die mathematischen Feststellungen invariant gegen die Größe der Objekte?

* Beim Kreis kann man sich ja einfach einmal überlegen, was habe ich als Rezept bekommen, um meinen Kreis zu machen? Da hat der Lehrer ein anderes Rezept an der Tafel benutzt als ich in meinem Heft benutzt habe.

# Rezept ist der rote Faden.

* Das Rezept, wie man den Kreis macht.

# Ja. Den macht man so, wie er gemacht worden ist.

* Und selbst wenn man das nach dem gleichen Rezept macht, war ja vorher nichts gesagt worden. Manche werden dann einfach Vorteile von der Bedingung, dass ihnen nicht mehr Informationen gegeben sind als diese, ziehen.

# Aber so kommen wir nicht weiter. Aber ich würde die Frage anders stellen, glaube ich. Ich weiß auch nicht, was die Kinder sagen würden, eine Altersfrage. Ich glaube, sie würden sagen 'selbstverständlich ist das ganz egal, Kleinigkeit'. Ich würde auch akzeptieren, dass ich nicht widerlegen kann, dass es selbstverständlich ist. Das fängt an, mich zu interessieren; vielleicht könnten die Mathematiker einmal darüber nachdenken. Aber wenn diese Frage klar ist, dass der Kreis selbst gemeint ist, nicht seine Größe, dann haben Sie nur also die Feststellung: Bei mir stimmt es, bei mir stimmt es schlecht, und es gibt solche, die sagen 'ohne mich, interessiert mich nicht'. Da würde ich dann sagen 'auch gar nicht nötig', wenn ich eine vernünftige Schule hätte, würde ich sagen 'kannst ruhig rausgehen'. Wenn Kinder nicht... also es sieht so aus, als ginge es sechsmal. Was frage ich jetzt? Ich frage immer noch, um das Problem festzustellen, das ich stellen werde. Ist noch gar nicht da. Ist noch kein Problem. Oder ist es doch ein Problem? Das heißt, es ist etwas Merkwürdiges, Auffälliges, Komisches, was wir da feststellen, dass da nicht tausend Punkte entstehen, wenn der Zeiger der Zeit immer da rumläuft und sich da einknipst, sondern dass es so aussieht, als ob er immer in dieselben Löcher will, immer in dieselben sechs Löcher. Ist das etwas zum Wundern? Wenn nicht, dann ist die Frage zu früh gestellt, altersmäßig. Von einem gewissen Alter an weiß man, dass das sehr merkwürdig ist. Warum ist das merkwürdig? Ich weiß nicht, ob diese Teilnehmer das sagen können. Ich meine, ich würde mich wundern, dass ein gerades Ding wie der Radius eine so geheime Beziehung hat zu dem runden Ding, was er allerdings geschaffen hat. Dass er sich da dermaßen einpasst, ganz, restlos, vollkommen. Also wer das nicht als denkenswert oder merkwürdig oder nachdenklich sehen oder rätselhaft, wunderbar, wie Galilei sagt, empfindet, der kann eigentlich nicht an der Untersuchung teilnehmen, da ihm die Motivation fehlt. So ist das ein ganz hohes Thema, aber Kinder sind meistens doch auch sehr erstaunt. Aber sie sind... kommt auf das Alter an, ganz und gar, unter zwölf sicher nicht, am besten viel älter, also Abiturienten, später ist wieder gefährlich, denn später haben sie zuviel Schule gehabt. Dann interessiert sie das gar nicht mehr und sie finden, das ist doch eine ganz furchtbar simple Sache, dass es gerade sechsmal geht. Und dazu werden Sie, glaube ich, auch gehören, wenn Sie es zum ersten Mal kennengelernt haben. Würde ich auch gesagt haben, dass das sechsmal geht. Anders gesprochen, unter uns, können Sie es beweisen? Mit Kenntnissen natürlich.

* Das wäre für mich der Grund zu sagen, dass ich das nicht verstehe, weil ich nicht begründen kann, warum das so ist.

# Sie sind Physiker?

* Also ich studiere nicht Mathematik als zweites Fach.

# Ja, das ist ja zweierlei, Mathematik studiert zu haben und sich als Mathematiker zu empfinden. Wer kann es denn beweisen? (Keine Meldung) Ach, das sind ja wunderbare Unkenntnisse! Ein echter Glücksfall. Sie waren das letzte Mal dabei und Sie natürlich auch (Müller und Feldmann), Sie nicht, Gott sei Dank.

* Nein, ich war nicht dabei.

# Und Sie?

* Ich habe den Beweis gehabt, aber auswendig weiß ich ihn nicht mehr.

# Was kann man denn da machen, wenn man so ein Problem lösen will, ob das sechsmal gehen muss? Vor allen Dingen guckt man sich die Sache mal an. Einfach angucken. Hingucken, habe ich kürzlich gelesen, wer hat denn das gesagt... hingucken ist schon viel - ehe man nachdenkt. Man kann nicht einfach losdenken. Ich sagte, die Sache selbst, die muss anwesend sein. (Geht zur Tafel und zeichnet ein ungefähres Sechseck).
Wollen Sie es nicht lieber zeichnen?

() Gerlinde Feldmann geht zur Tafel und zeichnet einen neuen Kreis.

* Ich zeichne jetzt das Sechseck in den Kreis, genau ist es nicht.

# Es genügt schon, wenn es ungefähr ist. Wir wissen ja schon -das hier ist die experimentelle Seite der Sache- wie es aussieht.

* So ungefähr stimmt es.

# Vielleicht sollte man es an einer Stelle nicht so genau machen, irgendwo stimmt es ja nicht immer.

* Unten stimmt es nicht, an dem anderen Stück, da geht es weiter weg.

# Nun will man sehen, ob es genau ist. Was macht man jetzt? Man guckt es an, man muss sehen, was man vor sich hat. Aber das hilft auch nichts. Dann starrt man nämlich, starren hilft nichts. Die meisten Schüler in der Schule starren die Dinge an. Sie müssen also strukturieren, müssen etwas machen. Man muss überhaupt etwas machen an dem Ding. Ja, was soll man denn hier machen? Soll man noch etwas dazu machen?

