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20. Oktober 1986.

Thema: Einführung - Was macht guten Unterricht aus? Falsche Vor-Stellungen (Mondfinsternis. Licht-Brechung) - Verstehen statt Gehabt-Haben

# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in der selben Runde
() redaktionelle Kommentare

(Vorstellung der einzelnen Teilnehmer, Begründung, warum sie dieses Seminar wählten):

* Aus der Fülle der Daten heraus, die ich im Biologieunterricht habe, habe ich mir überlegt, man könnte es auch anders machen. Da fand ich eben das, was Sie im kommentierten Vorlesungsverzeichnis erwähnt haben,

# Das war ein längerer Kommentar-

* Ja, das war von der physikalischen Gesellschaft ein Zitat. Also das erste Zitat ist von der Tübinger Resolution von 1951 und da heißt es (liest vor): "Leistung ist nicht möglich ohne Gründlichkeit und Gründlichkeit ohne Selbstbeschränkung. Arbeiten können ist mehr als Vielwisserei. Ursprüngliche Phänomene der geistigen Welt können am Beispiel eines einzelnen, vom Schüler wirklich erfassten Gegenstandes sichtbar werden, aber sie werden verdeckt durch Anhäufung von bloßem Stoff, der nicht eigentlich verstanden ist und darum bald wieder vergessen wird." Und dann noch ein Zitat von der deutschen physikalischen Gesellschaft von 1980: "In den für die Physik fundamentalen Bereichen ist dem Verständnis weniger Sachverhalte gegenüber der oberflächlichen Vermittlung einer zu großen Stofffülle der Vorrang zu geben." Ich bin damit betroffen im Moment, weil ich eben eine Stofffülle bewältigen muss.

# Und Sie?

* Ich bin Referendar in Griesheim an einer Gesamtschule. Ich bin Physik- und Polytechniklehrer und ich habe bei Herrn Willer in Berlin studiert. Jörg Willer ist Physikdidaktiker an der ehemaligen Pädagogischen Hochschule, jetzt an der TU und der hat immer leuchtende Augen gekriegt, wenn er von Ihnen (Herr Wagenschein) erzählt hat und als ich dann mitkriegte, dass ich Sie auch noch erleben könnte
- (Gelächter) haben Sie das beschlossen...
- Ja.

# Und nun sagen Sie auch etwas, Sie haben noch nix gesagt. Sie sind ja alter Kunde.

* Ja, ich war schon zwei Mal in dem Seminar, einmal ganz regelmäßig und einmal war es schwieriger wegen dem Stundenplan.

# Sagen Sie, weshalb Sie wiederkommen.

* Ja weil es jedes mal wieder etwas Neues ist, das ist jedes Mal anders. Und weil man dabei lernen kann, wie man Physik lernen kann.

# Sehen Sie einen Zusammenhang mit dem was er gesagt hat?

* Ja doch, wenn man lernen kann, oder hier sehen kann, wie Physik gelernt werden kann, damit ist es genau das, was ich brauche.
- Ja in der experimentellen Wissenschaft, wenn ich da diese Grundprinzipien verstanden habe, dann ist es doch eigentlich egal, ob ich das in der Physik gelernt habe oder in der Biologie.

# Da wissen Sie ja nix.

* Über die Physik? Ja, ich komme aus dem naturwissenschaftlichen Gymnasium.

# Ich meine, dann wissen Sie außer den Grundprinzipien nichts. Sie können doch die Newtonschen mechanischen Prinzipien kennen, aber deswegen wissen Sie doch nicht die Tatsachen.

* Ja aber ich kann mir doch anhand von Prinzipien andere Phänomene, die ähnlich gelagert sind, erklären.

# Ja das sagen alle, dass das geht, also alle Pädagogen und auch alle Fachleute von Rang haben dieselbe Meinung. Aber es passiert nichts. Sie haben es wohl nirgendwo angetroffen, dass man das Prinzip Bewältigung von Stoffmassen kontrolliert, dass man sie (die Stoffmassen) vermeidet. Haben Sie das irgendwo gefunden? Es kommt ja vor. Wir haben ja Lehrfreiheit an den Hochschulen.
Sie haben noch nichts gesagt.

