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5. Mai 1986

Thema: Der Sechs-Stern II.

# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in derselben Runde
() redaktionelle Kommentare

# Könnte nochmal jemand sagen, was wir gemacht haben? Für die Neuen.

* Mir ist nicht ganz klar, was von uns erwartet wird.

- Ja, wir fingen damit an, zu überlegen, wie oft wir mit dem Radius eines Kreises die Kreislinie abmessen könnten, wir kamen dann dazu, dass es etwa sechsmal geht, und sind von der Sache her auch zu der Überlegung gekommen: Was ist der Unterschied zwischen Mathematik und Physik? Was heißt es, wenn wir in der Mathematik sagen: "Es geht genau sechsmal" und was würde es in der Physik heißen: "Es geht genau sechsmal"? Und da sind wir eigentlich hängengeblieben. Weiter sind wir noch nicht gekommen, würde ich sagen. Und wieweit das überhaupt ein Problem ist, ob es 5,8- oder 6mal oder 6,5mal geht.

# Ich fände es sehr interessant, wenn jemand anders, der auch hier war, seine Aussage machen würde.

* Was auch wichtig war, ist, dass es bei Schülern altersabhängig ist, ob das Bedürfnis überhaupt besteht, es genau zu beweisen oder..."das ist halt so". Und dass man da auch anfangen kann und welche verschiedenen Methoden man da verwenden könnte.

# Also Sie haben sich mehr an das Erste angeschlossen als eine eigene Darstellung zu geben. Wissen Sie auch, was Sie gesagt hätten, wenn Sie angefangen hätten? Sicher etwas anderes.

* Ich hätte eine Zusammenfassung gemacht.

# Na also. Das wäre interessant, ich schlage vor... aber wir haben hier ja noch zwei, die nicht dabei waren. Wir sind eben dabei, kurz zusammenzufassen, weil zwei Gäste da sind, damit die wissen, wovon die Rede ist, was wir bis jetzt gemacht haben. Vielleicht versuchen Sie es noch einmal.

* In der letzten Stunde oder überhaupt?

# Überhaupt und letzte Stunde.

* Letzte Stunde ging es darum: Wir haben einen Kreis gezeichnet mit einem Faden und haben dann der Kreislinie entlang den Radius abgetragen und erstaunlicherweise ging das ungefähr sechsmal. Und dann ging die Stunde darum: Ja, geht es genau sechsmal, ist das überhaupt wichtig, ob es genau sechsmal oder 5,9 oder was weiß ich. Und ging dann darum, ob man überhaupt beweisen kann, dass das genau sechsmal geht. Dann haben wir ein Sechseck reingezeichnet...

- Mich würde interessieren, wie Sie überhaupt zu den Problemen kommen, überhaupt über den Kreis zu sprechen.

- Das haben wir vorgegeben gekriegt.

# Das stammt von mir.

* Und zwar deshalb, weil es auch so in der Schule ist, da bekommt man die Frage und nicht den Grund der Frage. Und es war auch am Anfang so, dass ich nicht mit dem Zirkel den Kreis zeichnen wollte, sondern ich habe an der Konstruktion gesehen: Mittelpunkt, Faden festhalten und dann am anderen Ende mit Kreide auf der Tafel rumfahren, dass also vom Mittelpunkt immer derselbe Abstand ist.

- Hat das eine besondere Bedeutung, das mit dem Wollfaden zu machen oder nur, weil man ein technisches Gerät nicht nehmen will?

- Eigentlich schon, ja, weil der Zirkel sagt nicht so viel aus.

- Oder deswegen benutzt, weil man mit dem Faden auch gleichzeitig den Umfang...

- Nein, nein, den Umfang haben wir nicht, eigentlich nie bestimmt. Wir haben nur den Radius, den man ja eigentlich nimmt mit dem Faden, am Kreisumfang abgetragen.

- Das kann man aber mit dem Zirkel nicht machen?

- Doch, natürlich.

- Das entstand dadurch, dass mit dem Zirkel der Abstand verborgen ist, mit dem Faden wird es deutlich gemacht, weil man durch das Spannen des Fadens den Abstand vor sich hat, beim Zirkel ist er durch den Abstand der Endpunkte dieser Schenkel gegeben. Aber das ist nicht so durchsichtig.

# Also von mir aus, ich wollte natürlich ungenau anfangen, damit man einen Begriff von Genauigkeit bekommt.

* Stimmt, zuerst hatten wir eine Kartoffel.

# Ich habe eben nicht verstanden, was Sie sagten zugunsten des Fadens.

* Ich sagte das, was damals zugunsten des Fadens angegeben worden war. Dass beim Zirkel durch die beiden Schenkel und diesen Drehpunkt oben das Interesse dominiert und sozusagen mehr versteckt wurde, dass darin der Radius steckt in Form des Endpunktes der beiden Spitzen des Zirkels, während beim Faden das offensichtlicher ist und deshalb, wenn man anfängt mit der Untersuchung, es geeigneter wäre, mit solchem Faden auszuprobieren.

# Na, mal weiter. Das war noch nicht sehr viel.

* Irgendwann sind wir auch abgeschweift und haben ganz kurz den Unterschied zwischen Physik und Mathematik überlegt. Wie die Physik eigentlich misst, was sie misst und was die Mathematik eigentlich mit genau meint. Aber dazu kann ich nicht viel sagen. Es war ein bisschen konfus bei mir.

# Es wäre schön, wenn noch jemand reden könnte. Sie müssen natürlich nicht, ist ja keine Schule.
Haben Sie eigentlich schon gesagt, was die Frage war? Es war eine Frage, nicht? Ein Problem wurde besprochen.
Ich weiß noch nicht, ob die neu hier Anwesenden wissen, verstanden, verstehen konnten, was das nun heißt, außen herum gespannt. Was meinen Sie eigentlich?

* Mit dem Radius?

- Ich weiß nicht genau, was Sie wissen wollen.

- Ob wir verstanden haben, was Sie mit dem Faden gemacht haben.

- Ja, es ist nicht gemeint, dass man den Faden außen um den Umfang herumlegt und den Umfang abmisst, sondern der Faden wird gespannt, gestreckt, und man hat einfach Punkte, einen Anfangspunkt, abgetragen, und zwar mit voller Spannung, nicht die Krümmung ausmessen.

- Ja, und dann kommt man zu einem Sechseck.

- Na ja, unsere Versuche waren halt so lala. Wenn man da dreimal herumgegangen ist, hatte man eigentlich ein Sechzehneck oder was es da gibt.

# Ja, was war die Frage?

* Ich bin mir nicht bewusst, dass wir die Frage konkret gestellt hätten, aber ich vermute, dass es die ist: "Geht es genau sechsmal?"

# Haben wir das nicht ausgesprochen?

* Ja, es bestand ja nicht das Bedürfnis danach.

# Sie haben das nie gehört, ich meine das vom Sechseck? Sie wissen es nun schon, ohne dabei gewesen zu sein. Ob das ein Problem ist?

* Also in der Schule früher war das überhaupt kein Problem, da war das halt so.

# Ja? Nicht bewiesen?

* Ich kann mich nicht daran erinnern.

# Das kommt davon! Ja, meistens wird es anders gemacht. Ja, ich muss darauf bestehen, dass mir jemand sagt, was die Frage ist.

* Die Frage ist: "Ist es wirklich ein Sechseck, das heißt, geht es wirklich genau auf?" Das ist der erste Teil der Frage, und zweitens: "Wie kann man das nachweisen, dass es genau sechsmal funktioniert?"

# Erinnern Sie sich? Erinnern Sie sich!

* Und drittens...

# Ist ja auch lange her, ist Unfug, eine Woche zu warten.

* Und drittens kommt noch dazu, dass dieser Nachweis voraussetzungslos sein soll. Das heißt, wir wollen also nicht davon ausgehen, dass wir wissen, dass die Winkelsumme im Kreis 360 Grad beträgt und solche Sachen.

# Ja, ist das denn nicht die Voraussetzung?

* Nein.

- Also der Kreis schon, dass der Kreis 360 Grad hat; nur dass im Dreieck die Winkelsumme 180 Grad beträgt, das wissen wir nicht. Also ganz genau ist das nicht möglich.