* Ich würde noch mehr Linien reinmalen.

# Schlangenlinien?

* Nein (geht an die Tafel und erklärt) Ich weiß ja, dass das da (die Sechseckseite) der Radius ist, und wenn ich dann überlege, den habe ich auch hier und da (Linien vom Mittelpunkt in die Ecken und zeichnet die Radien ein, sechs Dreiecke entstehen).

# Ganz dumm gefragt: Warum gerade diese Linien?

* Ja, von denen weiß ich, wie lang sie sind.

# Das sind die selben, die schon da sind. Aber hier sind sie sozusagen an ihrem Geburtsort, von dem sie herkommen. Dann sieht man, wovon man redet, das sind dieselben Strecken. Dann weiß man nämlich mehr, dann weiß man immerhin noch genauer, wovon man redet... Man weiß, dass die sternförmig herauskommenden, wie sagt man dazu? Die Speichen, die scheinen sechsmal außen herum zu gehen.

* Ja, außerdem ist dann eines klar, dass das gleichseitige Dreiecke sein müssen, die man da jetzt sieht.

# Wenn Sie dazu gleichseitige Dreiecke sagen, kann man doch schon erkennen, dass Sie Mahematikunterricht gehabt haben.

* Nein, ich weiß ja, dass vom Mittelpunkt und außen herum...

# Ich meine den Ausdruck.

* Man kann ja sagen: Ein Dreieck mit drei gleichen Seiten.

# Sagen Sie es doch so, wie Sie es sagen würden, wenn Sie noch nie Mathematikunterricht gehabt hätten.

* Findet man überhaupt jemanden, der noch nie...

- Kinder.

# Kinder würden das doch nicht sagen, die haben doch solche Vokabeln nicht gelernt 'gleichseitiges Dreieck'.

* Dreieck, das drei gleich lange Seiten hat.

# Ja, das ist auch noch sehr...

* Ein Dreieck, bei dem alle Linien gleich lang sind.

# Na ja, wir wissen ja, wovon die Rede ist. Was haben wir damit gewonnen? In diesem merkwürdigen Gebilde, das strukturiert sie schon (die neuen Linien). Man sieht darin Gestalten, Dreiecke. Man sieht Dreiecke, die lauter gleiche Ecken haben, würde ich sagen. Es ist ganz wünschenswert unbestimmt, 'Ecke', Winkel gibt es noch nicht. Ja, jetzt könnte man fragen, was nützt einem denn das? Kommt man damit weiter? Ich habe sie jetzt, wie sie sind. Wie kann man damit etwas beweisen?

* Aber ich gehe nochmal zurück. Dass es drei gleiche Ecken sind, das ist eine Behauptung, das sieht man vielleicht. Aber dass alle Seiten gleich sind, das haben wir konstruiert, deswegen weiß ich nicht, ob ich auf die Ecken ginge.

# Nein, Sie haben recht. Zustimmung?

* Ja.

# Zugegeben. Wer könnte es beweisen? Mit Schulkenntnissen? Mit Kenntnissen, Vorratskenntnissen, Eingemachtes.

* Ja, ich. Ja. Ich habe eine andere Frage, die mir durch den Kopf geht. Und zwar an der Zeichnung. Ist es jetzt so, dass diese Linie (zwei Dreieckseiten, die eine Sechseckdiagonale bilden) gerade sich hier (nach dem Mittelpunkt) fortsetzt oder ist es eher so, wie es hier gezeichnet ist, dass hier nochmal ein Knick drin ist? Das fände ich interessant.

- Was?

# Sicher, nochmal zeigen.

* Ja, was ist jetzt, ist es so, wenn ich es konstruiere, dass diese Linie sich gerade fortsetzt oder ist es so, dass hier ein Knick entsteht? Was ist richtig? Das müsste man jetzt nachweisen.

# Was hat diese Frage mit der Sechsfrage zu tun?

* Wenn man sie klärt, ist der Beweis nachher, glaube ich, relativ einfach.

# Ja. Können Sie etwas anfangen damit? Wenn Sie jetzt mit ihm ein Privatgespräch anfangen, handle ich falsch. Können Sie damit etwas nützliches anfangen?

* Ja, wie soll ich denn zeigen, dass die Linie gerade ist? Ich kann da schließlich mein Lineal daranlegen und gucken, aber dann werden die Schüler auch wieder sagen 'ich weiß doch nicht, wie ich das beweisen kann'.

# Das ist an Sie gerichtet, die Frage. Die Antwort?

* Ja, das ist das Problem, wie ich das beweisen soll. Das geht wirklich darum: Das Problem ist, ist die Linie gerade oder ist sie nicht gerade? Wenn ich es beweisen kann, ja, die Frage ist, kann ich es beweisen? Ich behaupte, wenn ich es beweisen kann, bin ich für den gesamten Beweis, bin ich so ein ganzes Stück nähergekommen, um den Gesamtbeweis zu führen.

# Also dass man den Beweis erleichtern kann, wenn Sie erstmal das beweisen.

* Also ich würde sagen, wenn es wirklich sechsmal herumpasst, muss die Linie gerade gehen, es wird praktisch dadurch geklärt.

# Wieso? Angenommen, Sie hätten bewiesen, dass es diese Durchmesser gibt, die egal, ohne Knick durchgeht. Angenommen, Sie hätten das bewiesen, wir haben das nicht bewiesen, angenommen, wir hätten es bewiesen, angenommen, wir hätten es, könnten wir dann beweisen, dass es sechsmal geht?

* Das stimmt, das wäre die gleiche Frage.

- Hm.

# Das ist die Frage... Benutzen Sie da was?

* Ich benutze nur, dass die Dreiecke alle gleich sind, mehr nicht.

# Das ist ja klar. Außerdem, haben Sie gar nicht gesagt. Meinen Sie bloß diesen einen?

* Ich meine dann alle, weil sich die Dreiecke ja von der Konstruktion her überhaupt nicht unterscheiden. Wenn ich die ausschneiden würde, würden die alle aufeinanderpassen. Es gibt also kein Dreieck, das sich von einem anderen wesentlich unterscheidet. Die sind alle gleichberechtigt.