* Ich bin ein ganz alter Kunde, ich habe 1961 bei Professor Wagenschein Examen gemacht in Physik und in Schulpädagogik. Ich habe dem hessischen Staat "Auf Wiedersehen" gesagt, ich habe den hessischen Staatsbeamten auf Lebenszeit zurückgegeben und bin jetzt an einer Gesamtschule in der Schweiz tätig. Das wäre ja nicht so furchtbar aufregend. Spannend ist es ja nur, weil es die Schule ist, die Paul Geheeb 1933 im Ausland gegründet hat, also die Nachfolgerin oder sagen wir, der noch bessere Aufguss der Odenwaldschule. Ich bin 1965 für ein Jahr an diese Schule mit einem Urlaub vom Hessischen Kultusminister bis 1966, bin dann 1967 wieder hin mit allerhand Tricki-Trickis, Urlaub und so fort, bis wir dann beschlossen haben, das muss ich dazu sagen, mein Mann und ich, dort zu bleiben, ganz dort zu bleiben. Wir haben an der Schule ideale Arbeitsbedingungen, das kann Annette bestätigen, sie war einen Monat dort. Wir sind beide die einzigen Physiklehrer, wir dürfen machen was will ich denn und sind auch in der Mathematik sehr frei. Wir müssen nur den Stoff behandelt haben. Wie wir ihn behandeln und was wir draus machen, das liegt an uns. Als ich von Professor Wagenschein im Februar letzten Jahres gehört habe, in seinem Seminar waren, ich weiß nicht wie viel Lehrer, hab ich gedacht: "Mensch, da fällst du alte Kuh doch nicht auf, gehst doch mal wieder hin." Dadurch fahre ich also jeden Sonntag weg, bin Sonntagabends in Frankfurt und montags hier; Montagmittag fahre ich wieder zurück und bin Montagabend wieder zuhause.
- Wo liegt das in der Schweiz?
- Das liegt auf dem Brünigpass, zwischen Luzern und Interlaken.

# Und wo kommen Sie jetzt her? (zu einem anderen Teilnehmer) Sagen Sie das auch, in Beziehung zu hier.

* Ach so, ich war halt an der Schule zu Gast, 6 Wochen lang. Ansonsten studiere ich hier in Darmstadt Physik und Mathematik fürs Lehramt und wir haben uns in diesem Seminar kennen gelernt, also dadurch kam diese Beziehung.
- Also ich finde es wunderbar, dass ein Biologe hier ist, denn ich "muss" im Augenblick Biologie machen, weil die Schüler, die ich unterrichte, keiner wollte. Dadurch habe ich sie bekommen und habe mir ausgesucht, was ich ungefähr kann und hab geschaut, was die Schüler brauchen und hatte die freie Wahl zwischen Geschichte, Geografie, Biologie und bin zur Biologie gegangen. Von der Fachgruppenleiterin für Biologie hab ich einen sehr guten Vorschlag bekommen, den ich sehr gerne aufgegriffen habe. Ich habe also bis Weihnachten Zeit, die Vögel zu behandeln und sie hat mir auch gesagt, wie ich das ungefähr machen könnte und das hat mir eigentlich imponiert und ich mach das ganz gerne.

# Da Sie nicht Biologie können, fällt mir ein Satz von der Pädagogin Minna Specht ein, die früher mal die Odenwaldschule geleitet hat, 1945. Die sagt, das beste Lehrmittel ist eine Frage, über die man niemals nachgedacht hat. Sie verstehen ? Eine Frage, über die der Lehrer niemals nachgedacht hat. Wenn er die unterrichten soll, dann ist es das beste Lehrmittel. Das ist natürlich extrem gesagt, aber ungefähr das Gegenteil von dem, was die Norm ist, man darf nur unterrichten, was man ganz genau kennt, und zwar als Wissenschaft. - Ja, ich passe mich nun an. Sie haben in diesen Ankündigungen gesehen, dass dieses Verfahren Vertreter hat, mich nicht ganz allein. Also die Gesellschaft in Tübingen. 1951 war in Tübingen ein kleiner Kongress, da waren von jeder Wissenschaft einige Köpfe, außerdem waren da Pädagogen, Pädagogen, die jetzt inzwischen ausgestorben sind, Namen, die Sie kaum kennen, Spranger oder Litt. Und die haben über diese Sachen traktiert und die waren sich klar, dass es keinen Ausweg gibt als den, ein Thema zu wählen, dabei zu bleiben in der richtigen Weise, dass man dadurch das Fach versteht. Das klingt natürlich akademisch und abstrakt. Es hat keinen Zweck, viel dazu zu sagen, deswegen habe ich mir vorgenommen, jedes Mal immer einzelne, konkrete Beispiele zu nehmen. Heute habe ich mir vorgenommen, noch konkreter zu sein, noch abstrakter auch. Da finden Sie drei Begriffe, genetisch-exemplarisch-sokratisch. Dabei kann man sich vielleicht nichts denken oder doch, ist das möglich?