- Es ging darum, dass die Winkelsumme im Kreis von 360 Grad keine Voraussetzung ist, dass das schon bekannt sein sollte. Aber dass die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist, ist nicht so ersichtlich, und das sollte eigentlich nicht so die Voraussetzung sein, vor allem in dem gleichseitigen Dreieck, dass dann jeder Winkel 60 Grad hat und so weiter.

- Das hat eigentlich weniger mit "bekannt" zu tun, sondern wir haben definiert, dass der Kreisumfang 360 Grad beträgt, das kann man ja richtiggehend voraussetzen. Nur mit der Winkelsumme im Dreieck, das ist dann unbekannt, das soll als unbekannt vorausgesetzt werden.

- Das soll doch gar nicht benutzt werden.

- Wenn wir es beweisen können, können wir es schon benutzen.

- So wird es ja in der Regel gemacht, dass man sagt: O.K. wir wissen, dass die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist, und wenn es ein gleichseitiges Dreieck ist, sind auch die Winkel gleich, dann hat jeder Winkel eben 60 Grad und 360 geteilt durch 6 ist eben gerade 60,

# Und zwar genau 60. Damit ist die Frage doch beantwortet, ob das genau sechsmal geht, denn wenn das genau sechsmal sechzig ist. Was haben Sie gegen 360 Grad? Warum sagen Sie "voraussetzungslos"?

* Weil ich der Meinung bin, dass man das gar nicht wissen muss, um das Problem zu lösen.

- Und wenn wir von ganzer Drehung und halber Drehung sprechen statt von 360 und 180 Grad?

# Stimmt das, dass man das nicht wissen muss oder nicht wissen will? Entweder man weiß es oder man weiß es nicht. Ein unnötiger Komfort.

* Ja, eine Vereinbarung.

# Können Sie es ohne? Ohne Grad?

* Eben mit ganzer Drehung und halber Drehung.

# Ja, bewegen Sie das denn? Warum ist es dann ganz genau?

* Winkelsumme im Dreieck?

# Ja.

* Eine halbe Drehung, wenn man etwas um die Winkelebene dreht, dann merkt man, also wenn man um alle drei Winkel gedreht hat, dass die Sache in die entgegengesetzte Richtung geht.

# Sie machen schon einen Beweis. Das meine ich gar nicht. Ich meine so, wie es meinetwegen im Kindergarten gemacht werden kann, dass man ein Papierdreieck nimmt und drei Ecken abreißt und nebeneinanderlegt. Winkel I, Winkel II, Winkel III, das ist die Tatsache. Ich brauche gar nicht unnötige Gelehrsamkeit. Und wenn man die benutzt und glaubt, die sei nötig, dann hat man ja nichts verdient. Ja, die Frage war, ob man diesen Satz benutzt eben. Kann man ja benutzen, und beim gleichseitigen Dreieck hat jeder Winkel sechzig Grad, dann geht es glatt. Es muss auch unglatt gehen, es muss auch einfach gehen. Muss oder nicht? Wenn dieser Satz unnötig ist...
Aber Sie haben immer noch nicht gesagt, was das mit der Frage ist, ob das genau sechsmal geht.

* Ja, es ist auch die Frage, ob das überhaupt wichtig ist, ob das behandelt werden sollte, ob das genau geht oder nicht. Wir haben auch gesagt: Für einen, der praktisch meinetwegen den Kreis ausschneidet und dann mit Dreiecken rumarbeitet... Soll ich das alles noch einmal wiederholen? Dass für einen Tischler das genau genug geht. Für den ist es unwichtig, ob das eigentlich 5,9 oder 6,1mal geht, er kann das sowieso nie so genau abmessen also jetzt rein praktisch, dass es genau ist.

- Aber für den Mathematiker ist das eigentlich die entscheidende Frage, ob es wirklich genau geht oder ob das nur...

# Ja, aber was sagt der Tischler dazu? "Was der für Sorgen hat", sagt der. Er sagt "wozu?" und er wird die Frage beantworten: "schon" ob es genau sechsmal geht. "Andere Leute mögen da ja anderes darüber urteilen." Stellen Sie sich einen richtigen Schreiner vor, Schreiner ohne Abitur.

* Der wird sagen: "Selbst wenn es ungenau ist, kommt es bei meinem Material gar nicht heraus." Oder er sagt: "Es geht genau, für mich geht es genau."

# Ja, hat er nicht recht? "Was soll's" gibts auch als Antwort, "wozu?" * Oder: "Das ist halt so, es geht halt sechsmal."

# Ich weiß nicht, wenn wir auf die Frage der Genauigkeit kommen, ob das stimmt. "Jaja, mir reicht es eben." Ja, was wird nun ein Mathematiker sagen, wenn ein Schreinerlehrling, der Abiturient ist, wenn er den fragt?

* "Es muss ja auch so sein", wird der sagen.

# Dann lacht der Schreiner. Dann sagt der Schreiner: "Alles überflüssig, was ihr da macht in der Schule, ganz ohne Belang." Also so etwas haben wir natürlich noch nicht geredet, bisher. Ist übrigens mein Ratschlag für Leute, die fragen, ob man mit einem gemeinsamen Gespräch überhaupt arbeiten kann in der Schule. Ich habe das auch irgendwo hingeschrieben. Das kann man eigentlich nicht, wenn man den Begriff "Ziel der Stunde" hat. Die Stunde hat hier kein Ziel, man kann nicht verlangen, dass in 45 Minuten ausgerechnet ein Problem gelöst ist und nichts vorher und nichts hinterdrein jagen. Ich habe also immer gesagt, ich fange immer wieder von vorne an, tun wir ja auch hier, als ob nichts gewesen wäre. Dann wird sich nach einigen Sitzungen, scheint mehr als drei zu sein, wird sich etwas klären. Damit wird natürlich der Lehrplandiktator nicht einverstanden sein. Deswegen muss man es heimlich tun oder getrennt, separiert vom Informativ-Unterricht. Aber das wollte ich eigentlich nicht sagen.

* Also ich überlege gerade: Wenn der Tischler vor so einem Brett steht, auf dem noch nichts aufgezeichnet ist, dann muss der ja, um überhaupt zu sägen, irgendetwas zeichnen, etwas aufzeichnen. Ich vermute, dass er dann davon ausgeht, dass diese Konstruktion, die er benutzt, und das wird vermutlich der Zirkel sein, mit diesem Radius, der da abgetragen wird, dass diese Konstruktion genau ist. Ich glaube schon, dass er einfach das benutzt, was ihm von der Mathematik angeboten worden ist, im Vertrauen darauf, dass das stimmt. Und dass nachher seine Genauigkeit von anderer Qualität ist.

# Das meinen Sie? Stimmt es? Man müsste mal einen haben.

* Ich würde es genau so sehen. Er würde das letzten Endes als Rezept verwenden, ob man nun einen Zirkel nimmt oder wie zum Beispiel Gärtner es machen, um Kreise oder Ellipsen zu zeichnen, indem sie Seile benutzen oder Ähnliches. Die einfach ein Rezept übernehmen, das weitergegeben wird, das praktisch eine Tradition ist, könnte man im Handwerk sagen.

- Man denkt auch nicht darüber nach, warum das geht. Man weiß nur, dass es geht und dass es für die Verhältnisse, also für die Aufgaben, für die man es braucht, funktioniert.

- Die Frage, ob er einen Beweis dafür braucht oder man hat ihm nur einfach gesagt: "Das geht sechsmal darein" und das glaubt er dann, weil man ihm das ja auch zeigen kann, dass es ziemlich genau sechsmal geht.

- Das ist kein Rezept?

- Die Handwerker, die haben doch so Tabellenbücher, da steht das drin, dass sie so ein Sechseck machen können nach der bestimmtem Vorschrift. Ich glaube nicht, dass er dann darüber nachdenkt, wieweit er in seiner Praxis das verwirklichen kann, was da im Tabellenbuch steht. Das wird für ihn, glaube ich, gar kein Problem sein.