# Sie haben jetzt furchtbar viel gesagt. Jetzt sagen Sie mal lieber nichts. Was finden Sie jetzt, hier, unter uns, wie man es beweisen kann?

* Ja, was jetzt beweisen, dass die gerade sein soll oder dass es sechsmal geht?

- Dass es sechsmal geht.

# Na, das wäre dasselbe vielleicht. Kommt darauf an, was Sie wollen. Er hat noch einen Vorschlag gemacht, ganz unter der Hand, der sehr wichtig ist. Das ist nämlich, ob man das nicht auch mit rausgeschnittenen Dreiecken machen kann. In einer idealen Schule würde man diese Holzdreiecke selber machen. Aber es müssen ja keine Holzdreiecke sein, Pappdreiecke. Wie man die macht? Angenommen man hätte sie, sechs Dreiecke. Wenn man die hätte, wäre dann etwas gewonnen? Gute Dreiecke natürlich, anständige, genaue.

* Ich würde das vielleicht nicht mit Ausschneiden machen, sondern ich würde das so machen, dass ich die eine Ecke der Dreiecke an dem Mittelpunkt festhalte und dann das eine Dreieck, von dem ich weiß, dass es gleiche Seiten hat, dass ich das immer umklappe, immer weiter klappe, also... (geht an die Tafel und erklärt an der Figur) also diese Linie ist genauso entstanden wie diese hier und dann würde ich sehen, dass die auch aufeinander zu liegen kommen und dann würde ich das Dreieck hier so rumklappen und dann würde ich hier rumklappen und da rumklappen...

# Dann wollen Sie wissen, ob das sechsmal geht.

* Das weiß man dann auch noch nicht.

# Ist das ein Beweis?

* Nein, nein, das kommt dann erst.

# Sondern was ist es?

* Das ist noch ein Probieren und außerdem ist es so, wenn man wüsste, dass diese Verbindungslinie gerade ist, dann müsste es stimmen, denn sonst gäbe es ja, wenn ich weitergeklappt habe, eine geknickte Linie. Da es keine geknickte Linie geben darf am Ende, dann habe ich durch das Herumklappen den Beweis erbracht.

# Jedenfalls haben Sie etwas erreicht, aber noch keinen Beweis. Das ist ein Hinweis darauf, mit welchen Mitteln man arbeiten kann, aber man bemerkt eigentlich gar nicht, dass man jetzt schon den Kreis eigentlich gar nicht mehr braucht. Die Frage, ob der Zirkel da sechsmal rumgeht im Kreis, ist eine Kreisfrage. Aber die Frage ist jetzt dermaßen begradigt, wenn Sie von Holzdreiecken ausgehen, dass die Behauptung, was wir beweisen wollen, ohne das Wort 'Kreis' ansprechbar ist. Das haben Sie doch gemacht, nicht?

* Hmm.

# Wie würde es dann heißen? Die Frage, nicht der Beweis. Die Frage hieß erst: Geht der Zirkel sechsmal herum, genau? Und jetzt ist eine neue Formulierung entstanden.

* Ja, man kann es dann so formulieren: Passen sechs Dreiecke, die alle gleich lange Seiten haben, pasen die so zusammen, dass die Fläche geschlossen ist?

- Gibt es da Lücken, wenn ich klappe? Bleibt da eine Lücke oder bleibt keine Lücke?

# Stimmen Sie zu, dass das dieselbe Sache ist, dieselbe Behauptung? Kein Beweis, sondern eine andere Form der Aussage, die das Krumme vermeidet. Das Krumme ist ja schwieriger als das Gerade. Das finden die Mathematiker ja auch. Also beweisen Sie so oder haben Sie schon bewiesen?

* Nein, ich könnte es ausprobieren, ich könnte eine Art Zuckerhut nehmen, und es auch mal ausprobieren.

# Insofern ist es eine Kindergartenangelegenheit. Es geht! Und es ist auch eine Kindergartenangelegenheit, wenn Sie den Kreis mit dem Zirkel füllen und das fortsetzen, dann entsteht die schöne sechseckige Blume, das kann man noch nach außen fortsetzen, dann entsteht ein ganzes Muster. Das soll man ja nicht unterdrücken, im Gegenteil. Es breitet sich aus, dass es sechsmal geht. Und zwar ist doch die Frage deutlich, ob es genau sechsmal geht. Was würden Sie denn machen, wenn es 5,9mal ginge? Oder 5,999 oder ist diese Frage unberechtigt? Im Kindergarten ja, sicher. Die würden nicht verstehen, was ich da rede.

* Also wenn man das mit dem Umklappen machen würde, würde ich zwei Situationen ausprobieren. Einmal könnte man das Ganze in einer Kuhle machen, und das andere Mal auf so einer Art Zuckerhut. Also da stimmt es beide Male nicht, das sind die Extreme.

# Da muss man also das Dreieck sehr genau machen, hohe Ansprüche an Genauigkeit für dieses.

* Ich verstehe nicht, warum das in einer Kuhle und auf einem Zuckerhut ablaufen soll. Ich zeichne den Kreis doch an die Tafel. Oder habe ich jetzt irgendetwas verpasst?

- Nein, nein, das geht um das Klappen, wenn ich klappe, gibt es Situationen, in denen kommt es am Ende nicht so als Gerade heraus.

- Ich klappe doch eigentlich auf dem Tisch.

- Ja, das stimmt ja auch.

- Warum soll man da noch soviele Extras dazu denken?

- Nur eine Begründung dafür finden, dass es in dem Fall stimmt. Das muss man halt in allen pädagogischen Richtungen ausprobieren.

- Ich weiß doch noch gar nicht, ob es stimmt.

- Sehe ich ja, aber das hier ist noch kein Beweis.

# Und jetzt sind wir an einer ganz wichtigen Frage, gehen Sie nur nicht darüber hinweg. Sie sind unterwegs von der Kindergartenfrage zum Mathematischen. Was soll denn das heißen, dass es genau sechsmal geht? Hat die Frage vielleicht gar keinen Sinn? Man sieht es doch! Und wenn wir gut geschnitten haben, die Dreiecke, wenn sie wirklich gleiche Seiten haben, also die Frage `geht es 6,000mal?'