- Das ist aber etwas anderes als eine Überlieferung. Ich meine, im Mittelalter mögen die gesagt haben: "Mein Vater, mein Urgroßvater hat das schon so gemacht, das stimmt, das funktioniert darum." Wenn der ein Tabellenbuch hat, dann hat er sicher andere Gründe, warum er das für wahr nimmt, was da drinnen steht. Denn er war auf der Schule, auf der Berufsschule, und er glaubt zumindest, dass die Leute, die diese Tabellen aufgestellt haben, das richtig gemacht haben in einem Sinn, der vielleicht wissenschaftlich oder als Wissenschaftsglaube zu verstehen ist. Der weiß, es gibt also eine Wissenschaft, die sich damit befasst, und die Ergebnisse, die von dieser Wissenschaft geliefert werden, die sind richtig, und darum nimmt er dieses Buch und guckt da rein.

- Jetzt glaube ich, dass das beim wirklichen Schreiner so sein wird.

- Ja, wird er das überhaupt mit dem Begriff "Wissenschaft" in Verbindung bringen?

- Das glaube ich nicht.

- Das frage ich mich nämlich, ich glaube nicht, dass er das tut.

- Allein schon diese Formeln, die Art und Weise, wie das aufgeschrieben ist, die sieht schon sehr wissenschaftlich aus.

- Ja, während seiner Ausbildungszeit wird er das sowieso mal praktisch gemacht haben, da wird er sich einfach an die Praxis halten. Ja, es hat ihm einer gezeigt, dass das geht, und das ist gut. Ich glaube nicht, dass er denkt: "Wo kommt das überhaupt her? Ist das der Mathematik zugehörig oder sonst irgendeine Wissenschaft?"

- Ja, dann würde man die Berufsschule vermutlich sehr unterschätzen, wenn man annimmt, dass die so einfach aus der Berufsschule herauskommen und sagen: "Das funktioniert, egal, warum."

- Es gibt viele solche Leute.

- Wie wäre es andererseits, nur mit Berufsschule, nur mit Tabellenbuch, ist er sicher, dass er das hinkriegt?

- Es kann mir jemand zeigen.

- Und das ist dann dasselbe wie mit Überlieferung. Das hat mir mein Vater schon so gezeigt, das hat mein Großvater schon so gemacht. Angeblich ist das Buch aber nicht dasselbe wie die Überlieferung.

- Das Prinzip ist doch dasselbe, denn ohne das Zeigen versteht er es nicht.

- Da kommen ja noch andere Elemente hinein. Wenn er beispielsweise einen Kreis macht mit einem Faden, dann ist es trotzdem so, dass er immer noch ganz einfache Alltags-Symmetrie-Überlegungen anstellt, dass man ihm nicht unbedingt sagen muss, dass das jetzt ein nicht dehnbarer Faden ist, dass man ihn erst einmal stark ziehen muss. Dass er das ganz von selbst macht. Dann sucht er sich eben einen starken Faden aus und dann macht er es damit und würde sicherlich nicht auf die Idee kommen, einmal stärker zu ziehen, einmal schwächer zu ziehen oder ein Gummiband zu nehmen. Genau so glaube ich, ist es auch beim Abtragen vom Radius auf dem Umfang. Dann wird er auch nicht dauernd kommen, dass er einmal stärker zieht, einmal schwächer zieht, sondern das Ganze hat für ihn eine Plausibilität nur dann, wenn er diese Symmetriebedingungen beachtet. Und ich glaube, das ist dann schon ein bisschen mehr als bloße Überlieferung. Aber das mathematische Verständnis für das was er tut braucht er nicht zu haben.

# Wird er sich wundern, wenn er ein richtiger Schreiner ist, dass es gerade sechsmal geht und dass er das so machen kann?

* Also wenn er sich wundert, würde ich sagen: "Vielleicht könnte er sich mit Mathematik beschäftigen." Also er wird Mathematiker werden. Aber was ich jetzt nicht so ganz richtig finde, ehrlich gesagt, wir diskutieren, wir vermuten, wie irgendein Mensch über einen Sachverhalt denkt und kennen den Menschen gar nicht. Also wir stellen Vermutungen an, wie ein Schreiner über das Problem Kreis und Sechseck denkt, und am besten fragen wir einen. Das wäre das Vernünftigste in meinen Augen. Ich weiß nicht, ob jemand Schreiner ist.

- Ich glaube nicht, dass man damit sicherstellen würde, dass "die Schreiner" so denken.

- Ich habe einmal ursprünglich Werkzeugmacher gelernt und ich weiß, dass ich da sehr oft mit dem Sinus und Cosinus konfrontiert wurde, und das habe ich angewandt in Benutzung von Winkel-Aufstellen, aber das war für mich, zu der Zeit war das eine Geheimwissenschaft, da interessierte mich das auch nicht, was das eigentlich zu bedeuten hat und wie diese Dinge zustandekommen. Die Leute, die damit umgehen konnten, die wurden mit Respekt beachtet und die brauchten auch in der Tat nicht so viel handwerklich zu arbeiten, weil sie irgendwie eine Sache wussten, die andere nicht verstanden.

- Das war eine Geheimwissenschaft.

- Ja, sage ich heute im nachhinein.

# Ja, was hat das nun mit Schule zu tun? Dieser Schreiner, der hat natürlich Mathematikunterricht gehabt. Das ist wohl sicher. Und in den meisten Fällen ist es eine Geheimwissenschaft geblieben, und zwar obwohl man sie handhabt. Das heißt also eine Maschine, die ich nicht verstehe. Ist dieser Zustand wünschenswert? Das klingt ja ganz flott so.

* Ja, das ist nicht wünschenswert, man hat das ja eben beschrieben mit dem Wort "geheim". Das ist ja das, was das Unbehagen bereitet. Man möchte es eigentlich gerne selbst nachvollziehen und selbst wissen, durchschauen: "Warum ist es so?" Oder ist das jetzt übertrieben?

- Dass jeder das wissen will, glaube ich nicht. Ich würde sagen, das ist unterschiedlich.

- Ich habe Kollegen, die sind heute noch Werkzeugmacher und die kommen mit ihrem praktischen Leben klar.

- Ja, ich denke jetzt an Schüler, die noch bildbar sind oder noch ansprechbar.

# Aber wir wissen nicht, was in den Köpfen derer, die mehr wissen, vorgeht. Nicht wünschenswert?
Die Frage ist, ob man nicht ganz auf den Mathematikunterricht verzichtet, so wie er ist, und stattdessen eben Beispiele nimmt, an denen man merkt, was hier passiert. Das heißt, es ist völlig egal, ob man das weiß mit dem Sechseck, dass das sechsmal rumgeht und dass das kein Zufall ist. Aber wenn man soweit das Sechseck kapiert hat, hat man einen Zipfel, eine Ahnung bekommen, was die macht. Was meinen Sie dazu? Ich meine es jetzt ganz realistisch, auch für den Schulbetrieb, der in dem Kram erstickt, in dem unverstandenen Kram.

* Es ist ein Unterschied, man muss sich überlegen: "Für wen ist das eine wichtig und für wen ist das andere wichtig?" Ich glaube, für den Betrieb ist nur wichtig, dass derjenige es anwenden kann, egal, ob er es verstanden hat.

# Ja, ich würde zustimmen, aber gleichzeitig sagen: "Gibt es nicht Dinge, die für alle wichtig sind? Außerdem, dass der eine mehr weiß, eine andere Sache weiß, im anderen Sinne mehr weiß als der andere, dass es doch Dinge gibt, die jeder wissen muss?" Ich bin überzeugt, dass an diesem simplen Beispiel, den Gesichtspunkt haben wir noch gar nicht erwähnt, dass an diesem simplen Beispiel man tatsächlich eine ganze Menge verstehen, wirklich verstehen kann, von dem, was Mathematik, Geometrie ist. Nun kann man natürlich die Schule nicht radikal ändern, das wird nie passieren. Aber zeitweise und nicht nebenbei, sondern als Hauptsache. Wir wissen ja auch nicht alles, was wir in Mathematik gelernt haben. Wir wissen aber nur, dass die Sache da in Ordnung ist, nicht? Dass man also warum... in welcher Weise man die Warum-Frage stellt. Die Frage des Zufalls, ob das muss, was heißt denn "muss"? Müssen gibt es doch sonst in einem ganz anderen Sinn, ein Kind hört, "ich muss", oder "der muss", ganz etwas anderes. Offenbar gibt es in der Mathematik ein "muss" für alle. Das ist ja schon der Rede wert.Ja, das nur nebenbei, weil wir ja von Schule reden, wir haben ja mit Schule zu tun.
Schreiben Sie eigentlich auch die Pausen auf? Wichtig.

* Also wichtig für die Schüler ist sicher, dass sie sich einmal wundern überhaupt über den Zusammenhang, über die Möglichkeit, die Mathematik anzuwenden, die Möglichkeit, dass damit Handwerker operieren können, ohne dass es...

# Ich setze voraus, dass es Informationen zudem gibt, unverstandene Information, die immer kommt, wenn man grundsätzlich verstanden hat. In welchem Sinn da verstanden wird, dann kann man natürlich hundert Sachen einfach zur Kenntnis nehmen, wenn man weiß, die sind in dem Sinne sicher, dann könnte man sogar praktisch mit der Zeit durchkommen.
Wir haben übrigens noch etwas vergessen. Wenn ich mir ein Gespräch zwischen dem Schreiner und dem Mathematiker vorstelle und der Mathematiker, der sagt: "Das geht eben genau sechsmal." Dann wird der Schreiner wahrscheinlich dagegen sprechen und sagen: "Wieso denn? Ich kann es doch immer nur messen. Nur kommt es darauf an, wenn ich den Zirkel nehme, wird es genauer. Wenn ich einen Wollfaden nehme und so weiter, und wenn ich ein krummes Lineal nehme, dann wird es schlecht, ich muss ein gerades haben. Da gibt es ja verschiedene Garnituren, verschieden teuer, genau und ungenau. Bei ganz genauen wird es doch nie. Und wenn Sie glauben, Sie könnten es, ganz genau, dann wird Ihnen der Zirkel abbrechen, sich auflösen, die Spitze verlieren." Was sagt der Mathematiker? Sie verstehen, was ich meine. Ich habe das vorhin schon einmal von einer anderen Ecke her berührt. Genau gibt es doch gar nicht, wenn man Handwerker ist. Es gibt nur dieses "genau genug für einen Zweck" aber an sich genau, was reden Sie denn da?

* Der Mathematiker könnte zum Schreiner sagen: "Wenn du einmal am Ende zu weit gekommen bist, also über den Anfangspunkt hinausgekommen bist, bei deiner Sechsunterteilung, dann hast du vielleicht schon einmal gemerkt, dass du zu stark gezogen hast oder dass du den Ansatzpunkt nicht genau getroffen hast. Das heißt, wenn du genau nachguckst, dann warst du doch in der Lage, einen Grund dafür zu finden, dass du dieses Mal zu einem anderen Ergebnis gekommen bist als das vorangehende Mal. Und das kannst du doch sicher in beiden Richtungen machen, einmal zu weit, einmal zu vor und hast Gründe finden können."

- Ja, interessiert das den Schreiner überhaupt?

- Da haben wir uns doch drüber unterhalten.

- Ich meine, die Frage ist doch, warum ist es dem Mathematiker wichtig festzustellen, dass es genau sechsmal ist? Wenn man es handwerklich macht, dann weiß eigentlich jeder, dass da immer mal wieder Abweichungen vorkommen und dass man das eben nicht genau machen kann.

- Er muss doch einen Begriff haben, wovon er abweicht, und das ist ja der Mathematiker gerade bestrebt zu zeigen, bei Abweichung redet er ja immer von Abweichung von etwas. Dieses "von etwas", das kann ihm unter Umständen der Mathematiker dann versuchen nahezubringen als das mathematische Vorbild, nach dem er eigentlich geht. Ich meine, dass er praktisch das nicht braucht für seine Arbeit, das ist ja klar. Er hat eventuell gar kein Interesse daran, solche Gespräche zu führen.

- Ja, interessiert ihn das denn überhaupt, ob es genau sechsmal geht?

- Davon gehen wir ja aus, dass er fragt: "geht es wirklich genau? Warum soll es denn genau gehen?" Auf die Aussage des Mathematikers, dass es so sei, fragt der Schreiner "warum?"

- Wenn wir davon ausgehen, dass er sich überhaupt in die erkenntnistheoretische Debatte einlässt darüber.

- Also der Mathematiker würde jetzt deiner Meinung nach dem Schreiner sagen, wenn er von jeder Unregelmäßigkeit, die bei der praktischen Arbeit auftreten kann, absieht, dann ist das wirklich genau.

- Ja, er könnte es so machen, dass er ihn fragt: "Kommt das immer genau, hast du dann nicht einmal festgestellt, dass dann etwas anderes kam, wenn du zu weit herausgekommen bist?" Dann wird der Schreiner vielleicht sagen: "Ja, in manchen Fällen habe ich vielleicht ein Stückchen zu weit hinten eingestochen. Oder ich habe ein bisschen zu stark am Balken gebogen und damit habe ich dann..." Und dann kann der Mathematiker fragen: "Wovon bist du denn abgewichen?"

- Wovon denn?

- Ja, das ist aber das, was der Schreiner von dir wissen möchte als Mathematiker. Das ist ja genau das Problem. Wenn er sich schon soweit interessiert, dass er fragt: "Warum ist das so?" Dann kannst du doch nicht von ihm erwarten, dass er sagt: "Ach so, ich weiche halt von diesen sechsmal ab. Mir ist trotzdem nicht klar, warum es sechsmal geht. Mir ist klar, warum ich Abweichungen habe, warum ich ungenau bin."

- Wenn ich jetzt einen Gegenstand hergestellt hätte, der genau sechsmal wäre in Vorstellung und eine Seite wäre um ein Atom länger, um eine Atomausdehnung länger, das Ding würde ich dann dem Mathematiker geben als Schreiner und sagen: "Das ist genau das, was du haben möchtest." Und dann würde doch der Mathematiker mir sagen: "Nee, das ist mir zu grob, das ist ja noch kein Punkt, dieses Atom."

# Was ist denn ein Punkt?

* Der Punkt ist, dass der Schreiner die Sache praktisch ausführt, also dass der tätig wird, handwerklich tätig wird. Das ist sein Sündenfall, darum wird es nie genau.

- Und der Mathematiker ist dann hereingelegt, wenn er anfängt, nachzumessen. Dann wird er nämlich keine Abweichung mehr feststellen können.

# Der Schreiner wird sagen: "Was ist das für ein komischer Mensch?" Der Schreiner ist doch der Normalfall.

* Ja, gut.

- Es gibt aber auch Mathematiker.

# Kunstprodukt. Die Frage ist nur, wie das entsteht, das Kunstprodukt.

* Aber an einem Punkte berührt sich doch das beides im Grunde, das ist die Vorschrift, die Vorschrift, die der Schreiner hat. Auch wenn er ein Atom...

# Welche Vorschrift meinen Sie?

* Die Vorschrift zur Herstellung von...

# Wovon man redet.

* Ja, und diese Vorschrift in sich, die kennt jetzt doch keine Abweichung, auch keine Abweichung um ein Atom. Im Grunde berühren sich die beiden irgendwo an diesem Punkte. Und da muss man jetzt herausfinden, an welcher Stelle sich die beiden Einstellungen berühren.

# Wenn man die Verbindung sucht, wenn man fragt, wie man dazu kommt, ein Mathematiker zu werden, mathematisch zu denken, dann muss man doch vom Schreiner ausgehen. Das ist sicher. Nicht von etwas anderem, oder? Wovon sollen wir sonst ausgehen? Das ist doch die normale Welt.

* Ich kann auch von den Ideen ausgehen.

# Der Schreiner wird fragen: "Was ist eine Idee?"

* Ein Sechseck!

# Berechtigt denn irgendetwas Reales in der Tätigkeit des normalen Menschen dazu, die ideale Vorstellung zu produzieren? Wenn das nicht so wäre, gäbe es keine Mathematik. Erst waren die Schreiner da, offenbar muss in ihrer Tätigkeit der Keim, etwas keimen, was auch diesen Schreiner schließlich oder einige sehr kluge Leute unter ihnen, dazu führt, Ideale zu denken, Dinge zu denken, die es nicht gibt. Es muss doch einen Punkt geben, wo liegt denn das in seiner Tätigkeit?