* Also nach diesem Probieren mit dem Rumklappen würde ich einmal einen Punkt auf dem Rand festhalten.

# Ja, das darf man, natürlich. Was ich jetzt sage, ist eine Grundsatzfrage. Was heißt es, wenn wir hier nach Genauigkeit fragen? Das hängt mit dem Beweis zusammen. Was soll das heißen? Ist die Frage überhaupt sinnvoll? Sie werden doch verstehen, dass ein einfacher Mensch, wahrscheinlich auch ein Schreiner, der nicht Mathematik kennt, diese Frage als blöd bezeichnet.

* Dem reicht es, wenn es praktisch geht.

# Mir reicht das, was haben die für Sorgen, die so Zeug machen. Dann wird es also ernst, und da fängt die Mathematik überhaupt erst an. Vorher ist es Schreinerei. Ich sage nicht, dass das etwas besonders Vornehmes ist, aber das gibt es merkwürdigerweise. Und wenn man solche Dinge nicht durchdacht hat, hat man nicht begriffen, was Mathematik ist und kann doch sehr gut alle Lehrsätze können.

* Also wenn es genau sechsmal geht, dann geht es eigentlich nur im Kopf genau sechsmal. Wenn man es praktisch macht, wird es mit Sicherheit nie genau sechsmal gehen. Wenn ich sehr genau messe, werde ich immer Differenzen feststellen.

# Was sagen Sie dazu?

* Ich glaube, der Übergang liegt in dem Punkt, wo ich sage, ich will das machen können, also ich will das so klappen können.

- Ja,ja.

- Der Punkt im Kindergarten ist doch der, dass man das tatsächlich macht und ausprobiert, und dann (später) verzichtet man auf das Ausprobieren und sagt jetzt: Aber ich müsste das so machen können, dass das so aufeinander zu liegen kommt. Deswegen sage ich, ich halte jetzt einmal einen Punkt am Rande fest und denke mir dann, dass ich den Rest umklappe. Durch diese gedanklichen Klapp-Operationen lassen die sich gegenseitig keinen Spielraum mehr für irgendwelche Abweichungen.

- Das Gedankliche ist das Entscheidende bei der Sache.

- Und was mache ich dann mit dem Schüler, der es gezeichnet hat und bei dem ein Dreieck kleiner ist und der ganz ehrlich sagt `ich habe geschummelt, ich habe zwar sechs Dreiecke, aber eins ist kleiner'? Das passiert mir doch, oder ist mir passiert. Und beim anderen blieb ein Spalt übrig, der konnte sieben machen.

- Der kann dann nicht die Operationen machen, die ich mit meinem (Klappen) machen kann.

- Die Frage ist: Was ist mit diesem Schüler?

- Die Frage ist, habe ich dann recht oder hat der womöglich recht, sind es womöglich nicht doch sieben Dreiecke? Oder fünf gleiche und das sechste ist nicht ganz genau so groß?

- Ja, ist das die Frage im zeichnerischen Bereich, also wenn ich mit der Schere diese Unzulänglichkeiten ausschalte, ob es dann genau sechsmal geht, ob es also einen Grund dafür gibt, warum das also sechsmal gehen muss?

# Wenn ich davon absehen soll, existiert ja gar nichts mehr, dann ist ja nichts mehr auf dem Tisch.

* Warum soll es denn sechsmal gehen?

- Nur im Kopf.

- Das will ich ja herausfinden.

- Das behauptet da vorne einer.

- Nein, nein, wie ich das bis jetzt verstanden habe, das haben wir gezeichnet und es entstand die Frage, geht das genau sechsmal und die Fage wollen wir ja klären.

# Was damit gemeint ist.

* Wenn es genau sechsmal geht oder gehen soll, was müssen dann die einzelnen Dinge für Bedingungen erfüllen? Er erklärt es eben damit, wenn man das jetzt so ausführt (das Klappen) und die passen alle schön aufeinander, dann geht es eben sechsmal.

- Und ich habe ein Modell und habe herumgeklappt und da ist am Ende eine Lücke geblieben...

# Und der Schreiner sagt `wie soll man denn das entscheiden?'. Der wird sagen 'was heißt denn genau, ich kann doch überhaupt nichts genau?'

* Deswegen kann man es auch mit schreinerischen Mitteln eben nicht machen.

# Nein.

- Sondern mit welchen?

- Nur gedanklich.

# Also die Holzdinger sind doch sehr nützlich, dass man weiß, was man im Kopf hat.

* (geht zur Tafel und zeigt ein Dreieck) Also ich würde vorschlagen, dass man jetzt anfängt hier rumzuklappen, und wenn man jetzt merken würde, dass das hier nicht aufgeht sondern nur bis hierhin (ein Stück davor) reichen würde, dann würde man als nächstes eine Operation machen, wo man beispielsweise von diesem Punkt hier klappt. Und dann würde man merken, die Operation funktioniert dann nicht mehr. Das kann man dann darauf zurückführen, dass diese Strecke hier nicht mehr mit der anderen zur Deckung kommt. Also da hat man einen Fehler gemacht im Zeichnen, dadurch dass es dann mit dem Klappen nicht mehr stimmt, bei einer neuen Klappsituation nachweisen, dass man schlecht gezeichnet hat. Dass diese Linie dann nicht auf diese Seite zu liegen kommt.

# Sie haben doch, glaube ich, die Frage übersprungen, von der wir sprechen. Sie reden doch darüber, was es heißt...

* Also diese ganze Sache mit dem Klappen, das ist mir nicht einleuchtend. Ich würde sagen, die Schüler haben jetzt irgendwann einmal festgestellt, inden meisten Fällen geht es sechsmal. Jetzt stellt sich halt die Frage: Ist das nun Zufall, dass das meinetwegen in der Klasse so herauskam, dass das sechsmal geht oder ist es immer so? Und da würde ich nicht nochmal ausprobieren mit dem Klappen, ob das sechsmal geht oder so. Die haben ja im Prinzip schon festgestellt, in den meisten Fällen geht es sechsmal. Jetzt muss man nämlich das Gedankliche machen: Ja, ist das jetzt wirklich so, dass es sechsmal geht oder ist das nur Spinnerei?

- Ich meine, das ist doch etwas sehr schönes, die Operation. Die Vorstellung, wie man klappen könnte und die Probleme, die dabei auftreten, das war unser gedanklicher Schritt praktisch zum Beweis hin, anknüpfend an die Erfahrung.

- Was ich in Klassen von Vorteil sehe, ist einfach die Symmetrievorstellungen, die man ja schon hat, dass man die dabei schon ausnutzen kann, dass einem verschiedenes klar wird.

# Ich möchte hier zustimmen, dass das, was sie zufällig gebraucht haben, das scheint hilfreich zu sein, nicht zufällig. Das heißt, einiges hat einen Grund.

* Ja, aber das muss man doch erst einmal feststellen, dass es wirklich einen Grund hat.

# Ja, dabei sind wir doch.

* Ja, sage ich. Dieses Klappen, das kann auch nur noch der Zufall sein, schön, prima, zufällig.

- Aber als gedankliche Operation gerät es doch in den Bereich des Prinzipiellen.

# Darf ich darauf bestehen, dass Sie erst fertig sind mit der Frage? Wie war die Frage? Ja, was die Fage 'genau' bedeutet. Dürfen wir die Frage überhaupt stellen? Fragen, die man nicht beantworten kann, soll man überhaupt nicht stellen. Sagt wer?

* Dieses 'genau' kann man so lange nicht stellen, wie man beim Zeichnerischen oder beim Tischler oder sonstwo bleibt.

# Verzeihung, was ich zitieren wollte, heißt: "Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen." Wittgenstein. Das könnte man doch einwenden. Wenn ihr nicht wisst, wovon ihr redet, dann seid doch still. Wenn das ein Schreiner sagt, mir ist doch ganz egal, ob das 'genau' sechsmal geht, es geht genau genug um damit zu bauen.

* Aber ich kann sagen, ob es genau ist.

# Also das könnte ja Zufall sein.

* Was bedeutet das denn?

- 'Genau' bedeutet, dass bei diesen gedanklichen Klapp-Operationen keine grundsätzlichen Widersprüche auftreten.

# Ist das nun keine Kindergartenfrage?

* Warum kann man denn überhaupt die Frage stellen, ob es 'genau' geht?

# Stellt man sie denn? Ich habe sie gestellt. Schulmeister stellen manche Fragen, die man kaum beantworten kann.

* Warum kann man die Frage stellen, ob es genau geht?

# Ich würde sogar noch weiter gehen. Warum hat man das Bedürfnis, die Frage zu stellen? Ob es einen Sinn hat, dass es genau sechsmal geht? Ja, ich finde, hier fängt Mathematik an. Wenn man das kapiert hat, dann ist man drin. Wenn man den Eintritt nicht macht, bleibt man draußen. Man muss ihn ja nicht machen. Ich weiß nicht, wann das so passiert. Ja, wollen wir rüber gehen, wo wir eben drüber sprechen?

* Ich möchte doch noch eine Bemerkung dazu machen. Wenn man also hier fragt: Geht das genau sechsmal? dann muss das einen Grund haben.

# Kein Zufall.

* Kein Zufall. In der Physik behauptet man ja auch oft, dass irgendetwas genau funktioniert, also zum Beispiel s= 1/2 a t², und kein Mensch hat wirklich genau nachgemessen, dass da dieses t wirklich ein Quadrat geben muss, es könnte ja 1,988 oder so etwas sein (statt 2), es entzieht sich. Man kann nicht so genau arbeiten. Ist diese Genauigkeit, wenn ich in der Physik das Quadrat hinschreibe, von der selben Qualität wie die Genauigkeit, wenn ich hier sage: es geht sechsmal, es geht genau sechsmal?

# Ja, wie ist es denn in der Physik, wo doch feststeht, dass man niemals genau feststellen kann?

* Also in der Physik, da vergleicht man.

# Man schreibt hin: s=1/2 g t², schon wie groß die Zahl g ist, muss man erst noch bestimmen.

* In der Physik hat man eigentlich bestimmte ideale mathematische Gegenstände mit physikalisch konkreter Wirklichkeit und das ist eine völlig andere Art des Vergleichs als wenn ich ideale Gegenstände mit sich selbst vergleiche. Also wenn ich sie auf innere Widerspruchsfreiheit überprüfe. Und ich glaube, in der Mathematik ist die Frage `warum?' eine etwas problematische Frage, weil, man kann das in der Mathematik von verschiedenen Punkten aus anfangen und das Wichtige, was in der Mathematik gesichert sein muss, ist immer eigentlich bloß, dass ich auf keine Widersprüche stoße in meinem gesamten System. Die Frage `warum?' kann ich nicht so beantworten, dass ich das auf einen anderen Fachbereich zurückführe. Kausalität in dem Sinne gibt es da nicht, nur logische Widerspruchsfreiheit, und das meine ich mit den Klapp-Operationen.

# Mathematik ist nicht Physik.

* Ich frage jetzt mal wie ein Lehrer, weil ich das im Unterricht auch manchmal mache, solche Fragen stellen. Was ist denn der Unterschied zwischen dem Gegenstand der Mathematik und dem in der Physik?

# Ja, wovon reden die einen und wovon reden die anderen? Die reden von etwas Verschiedenem, sicher, wenn sie sich auch gegenseitig nötig haben. Wovon reden die denn?

* In der Physik spricht man von realen Gebilden, in der Mathematik von idealen.

# Ja, und was ist damit gesagt? Es stimmt, diese Unterscheidung gibt es... Aber was heißt 'real'? Sie brauchen doch nur ein Physikbuch aufzuschlagen und dann ein Mathematikbuch. Ich nehme Geometrie, das ist ja ein bisschen mit beiden in Verbindung, da sind viele Figuren in der Mathematik, nichts richtiges, als das, wovon man spricht, mit Zahlen meinetwegen. In der Physik sehen Sie Apparaturen meistens, die stehen da herum, die stehen in den Zimmern, den Ecken, da kann man dranstoßen, die kann man umwerfen.