* An der Stufe vom Lehrling zum Gesellen zum Meister. Und der macht das Sechseck immer genauer.

- Trotzdem merkt der Meister, er kann es auch noch nicht genau genug.

- Genauer als der Lehrling.

# Wenn ich ihm einen Taschenrechner gebe?

- Und der Mathematiker macht es noch genauer.

- Der Mathematiker ist ja nicht mehr Schreiner, der hört auf zu arbeiten.

- Aber wo findet der Übergang statt vom Schreiner zum Mathematiker?

- Indem er sich von den praktischen Arbeiten löst, indem er über das Problem denkt.

- Warum denn? Ich würde sagen, er wundert sich, dass es sechsmal geht und fängt an, drüber nachzudenken: Warum geht es sechsmal?

# Und stellt fest, es geht gar nicht genau sechsmal, es geht einmal ein bisschen mehr, ein bisschen weniger, wer weiß?

* Ja, aber wenn er jetzt anfängt zu denken, dann ist die Genauigkeit doch wesentlich größer.

- Und dann merkt er, wenn er mal einen schlechten Tag erwischt, dann geht es halt wesentlich schlechter als wenn er einen guten Tag erwischt hat. und dann fragt er sich halt doch, wenn man mal von diesen menschlichen Fehlerhaftigkeiten absieht, dass es zwingend eine bestimmte Zahl sein muss. Dass man nicht so abhängig davon ist, wie genau man an dem Tag arbeiten kann. Ob da nicht irgend etwas anderes dahinter steckt, eine zwingende Forderung, ein Grundsatz.

# Irgendwann ist das ja passiert, so zwischen 1000 v.Chr. und 500, ich habe gelesen, dass die Babylonier den Begriff Kreis überhaupt nicht hatten. Sie hatten nur runde Sachen, Deckel zum Beispiel, oder Räder und die hatten alle andere Namen. Deckel, runde Deckel und das Rad. Den Kreis, den wir unseren Kindern zumuten, den hatten sie noch gar nicht. Habe ich gelesen, es wird ja hoffentlich stimmen. Bei den Griechen war das ja auch, bei einigen Griechen.
Ich habe gestern mir einmal aufgeschrieben wie weit ich es kapiere. Lesen Sie es kritisch, ob man so sagen kann.
Wie kann man draufgekommen sein? Erstens: Eine Erfahrung, je feiner die Instrumente sind, mit denen man zeichnet, desto näher kommt man der Zahl Sechs. Das ist eine Erfahrung. Man kommt aber nicht hin. Man weiß nicht einmal, wie man das machen sollte, denn wenn man immer weiter kommt, mit Lupe arbeitet, mit großen Kreisen, dann zerbrechen die Instrumente, es geht nicht. Atome, ja hier kommen die Atome ins Spiel.
Daraus würde ich zweitens folgern: Empirisch, wie man sagt, also aus Erfahrung, kann man die Frage, ob es genau sechsmal geht, überhaupt nicht stellen. Noch viel weniger kann man sie lösen. Die Hauptsache, ich denke mir so: Ich glaube, wenn man da so nachdenklich einen sich vorstellt, der versucht, es könnte ja einmal passiert sein, dass einer versucht hat, ob es sechsmal geht, mit seinen besten Instrumenten. Es geht eben nicht. Dann vermute ich, es bleibt aber ein Wunsch, ein Bedürfnis, zu glauben, dass sechsmal genommen, an der Sechs etwas dran ist, wenn ich mich so ausdrücken darf. Dass es also immer besser wird, aber die Erfahrung hilft uns nichts. Ich vermute, dass die Erfahrung, diese Erfahrung, uns dazu drängt, über die Erfahrung hinauszusteigen, über sich selbst hinaus zu steigen. Dann ist gar nicht mehr die Rede von Instrumenten. Es geht nicht, das festzustellen. Dafür kann ich es also schaffen, in dem Sinn, dass ich es in Gedanken erschaffe und ein Gedankending mache. Ich finde es also höchst erstaunlich, dass Platon genau wusste, was da geschieht. Ich habe folgendes Zitat -entnommen habe ich das Zitat bei Wittenberg: Bildung und Mathematik, das ich sehr empfehle, -vergriffen, bei Klett- , da steht wörtlich: "Zwar bedienen sich, wie du weißt, die Leute der Geometrie, Arithmetik und anderer ähnlichen Wissenschaften, sie erforschen sichtbare Figuren und überlegen an diesen sichtbaren Figuren, aber denken tun sie nicht an sie, sondern sie denken an ideale Figuren, denen diese handgreiflichen bloß ähnlich sind. Ähnlich nicht im Sinne der Mathematik, der Geometrie. Das Gezeichnete soll nur helfen, das anzuschauen, was wir nur mit den Augen des Geistes erkennen können."
Allerhand, soviel Bewusstsein dessen, was man tut. Ich habe einmal versucht, das auf Deutsch zu sagen, hoffentlich mit Erfolg, auch einfach. Man könnte Kindern sagen: "Die Figuren, die wir in den Sand malen, die meinen wir ja gar nicht selber, wir meinen ihre unsichtbaren, ungreifbaren und deshalb genauen Verwandten oder Schattenbilder, die wir nur mit geschlossenen Augen sehen" -oder wie Platon sagte- mit Augen des Geistes. Ganz primitiv: Das gibt es nur in unseren Köpfen. Und das gibt es doch auch sonst.
Wollen Sie jetzt mal bitte kritisieren, ob man so sagen kann, das interessiert mich ernsthaft.

* Ich möchte noch etwas hinzufügen. Wenn man die Mathematik einmal betrachtet im Hinblick auf sämtliche anderen Wissenschaften, so fällt auf, dass die Mathematik die Gegenstände, die sie behandelt, sich selbst schafft. Also derjenige, der damit umgeht, ist der Schöpfer seiner Gegenstände durch das Denken. Und darum, weil er der Schöpfer ist, kennt er diesen Gegenstand ganz genau. Er kennt jede Bedingung dieses Gegenstands, weil er ihn selbst geschaffen hat. Und darum ist er auch in der Lage, exakte, sagen wir einmal genaue Auskünfte zu geben über diese Gegenstände und Verhältnisse dieser Gegenstände zueinander. In allen anderen Wissenschaften ist es anders. Da bin ich hier als Wissenschaftler und mein Gegenstand wird von außen an mich herangebracht. Ich schaffe ihn mir nicht selbst, und darum werden diese Aussagen alle mit einem gewissen Grad von Ungenauigkeit behaftet sein.

# War das hier drin?

* Nein, ich habe das jetzt noch hinzugefügt.

# Ja, bewusstgemacht. Für diese Frage hat der ungarische Mathematiker Rény ein ganzes Buch voll künstlicher platonischer Dialoge geschrieben. Allein über diese Frage, in welchem Sinne die Gegenstände der Mathematik wirklich sind, und wieweit nicht. Mindestens zehn Seiten lang reden sie darüber miteinander, ein fiktiver Sokrates und ein anderer Grieche. Ist gar nicht so einfach, nicht? Und Rény sagt dann ungefähr wörtlich: "Die mathematischen Dinge stimmen nur deshalb, weil wir sie gemacht haben."

* Ja, ich würde auch sagen, das ist eigentlich die moderne Auffassung, die geht etwas weg von dem Geistigen und geht stärker auf das Formale in der Mathematik ein, versucht dann hier zu sagen, dass weil wir mit bestimmten Vorschriften, bestimmten Formeln, diese Gegenstände gehorchen lassen, dass deshalb diese Eigenschaften zustandekommen und dann wird das Schwergewicht etwas verlagert vom Gedanklichen auf das Formale, also dadurch ist es auch möglich, dass ein Computer, von dem man ja sicher nicht sagen kann, dass er jetzt bestimmte geistige Prozesse durchläuft, trotzdem in der Lage ist, bestimmte mathematische Aufgaben zu lösen, weil er einfach bestimmte Formeln anwenden, bestimmte Dinge, die ihm formal eingegeben sind, miteinander verbinden kann, nach formalen Regeln und kommt auf formale Weise zu bestimmten Ergebnissen.