* Mich würde einmal interessieren, was du an dem Klappen auszusetzen hast.

- Es ist mir einfach nicht einleuchtend, einfach nur mit diesem Klappen, was wieder ein Ausprobieren ist, das Klappen ist wieder mit einer Ungenauigkeit behaftet. Guck, wenn du das rein gedanklich machst, dann musst du irgendwann auf die Winkel eingehen. Denn du kannst dir nicht einfach vorstellen, du hast sechs gleiche Dreiecke und die passen jetzt zufällig aneinander. Du hast da ja jetzt schon die Idee mit den 360 Grad oder was weiß ich. Ich weiß nicht, was bei dir dahintersteht. Aber wenn ich als Schüler hören würde, ich soll sechs Dreiecke, die gleich groß sind, immer wieder aneinanderklappen, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass das zusammen passt.

- Vor allen Dingen ist das nicht unbedingt eine Hilfe zum Beweisen, nur zum Beobachten. Eine Beobachtung ist, wenn ich genau zeichne, mit dem Zirkel, dass ich am letzten Punkt wieder am Anfang ankomme. Und wenn ich genau klappe, möglichst genau ausschneide, dann passen unsere Ecken auch übereinander. Das sind alles Beobachtungen, keine Beweise.

- Aber der gedankliche Schritt kommt dann. Dann kann ich mir überlegen, da bleibt eine Lücke. Wenn die Lücke bleibt -das ist eben der gedankliche Schritt daran- und ich fange jetzt da, wo die Lücke sitzt, an zu klappen, dann muss, das ist nun gedanklich ganz einfach sich klarzumachen, dann muss diese Linie mit der anderen nicht in Deckung sein, weil die Lücke da war. Deswegen habe ich falsch gezeichnet.

- Es kann aber auch zufällig sein, dass du als Schüler eine falsche Schere erwischt hast, dass du...

- Das würde ich nicht akzeptieren, als Schüler schon gar nicht.

- Habe ich dich richtig verstanden, du willst jetzt schon mit den gedachten Figuren klappen? Nicht mit den ausgeschnittenen?

- Erstmal habe ich mit den real ausgeschnittenen gearbeitet, ich habe gesehen, manchmal bleibt eine Lücke, manchmal überlappen sie. Dann habe ich als nächstes in Gedanken diesen Klappvorgang gemacht und mir überlegt, jetzt habe ich eine Situation, in der am Ende eine Lücke bleibt. Jetzt gehe ich an diese Ecke, wo die Lücke sitzt und versuche um den Punkt bei dieser Lücke zu klappen. Und dann sehe ich, dann kommen diese Radien, die eigentlich übereinstimmen müssten, die stimmen nicht überein, ich sehe, ich habe schlecht gezeichnet. Dann bin ich also wieder bei meiner Vorstellung, wie ich zu zeichnen habe, wie ich das Ding zu erstellen habe. Immer wenn eine Lücke bleibt, habe ich eine Unsauberkeit im Zeichnen.

- Halt, das setzt doch schon voraus, dass es aufgeht.

- Das hat doch mit dem Beweis nichts zu tun.

- Außerdem verkompliziert das die ganze Sache.

- Das ist doch nur eine andere Sache. Wenn ich vorher den Kreis zeichne und ich trage den Radius ab, so wie Gerlinde das beim ersten Mal gemacht hat. Ich habe ganz viele Punkte. Und diese ganz vielen Punkte, die ich habe, die kriege ich jetzt plötzlich durch das Klappen. Das ist nichts anderes. Aber ich glaube einfach, wir machen den Fehler, dass wir jetzt behaupten, es geht sechsmal und wir versuchen, dieses 'sechsmal' zu beweisen.

- Du konstruierst einfach nur anders, in Gedanken, aber mit dem Beweis hat es in erster Linie nichts zu tun, würde ich sagen.

- Da liegt es.

- Also wenn man davon ausgeht, dass es gehen muss, dann ist das natürlich richtig.

# Wir gebrauchen nicht das Wort 'muss'. 'Muss' sieht sehr interessant aus.

* Ich glaube, wir zäumen das Pferd am Schwanz auf. Wir sagen, es geht sechsmal und jetzt wird bewiesen, dass es klappt.

- Ja, da ist etwas falsch gezeichnet, sonst habe ich es nicht verstanden.

- (An der Tafel) Ich stelle mir jetzt vor, ich klappe hier herum und da und dann da herum und dann bleibt hier (1) etwas übrig. Dann kann ich sagen: Immer wenn so etwas übrig bleibt, dann klappe ich im nächsten Durchgang um den Punkt bei der Lücke, klappe dann von hier herüber... Dass das, was hier liegt, nicht übereinstimmen kann mit dem, was dann herübergeklappt hier liegt. Die beiden können nicht übereinstimmen, weil hier eine Lücke war und deswegen habe ich schlecht gezeichnet.

- Da steckt natürlich die Sache drin: Warum müssen die denn übereinstimmen?

- Ja, deshalb, das ist ja gerade so gemacht, die müssen aus dem gleichen Grunde übereinstimmen, warum hier oben geklappt übereinstimmt. Das Klappen ist ja so gemacht, dass alle übereinstimmen, es wird ja immer die gleiche Strecke abgetragen, das muss ja nun feststehen.

- Warum geht das?

- Warum geht es nicht auf, warum muss es aufgehen? Man könnte die ja auch beliebig klappen und dann bleibt eine Lücke.

- Und wenn ich jetzt diese Dreiecke hier zeichne, hier ist auch eine bunte Kreide, dann kann ich auch dieses Dreieck haben, dann klappe ich entsprechend weiter... (irgendwann geht es nicht auf) ...und dann kriege ich genau den gleichen Durcheinander mit den vielen verschiedenen Einstechpunkten beim Klappen.

- Na ja...

- Aber irgendwie gehen wir vom eigentlichen Problem ab, ob das überhaupt wichtig ist, dass es genau sechsmal geht.

- Richtig, sehr gut.

- Denn ich weiß nicht, ob mich das als Schüler interessiert hätte.
Ich habe das immer benutzt, Sechsecke zu malen und das sah einfach toll aus. Und wenn man erst einmal so spielerisch herangeht ist das einem eigentlich egal, ob das nun genau geht, es geht genau genug zum Zeichnen.

- Ist das dir dann heute auch egal oder interessiert es dich?

- Das Phänomen ist eigentlich das, dass eine krumme Linie mit einer geraden Linie irgendwie in Bezug steht.

- Nein, ich meine das 'genau sechsmal', ist das für dich eine Frage jetzt?

Ich würde sagen, ja. Früher war es keine Frage.

- Das war eine schöne Figur und das reichte ihr früher. Muss ich sagen, das ging mir genau so. Ich habe früher auch viel gezeichnet, da habe ich auch nicht nachgefragt, warum geht das so?

# Die Mathematiker behaupten, es ginge genau sechsmal. Das tun sie, komische Leute.

* Nein, ich finde das interessant, diese Behauptung. Und auch noch ein Mittel zu finden, das auch noch zu zeigen, dass es rein gedanklich so ist.

# Ist! Muss. Gedanklich, was heißt denn das? Wir denken doch die ganze Zeit.

* Ja, dass man das nicht nur zeichnerisch... Wenn man das zeichnenwürde und ausschneiden ürde und klappen, würde man nicht immer genau auf die Sechs kommen.

# Was soll man denn tun? Nicht klappen, nicht zeichnen, was denn?

* Ja, die Zeichnung ist doch im Prinzip nachher nur noch ein Hilfsmittel, sich das dann vorzustellen.

# Was ist denn kein Hilfsmittel? Was ist denn die Sache selbst?

* Der Ausgangspunkt ist doch die Tatsache, dass man anscheinend diese sechs Dreiecke da hineinbekommt in den Kreis. Und das scheint relativ genau zu funktionieren, bei allen Kreisen, das würde ich erst einmal nur feststellen.

- Da es feststeht, dass es bei allen Kreisen zu gehen scheint, scheint es kein Zufall zu sein. Ähnlich wie ein Physiker hergeht, zu begründen, warum es vielleicht so ist, will der Mathematiker auch einen Grund wissen, ob man mit einfachen Mitteln aus den Radien und dem Kreis eine Beziehung untereinander herstellen kann. Da stellt sich für mich -ehrlich gesagt- nicht die Frage, ob das genau sechsmal geht.

- Aber du willst doch die Beziehung wissen, die Beziehung zwischen den beiden. Ja, gut, und ich meine, wir...

- Und deswegen ist es für mich auch egal, ob das jetzt... nein, es ist mir nicht egal, ich kann nicht sagen, dass ich das rein gedanklich durchführen kann, weil das für mich der verkehrte Ausgangspunkt ist. Ich bin ja von der Realität ausgegangen, die auf dem Tisch vor mir liegt oder gezeichnet ist und erst dann gehe ich her und denke mir etwas dazu.

- So meine ich das im Prinzip auch. Du hast halt das Phänomen, dass es scheinbar sechsmal geht, und jetzt willst du doch die Beziehungen wissen zwischen den beiden. Aber das willst du wieder genau wissen. Und dann ist es dir eigentlich egal, ob das 5,9mal oder 6,1mal geht, du kannst ja beweisen, dass es genau sechsmal geht, die Zahl 6 ist eigentlich egal.

- Es gibt aber auch einen praktischen Hinweis, glaube ich, dass es eventuell sechsmal reingeht. Weil ich kann ja hergehen und mache mir sechs Dreiecke, ja, ungenau, und dann stelle ich fest, das geht so etwa sechsmal da rein. Jetzt frage ich mich, ja, liegt das, dass es so etwa sechsmal geht, daran, dass ich ungenau gearbeitet habe oder liegt das am Prinzip, dass es gar nicht geht. Versuche ich genauere Dreiecke zu machen und stelle fest, je genauer meine Dreiecke sind umso besser scheint es zu gehen. Daraus würde ich jetzt schließen, ja das geht wohl genau sechsmal rein.

- Sehr gut, und das versuchst du dann zu beweisen.

- Ich möchte nochmal zurückkommen auf das, was die Mathematik ausmacht. Wenn man irgendeinen Satz oder eine Erkenntnis aus der Mathematik sich vor Augen führt, dann wird man feststellen, dass die Erkenntnisse nie so lauten: Das ist etwa so und so; sondern es wird immer behauptet: So ist es, es stimmt hundertprozentig. Eine Angabe aus der Physik, das weiß jeder, wenn die sehr genau ist, ist sie sogar mit einer Fehlertoleranz angegeben, da steht plus/minus soundsoviel Prozent. Was ist der Unterschied? Wieso können die Physiker nur solche Genauigkeiten angeben, während die Mathematiker plötzlich sagen: Das ist haargenau so viel, etwas anderes gibt es nicht? Warum können die das?

- Ja, und kein Mensch zweifelt daran.

- Die Mathematiker befassen sich auch nicht mehr mit Messen, und Messen ist immer mit einem Fehler behaftet.

- Sondern womit befassen sie sich?

- Ja, mit idealen Gebilden, also die sagen halt, das Dreieck hat drei gleich lange Seiten, also müssen die drei Winkel übereinstimmen, also müssen die drei Winkel 60 Grad haben und der Kreis hat 360 Grad und so machen die das...