# Der Schreiner fragt: "Was heißt formal?" Kann man doch fragen, oder? In welchem Alter kann man das verstehen? Ich meine, richtig verstehen? Sie meinen, niemals?

* Also ich habe immer noch Schwierigkeiten zu verstehen, was ist denn wirklich existent? Sind Gedanken wirklich existent?

# Feine Frage, wie man sieht.

* Indem man das auf das Formale zurückspielt, kommt das Geistige an der Stelle im Grunde wieder hinein, dass ich, wenn ich von formalen Verknüpfungen rede, die ja auch der Computer machen kann, brauche ich aber für meine formalen Verknüpfungen Symbole. Und die Interpretation dieser Symbole ist auch wieder nur durch einen geistigen Akt möglich.

- Das mathematische Sechseck, das in meinem Kopf ist, ist das das gleiche, das in Ihrem Kopf ist?

- Ein bisschen größer, aber formal das gleiche.

# Ich glaube nicht, geschichtlich bedingt, biographisch.

* Aber dass Geometrie nicht von den Dingen redet, die wir zeichnen, sonder von denen, die wir uns vorstellen, das verstehen Kinder schon recht früh.

# Das kann ich bestätigen.

* Das verstehen sie schon mit zwölf etwa.

# Aber nicht durch Worte. Wenn man darüber redet, nicht.

* Das ist noch ein zusätzliches Problem. Es sind nicht die einfachen, gedachten Gegenstände. Ich kann ja sozusagen zügellos, ohne Formeln, unformal Dinge denken, die dann auch keineswegs hinauslaufen auf diese Form von Gegenständen, die von mir...

- Aber es kommt durchaus vor, wenn sie an der Tafel zeichnen, wenn sie schlampig zeichnen, dass dann einer ankommt und sagt: "Ja, aber wenn Du es richtig machst, dann muss es so sein. Ja, ist schon gut, ich weiß schon, was du meinst." Das ist schon innerhalb der Vorstellung, das ist also nicht...

# Das ist noch auf dem Wege vom einen zum anderen... Aber ich habe gefunden, dass man auch mit ihnen reden kann, indem man sagte: "Kannst du es dir nicht vorstellen? Ich kann es natürlich nicht zeichnen." Er macht die Augen zu und... Im übrigen, ist das denn so vereinzelt, dieser Fall? Das können wir auch mit Kindern machen. Dieses ist die Zahl Drei zum Beispiel (hält die Finger hoch), wo ist die denn? Die Zahl Drei haben wir ja, verwechseln es manchmal mit der Ziffer. Malen die 3 an die Tafel. Wenn man eine römische III meint, dann daneben zeichnet, oder eine andere Drei, ein chinesisches Zeichen, werden sie sofort sagen, dass dies nicht die Zahl ist. Sie kennen es doch. Und dann kann man sie fragen, wo die Drei zu finden ist. Da gibt es keinen Schreiner dafür, mit denen haben wir alle zu tun, mit den Zahlen. Stimmt auch nicht mit Fingern. Das gibt dann so einige Gespräche, recht früh. Aber es ist nicht ausreichend, muss schon etwas bewusster werden. Wenn ich bei Heisenberg lese, wörtlich: "Das Wasserstoffatom ist nicht ein Ding in Raum und Zeit, sondern nur ein Symbol, das unsere Rechnungen erleichtert", das kann man ihnen (den Kindern) nicht klar machen, aber das überschreitet doch alles. Dann verstehe ich diejenigen jüngeren Physiker, die sagen: "Die ganze Physik existiert überhaupt nur in unseren Köpfen, die gibt es gar nicht so wie Erbsen".

* Gibt's die denn?

# Erbsen?

* Ja.

# Kann man essen.

* Drei Erbsen auch.

- Das ist nicht das Problem, Drei kann man nicht essen.

# Wenn man weitergeht und sagt: "Wieso in den Köpfen, den Köpfen der Physiker? Wenn man die anbohrt, findet man das gar nicht." Es sind doch in den Köpfen gar keine materiellen Gegenstände drin. Das ist etwas anderes. Also das Wort "ideal", kann jemand Griechisch von Ihnen, was das eigentlich heißt?

* Ich weiß es nicht.

- Aber es ist doch mit manchen Dingen so, von denen wir glauben, dass wir sie anfassen können, wenn wir zum Beispiel von dem Menschen reden, dann ist das ja im Grunde auch ein Ideal. Er ist ein Mensch, sie ist ein Mensch und im Grunde habe ich doch einen Begriff vom Menschen, der über ganz bestimmte Personen hinausgeht.

# Ja, das kann man auch, das kann man sehr früh, in dem Sinne. Aber man darf nur nicht drängeln, das muss sich bei Gelegenheit ergeben, wenn die mal so in Stimmung sind, über so etwas zu reden, beiläufig, als Frage eigentlich nur. Andererseits ist es natürlich Philosophie, keine Physik, keine Mathematik. Und man braucht es auch bei diesem Gedankengang mit dem Sechseck nicht gerade schon früh zu machen. Man kann ja auch die Frage weiterverfolgen, ohne das zu wissen. Aber wenn man es weiß, dann weiß man, dass die Frage überhaupt nicht durch genaue Tafelzeichnung zu machen ist. Ich habe als Lehrer mich immer über gewisse Mathematiklehrer amüsiert, die mit den Geräten ihrer Genauigkeit so herumstolzierten durch die Gänge, so den Zirkel über die Schulter und ein Lineal unter dem Arm, dann noch einen Winkelmesser. Als ob das nun das Handwerkszeug wäre, dabei ist es ja eigentlich vermeidlich. Ist denn die Frage, ob es sechsmal geht, jetzt eigentlich stellbar, ich meine: kann man die jetzt, wenn man das weiß, mit gutem Gewissen stellen als Frage? Geht es wirklich sechsmal, genau? Kann man die Frage stellen? Jetzt? An Schreiner kann man sie gar nicht stellen, der sagt: "Das ist Unsinn, die zu stellen. Noch viel weniger zum Antworten." Aber hier, kann man sie jetzt stellen?

* Ja, wir können sie stellen, aber im Grunde ist es nicht das, wovon wir ausgegangen sind, nämlich der Zirkel, das womit wir es verantworten, sondern es sind Überlegungen, die eigentlich den Zirkel gar nicht mehr benötigen. Das Handwerkszeug ist gar nicht mehr nötig. - Es ist ein Begriff hinterher, denn wir durch einen Grenzprozess erreichen.

# Ist die vermutete Sechs eine wirkliche Sechs?

* Ja, ich finde, dass man die Frage eigentlich nicht stellen kann. Ja, wenn das ein von mir gedachtes Gebilde ist, dann habe ich ja von vorneherein hineingesteckt, dass es sechsmal geht. Wenn ich dann frage: "Geht es wirklich sechsmal herein?" dann verstehe ich den Sinn der Frage nicht.

# Ist die vermutete Sechs eine wirkliche Sechs?

* Ja, was hast du denn reingesteckt eigentlich?

- Ich gehe im Moment eigentlich immer wieder von der Realität aus, dass ich, also von der Ansicht des Schreiners, dass ich das sehe, dass es geht, aber wenn wir jetzt von der Modellvorstellung gesprochen haben, dass das eigentlich nur in unseren Gedanken existiert, auch der Kreis, der genaue Kreis, das genaue Sechseck im Kreis, dann verstehe ich nicht, wieso man die Frage im Nachhinein noch stellen darf.

- Ja, was du da eigentlich machst, ist doch nur das Konstruktionsprinzip, was du dir dann in deinem Kopf noch einmal vorstellst. Und wenn das alles genau wäre, kannst dir also vorstellen, dein Kreis, der hat immer vom Mittelpunkt denselben Abstand, den Radius. Wenn ich jetzt auf einen Punkt dieses Kreisumfangs gehe mit dem Radius und trage den ab, dann ist der wirklich ganz genau so lang wie der Abstand vom Kreismittelpunkt zur Kreislinie. Und im Prinzip kannst du dir das doch dann mit deinem Konstruktionsprinzip vorstellen, und dann kannst du auch die Frage stellen: "Ja, müsste das nun eigentlich sechsmal sein oder ist das nicht so?"

- Ja, ich kann die Frage eigentlich letzten Endes nicht beantworten, von dem Prozess aus gehe ich und sage nachher abstrakt: "Ja, es könnte sechsmal reingehen."

- Du kannst es doch wirklich sagen! Nur überlegen, das ist schon ein bisschen schwierig.

- Nur durchs Überlegen mache ich es auch nicht.

- Nein, du hast ja deinen realen Kreis und dein Sechseck hast du ja irgendwann einmal vor dir gehabt. Das ist die Voraussetzung.

- Ich kann bloß durch Aufzeichnen und Messen mit Zirkel oder Wollfaden feststellen, dass es -aha- ungefähr sechsmal ist. Aber alleine damit den Radius von der einen zur anderen, sich damit vorzustellen, dass es sechsmal gehen soll, das kann ich mir nicht denken.

- Du fängst ja auch erst mit realen Sachen an und stellst dann die Frage. Du hast die Erfahrung gemacht, dass es ungefähr sechsmal geht und jetzt überlegst du dir...

- Ich glaube, das sind verschiedene Dinge. Du meinst, der Schritt im Gehirn wird so ablaufen, dass ich jetzt im Gehirn diese Konstruktionsvorschrift benutze...

- ...aber die brauchst du dann nicht mehr...

- ...und da es genau geht, kann ich mir das auch genau denken und dann ist auch der Beweis. Das stimmt aber nicht, das wollen wir ja auf die Art nicht machen. Es ist etwas ganz anderes, was wir eigentlich vorhaben.

- Du gehst ja eigentlich viel weiter in deinen Gedanken. Du brauchst jetzt nur noch dein Konstruktionsprinzip, und da ich es mir in Gedanken so genau vorstelle, geht das halt, machst dir aber Gedanken darüber, warum das so geht. Im Prinzip machst du dir dann erst die Gedanken: "Was mache ich da eigentlich, welche Längen habe ich denn da, welche Winkel kommen dadurch zustande?"

- Ja, noch etwas dazu. Eigentlich ist es ja nicht das Bild, was du von der Sache hast im Kopf, an dem du praktisch den Beweis machst, sondern selbst das ist nur das, was an der Tafel war, in den Kopf reintransportiert. Und wenn ich so die Augen zumache und stelle mir eine Figur vor, dann habe ich sogar Schwierigkeiten, mir die wirklich plastisch genau und exakt vorzustellen. Es ist doch noch etwas anderes, was wir uns mit den idealen Figuren denken.

- Dieser formale Aspekt, dieses typische Formale, was bei diesen sämtlichen Operationen mitspielt und nachher kommt das eben nur auf den Formalismus an. Deswegen kann ich ja die ganze Geometrie in Form von Gleichungen schreiben. Das ist eine völlig andere Repräsentation, eine völlig andere Darstellung für -im Ideal jetzt- die gleiche Sache. Das ist auch ein Abkommen, dass die formalen Operationen zwischen den Objekten sich durchführen lassen, lässt sich verschieden darstellen.

- Was heißt in diesem Fall "formale Operation"? Also in dem ganz konkreten Fall?

- Die formalen Operationen sind da eben das Abtragen des fest vorgegebenen Radius, dann dies ganze Gebäude von formalen Operationen, nämlich das alles, was ich mir vorher selbst geschaffen habe, also dazu gehört eben auch die Definition des Kreises, all diese Dinge, und wenn ich das alles zusammenbringe, muss ich sehen, gibt das irgendwo Widersprüche oder stimmt das überein? Stimmt das zusammen mit der Aussage, dass es genau sechsmal geht? Und wenn das zusammen stimmt, dann ist das formale Gebäude, was ich habe, in sich stimmig, und dann ist es auch egal, wie ich es darstelle, hat der Mathematiker das eindeutig gezeigt. Und stimmt es nicht, dann ist der Aufbau widerspruchsvoll, so können wir es nicht tun.

# Darf ich eben noch sagen: Ich habe Sie vielleicht zu einfach verstanden. Wenn man gar nichts weiß von der Zahl Sechs, sie noch nicht hat, sondern nur so herum misst, dann kommt man so nahe an die Sechs, dass man sich fragt: "Ist das Zufall oder nicht?" Dann macht man es nochmal, dann ist es auch wieder nahe. Dann sagen Kinder: "Das ist doch komisch." Also Sie hatten bezweifelt, dass man die Frage überhaupt stellen kann.

* Nein, ich hatte eigentlich bezweifelt, dass man die Frage, ob das genau sechsmal geht, stellen kann, weil ich ja in der Realität es beliebig genau annähern kann, als Schreiner, aber ob es nun wirklich sechsmal geht...

# Genauer als der Schreiner... Dazu muss ich den Prozess hinter mir haben, über den wir sprechen. Als Mathematiker kann man es doch fragen?

* Also ich habe die Sache jetzt noch anders verstanden gehabt. Ich habe gedacht, aha, wenn ich das Ding konstruiert habe und ich habe die und die Eigenschaft reingegeben, dann kann ich doch nicht hintennach rückwärts fragen: "Stimmt diese Eigenschaft?"

- Das habe ich auch gemeint.

- So hatte ich es verstanden und habe mir vorgestellt, ich habe diese Figuren konstruiert oder gedacht oder vorgegeben, aber innerhalb meiner vorgegebenen Figuren gibt es noch Verbindungen, die ich jetzt erst entdecke oder feststelle und das war das, weshalb ich gefragt habe: "Was meinen Sie mit formalen Überlegungen?" weil ich dachte, da ginge es raus.

- Die formalen Überlegungen in diesem Zusammenhang meinen eigentlich nur, ob das alles zusammenstimmt. Die ganzen Konsequenzen einer Theorie, die sind also überhaupt nicht sofort überschaubar und deutlich, von bestimmten formalen Annahmen weiß ich nicht sofort, wo ich da hinkomme, wenn ich die verknüpfe. Wenn mir das Ganze vor Augen stünde in dem Moment, wo ich die Annahme mache, was sich da alles für ein Astwerk draus entwickelt, also mit anderen Folgerungen, die damit übereinstimmen, dann wäre es kein Problem. Dann wäre es auch sinnlos zu fragen, ob das jetzt genau geht oder nicht, dann brauchte ich nur an einer Stelle dieser Verästelung nachzugucken und dann habe ich es im Grunde schon so reingesteckt.

- Dann gäbe es auch keine Geschichte der Mathematik.

# Angenommen, angenommen, man dürfe die Frage stellen, wie würde denn die Antwort ungefähr aussehen, formal sozusagen, wenn man es hätte? Angenommen, man hat nachgewiesen, dass es kein Zufall ist, nein, es muss so sein. Wie würde die Antwort aussehen? Nicht genau, das kann ich nicht sagen, sondern ungefähr. Und wo soll ich das herholen? Wo hole ich denn das, woran ich mich halten kann, den Grund? Oder woher das kommt, irgendwoher muss es doch kommen. Woher kommt es denn? Woher kann es denn kommen, dass ich es verstehe? Oder was steckt dahinter, irgendwie versteckt? Das ist es, worauf es ankommt. Welcher Art könnte es denn sein? Bestimmt nicht etwa die Auskunft: "Das hat man früher mal herausgekriegt, deshalb wissen wir es heute." Oder auch nicht, "das steht im Buch" oder so etwas. Oder "der und der hat mich davon überzeugt, weil es ein anständiger Mensch ist, darum glaube ich ihm." Das sind alles Begründungen, die nicht gemeint sind. Wie soll sie aussehen? Na, was der Mathematiker einen Beweis nennt. Wie sieht der aus?

* So Folgerungen, von Einem wird das Nächste gefolgert.

# Was meinen Sie?

* Ein Beweis ist eine Folgerung. Wenn das Eine so ist, muss das Nächste so sein. Und so kommt man dann zum Ergebnis.

# Ist das eine zeitliche Folge?

* Nein, eine logische Folge.

# In der Physik ist es meistens zeitlich, Ursachen heißt es da. Aber hier sind keine Ursachen. Wenn man einen Satz beweist, führt man es zurück auf etwas anderes. Aber welche Anforderungen muss man an das Andere stellen, damit es einen Beweis gibt?