# So machen die das! Ich wundere mich ja - ich darf das jetzt einmal hier einschieben, Sie können ruhig nachher an derselben Stelle weitermachen - wie würden Sie denn sagen, wenn die Mathematiker folgendes machten: Wenn er sagt, er macht doch Voraussetzung, Behauptung, Beweis. Also ich behaupte, dass die Winkel da in der Mitte (vom Kreis), dass die zusammen 360 Grad geben. Das sagen die doch. Und sagen dann weiter: Nun guck dir mal das einzelne Dreieck an, die Summe der Winkel im Dreieck ist bisher 180 Grad, da jede drei Ecken sich decken, kommt auf jede Ecke 60 Grad und 6 x 60 = 360, also rundum, und 6 ist genau. 360 ist genau, 60... Bei früheren Gesprächen, die ich hatte mit Studenten in Tübingen, die haben alle das gemacht. Und das ist ja einfach. Ich soll ja beweisen. Haben wir. Fertig. Schluss... Ist doch gut, nicht?
Meistens kriegt man es so bewiesen. Nun stelle man sich vor, dass man also jünger ist. Frage: Bin ich nun überzeugt? Denn es handelt sich hier nicht um Wissen und Lernen und Anwenden, sondern nur um das Überzeugtwerden-können. Also bei Galilei handelt es sich um Überzeugungen. Hätte er sie bei Gericht überzeugen können, hätten sie ihn wahrscheinlich laufen lassen. Er konnte es ja nicht. Die Frage nach der Wahrheit, nicht? Es ist doch wahr. Ich bin der Überzeugung, dass die meisten Schüler auf diesen Beweis hereinfallen, indem sie meinen, wenn man das gesagt hat und gehört hat, und es auch stimmt, geschluckt hat, und dann ist es sicher. Es ist aber nicht sicher, es ist ein fauler Beweis. Warum?

* Es ist immer noch nicht klar, ob das wirklich sechsmal aufgeht.

# Ja, Sie sprechen jetzt woanders hin. Ich wollte ja erst wissen, inwiefern der Beweis, den ich vorgetragen habe...

* Also wenn ich sage: 6 x 60 = 360, dann bin ich ja über den Schüler hinweggefahren, für den das immer noch nicht klar ist, ob das sechsmal geht, weil es in seinem Heft siebenmal geht.

# Sechs mal sechzig ist doch 360 Grad.

* Ja, aber ich bin noch einen Schritt weiter, vorher.

# Ich bin keinen Schritt vorher, ich fange so an.

* Ja, aber...

- Du versuchst ihn jetzt zu überzeugen, dass es nicht sieben Dreiecke sind sondern sechs. Und wenn du ihn überzeugst, dass sechs Dreiecke reingehen, wo soll denn da das siebente noch dazwischen?

- Wir zeichnen es.

- Kannst ihn immer abfertigen: Du hast ungenau gezeichnet, dein Pech.

- Ja, genau das ist ja für mich der Punkt, wo ich ihn abbügele. Wo ich sage: Dein Problem. Wo ich ihm auch für meine Begriffe das Interesse für Mathematik nehme. Der schluckt dann alles. Wenn der erst mal anfängt, das zu schlucken, schluckt der auch noch ganz andere Geschichten.

- Das Problem dabei ist ja, dass ich einen Satz bilde, den ich auch erstmal beweisen muss. Das Problem ist ja, dass ich erstmal zeigen muss, dass praktisch alle Winkel zusammengezählt im Dreieck eine halbe Umdrehung vom Kreis ergeben.

# Stimmt das?

* Also in Grad ausgedrückt, der Kreis hat 360 Grad und die Winkelsumme ist 180 Grad. Das könnte man auch anders ausdrücken.

# Das ist noch ein Zweites, wie man es ausdrückt. Sie haben als Unterstützung einen Satz, dass die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist. Und diesen Satz halten wir für wahr, weil wir ihn gehabt haben in der Schule. Was man in der Schule gehabt hat, hat man gehabt. In Wirklichkeit hat man es nicht. Wo liegt denn da der Fehler? Stützen wir nicht den Beweis, den ich vorgetragen habe, auf eine andere Sache, die ich nicht kapiert habe, die ich gelernt habe, gepaukt habe bis zur Bewusstlosigkeit? Das heißt, bis ich nicht mehr weiß, was sie sagt?

* Ja, es könnte aber doch so sein, dass man die Winkelsumme so bewiesen hat, dass es für jeden klar ist. Dann wäre auch der Beweis von dem Winkelsummensatz zu diesem Problem auch klar. Man hat es auf diesen Fall zurückgeführt, das genügt eigentlich dann.

# Also müssten wir den Grundsatz... Jetzt verschoben, wenn wir wirklich verstehen, dass die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist, dann darf man sich darauf stützen. Dann ist ja gut, wäre auch das erledigt. Es ist doch nicht selbstverständlich, dass die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist, ist doch genauso kurios wie das andere. Da thront eine Merkwürdigkeit auf einer anderen. Und wenn Sie nachdenken über die Schule: Das Schulprogramm, das besteht aus lauter solchem Zeug, was man unten nicht verstanden hat und deshalb glaubt. Und oben baut man darauf, also wunderbare Gebäude auf. Das gibt dann ja keine Überzeugung, das gibt langweiligen Kram.

* Wenn ich Dreiecke auf einen Ball aufmale, dann stimmt es nicht.

# Ja ja, bleiben Sie nur mit Ihren Kenntnissen etwas zurückhaltend. Wir reden doch nicht von Bällen, wir reden von der Tischplatte oder von der Tafel. Ein Ball ist doch keine Tafel. Nein, da hat hier einer zuviel gedacht, das muss man auswischen. Wenn wir ihn also nicht bewiesen haben, diesen Satz, dann sind wir wieder da. Ich wollte es nur einschalten. Nach meinen statistischen Erfahrungen werden Studenten meistens mit Selbstverständlichkeit sagen: Was wollen Sie denn, das ist doch gar kein Problem; ziehen Sie doch die sechs Radien und dann sehen Sie doch die gleichseitigen Dreiecke, das sind doch sechs, sechs mal sechzig, und dass 6 x 60 = 360 ist, doch sicher, oder ist das etwa ungenau?

* Das ist ganz genau so, weil man es definiert hat.

# Man muss ja nur definieren und dann stimmt doch die Sache. Also ich führe jetzt bewusst irre. Wenn ich sage, sechs mal sechzig genau, das kann doch kein Mensch bezweifeln, und dann tue, als ob ich damit die Genauigkeit der Geometrie erledigt hätte, als ob wir eine Genauigkeit von Zahlen einfach diesem geometrischen Problem zu Grunde legen könnten. Die Zeit ist schon um? Schön, hören wir also auf, das ist das allerbeste, aufzuhören.

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