* Das, von dem man ausgeht, das muss eine feststehende Tatsache sein, ein Fundament, von dem man ausgeht.

# Es muss ein Grund sein, ein Fundament, und das darf nicht bezweifelbar sein. Das Merkwürdige, das Rätselhafte, das Wunderbare, wie Galilei sagt, das, was wir aufklären wollen, diese Sache habe ich dann verstanden, wenn ich eine logische Verbindung herstellen kann, dass diese Sache, die unklare Sache, aus einer Selbstverständlichkeit folgt. Es gibt ja auch Selbstverständlichkeiten.

* "Was ist eine Selbstverständlichkeit?" frage ich mich dann jetzt.

- Die Sachen, woran wir uns gewöhnt haben.

- Aber man kann doch die Frage stellen: "Warum ist das kein Fünfeck, warum geht das mit dem Radius nicht gerade fünfmal? Gäbe es so eine Welt? Kann man sich die vorstellen?"

# Indirekter Beweis. Genau einen Beweis suchen, warum das notwendig ist. Ich suche ein Beispiel. Haben Sie etwas Selbstverständliches? Etwas geometrisch Selbstverständliches?

* Also ich glaube nicht, dass das auf etwas Selbstverständliches

zurückgeführt werden kann, weil auch in der Mathematik ist es teilweise so, weil das, was als Grundsetzung gegeben wird, keineswegs als selbstverständlich erscheint...

# Damit überschreiten Sie unsere Grenzen, die wir uns selbst gesetzt haben.

* In der Schule ist das so, dass man...

# Sie sprechen jetzt aus Ihrer Kenntnis, wir haben vereinbart, dass man nur Sachen sagt, was man selbst im Augenblick meint, ohne Kenntnisse. Kenntnisse weg!

* Also ich würde sagen: "Selbstverständlich ist, wenn ich hier zwei Latten, Leisten oder sonst etwas zusammenbringe und ich bewege (kreuze) die, gibt es hier einen Winkel von verschiedener Größe. Wenn ich also diese zwei Leisten bewegen kann, dass dann der Winkel seine Größe ändert. Das ist etwas selbstverständliches für mich.

- Und dass die beiden zusammen...

# Damit definieren Sie den Begriff "Winkel", brauchen wir nicht.
Also ich würde sogar den Satz, dass die Diagonalen in einem Rechteck sich in der Mitte kreuzen, für selbstverständlich halten. Das sieht man nämlich einfach. In der Schule werden solche Selbstverständlichkeiten auch noch bewiesen, natürlich aus den Axiomen, die man vorher gelernt hat. Aber Sachen, die klar sind, soll man nicht beweisen. Wenn ich die Sache mit dem Sechseck allein aus dem beweisen könnte, dass die Winkel im Rechteck sich in der Mitte kreuzen, dann hätte ich ihn doch verstanden. Dann wäre ich doch sicher, dass es stimmt. Denn ich wundere mich über den Winkelsatz vom Parallelogramm nicht, da wundert sich doch kein Mensch, außer einem Mathematiker noch. Aber nur deshalb, weil er noch höhere Stufen der Selbstverständlichkeit sucht. Ich weiß nicht, stimmt das? Habe ich Unsinn geredet?
Ich habe gesagt, gemeint, etwas Rätselhaftes aufklären heißt: es zurückführen auf etwas Selbstverständliches. Zurückführen heißt "logisch".

* Sie haben das aber jetzt zurückgeführt auf zum Beispiel die sich kreuzenden Diagonalen im Quadrat. Ist das selbstverständlich? frage ich mich. Ob wir das genau so aufräumen können wie unser Sechseck im Kreis?

# Ja, entschuldigen Sie, aber das Rechteck, von dem ich spreche, ist natürlich ein ideales Rechteck. Ich habe vergessen zu sagen, was wir über Idealität gesagt haben, das nicht bloß für die Sechseckfigur gilt, sondern für die ganze Geometrie. Sonst hat es ja keinen Zweck.

* Eine Selbstverständlichkeit, die mir gerade einfällt, und das ist unser Problem, dass beim gleichseitigen Dreieck für mich selbstverständlich auch die Winkel alle gleich sind.

# In meiner Schulzeit hat man, weiß Gott, solche Sachen den kleinen Buben noch bewiesen.

* Dann wundert man sich, dass die Schüler das Interesse am Mathematikunterricht verlieren, Dinge, die völlig uninteressant sind. - Ich finde es interessant, wenn man merkt, wie schwierig es unter Umständen wird, ohne es vorher zu wissen, Dinge, die an sich ganz selbstverständlich erscheinen, dann auch noch formal zu beweisen.

# Ja, ja, selbstverständlich heißt zunächst einmal gewohnt. Wir sind ja auch die Gravitation gewohnt... Es ist wirklich nur eine Gewohnheit und gar keine Einsicht. Dass die Steine nach unten fallen, das stimmt nicht.

* Ja, stimmt das denn, dass man "selbstverständlich" mit "gewohnt" übersetzt? Also da steckt "verstehen" drin und ich begreife das so, dass das eine Sache ist, die sich von selbst versteht. Es gibt also durch Hinsehen keinen Zweifel, dass es so sein muss. Aber Gewohnheit ist doch etwas anderes.

# Manchmal glaubt man schon, eine Gewohnheit sei selbstverständlich. Eine wichtige Aufgabe, das aufzuklären.

* Ich möchte noch einmal auf die Frage zurückkommen. Mir ist jetzt gerade etwas in den Kopf gekommen: Wenn ich mir das Sechseck vorstelle, ideal, in der Vorstellung, alle sechs Seiten und die Länge des Radius für den Kreis, den ich gezeichnet habe; dann wäre für mich die Frage, wenn ich dieses Sechseck nehme, ob es dann genau in diesen Kreis mit dem Radius hineinpasst. Und ich kann mir ja das Sechseck vorstellen, genau. Genau sechsmal rein. Und jetzt ist die Frage, ob es genau 6 mal geht, nicht 6,1 oder 5,9. Ob es genau reinpasst.

# Wo sehen Sie den Zusammenhang?

* Also die Frage war ja vorher, wenn ich die Kreisteilung mache, ist die genau sechsmal? Und für mich stelle ich die Frage jetzt anders herum. Wenn es genau sechsmal geht, und ich mache das jetzt als Annahme, dann muss das Sechseck genau in den Kreis passen.

# Es muss in den Kreis gehen?

* Nein, dann müssen die Eckpunkte des Sechsecks genau auf dem Kreis liegen.

- Ja, liegen die genau auf dem Kreis oder gehen die an den Rand?

- Ja, ich sage, das ist die Frage andersherum formuliert. Gehe ich vom idealen Sechseck zum idealen Kreis und gucke, passt es genau zusammen? Finde ich jetzt Vorstellungen, dass es genau passt?

# Ist das selbstverständlich?

* Das ist für mich die Frage.

- Es ist selbstverständlich.

# In den Kreis kann man ein Sechseck einzeichnen, habe ich es richtig verstanden? Umgekehrt, wenn ich ein Sechseck habe, dann muss es auch in den Kreis gehen.

* Wenn es genau sechsmal geht.

- Das ist selbstverständlich in dem Sinne, dass man es auf die Definition zurückbringt.

# Ja, ja. Wir überlegen uns nochmal, jeder für sich, ob das selbstverständlich ist.

* Hier liegt die Frage zu Grunde, ob ich das jetzt gedanklich herstellen kann, solch ein Sechseck, was für Bedingungen hat das da?

- Und ohne den Kreis zu benutzen.

- Das ist dann schon ein Problem, für mich im Moment.

- Naja, dann setzt du im Grunde voraus, dass es geht.

- Ja, wenn du sagst: "Es geht genau sechsmal", dann ist die Frage, ob es in den Kreis passt, keine Frage mehr. Dieses "genau sechsmal" ist schon die Voraussetzung beziehungsweise die Lösung des Problems. Dann ist es geklärt, wenn du das "genau" begründen kannst.

# Also die nächste Sitzung ist... also in einer Woche.

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