* Genetisch heißt doch, etwas entwickelnd, eins auf dem anderen aufbauend.

# Genesis. Die Genese eines Unternehmens. Sie können nicht Griechisch ? Ich auch nicht. Also kurz gesagt, wie es entsteht. Man kann eine Wissenschaft nicht verstehen, wenn man nicht weiß, wie sie entstanden ist. Das ist eine Behauptung. - Das nächste ist exemplarisch. Das ist das, was wir gesagt haben, dass an einem Beispiel das Ganze erfasst wird, gewissermaßen als Spiegel wurde damals gesagt. Ein Historiker sagte "mundus in gutta " also die Welt im Tropfen. Die Welt im Tropfen eines einzigen Spiegels. Das waren alles Beispiele, mit denen man das Exemplarische erklärt hat. - Und sokratisch heißt so wie Sokrates gelehrt hat, dass er die Schüler nicht belehrt hat, sondern ausgefragt hat und sogar sie etwas Falsches gelehrt hat, um sie zum Widerstand zu reizen.
Damit Schluss mit dem Allgemeinen. Ich möchte mit einem Beispiel anfangen. Nun bin ich ja doch Physiker im Grunde, Mathematiker, das darf Sie nicht stören. Denn wenn Sie von diesen Fächern nichts wissen, dann sind Sie genau die Richtigen, dann werde ich Sie nicht mit Wissenschaft voll stopfen, sondern Sie werden widersprechen. - Sie verstehen etwas von Physik?

* Ja.

# Sie auch?

* Ja

# Wissen Sie viel?

* Ich hab mich einige Menge damit beschäftigt, ich denke, ich weiß einiges.

# Ich meine eigentlich, haben Sie den Eindruck, viel zu wissen?

* (nach langem Zögern) jjo

# Ich hatte ihn auch, und als ich Lehrer wurde, sehr zögernd, da lernte ich, dass ich gar nichts wusste, weil ich den Kindern die Sache nicht klar machen konnte. Und dann bin ich aus der Schule emigriert, aus der Staatsschule, und bin in die Odenwaldschule gegangen, schon lange her. Da fand ich nun etwas vor, schon fix und fertig vor. Als ich zum ersten Mal da war, wurde ich in ein Lehrerzimmer geschoben, wo man zusammen saß, der Leiter Paul Geheeb saß an einem Tisch, rechts saßen ein paar Mitarbeiter, es waren nicht gleich 50 wie ich gewohnt war, und die schrieben nicht, sondern die machten Bohnen aus. Die Frauen flickten. Sie machten das, was man eine Notenkonferenz nannte. Und sie sprachen nur von einem einzigen Schüler, sprachen von dem zwei Stunden lang. Und es kam keine Zahl vor, keine Note, statt dessen eine sehr ausführliche Schilderung seines Zustandes, nicht nur seiner Kenntnisse, sondern seines Gesamtzustandes. Das hat mir einen ungeheuren Eindruck gemacht, den Eindruck: das ist das Richtige. Diese ganze Eile, Hetze, Oberflächlichkeit auch in Wissenschaften, Oberflächlichkeit weil schnell, hastig. Diese Schule hatte keine Klassen, sondern Gruppen von etwa zehn, da wurde ein Thema gewählt, das jemanden interessierte, z.B. in der Geschichte, was nicht mein Fach ist. Aber ich würde mir sofort zutrauen, so auch Geschichte zu lehren, wenn ich die nötigen Materialien hätte. Thema: Französische Revolution. Eine Gruppe von ein paar Leuten, zehn bis zwanzig und jeden Tag dasselbe, immer dasselbe Thema, vier Wochen lang, jeden Tag zweite Stunde, auf Grund von Dokumenten, die von der Französischen Revolution vorliegen, ohne dass man irgend etwas wusste, voraus wusste, warum die das machten. Das erfuhr man eben aus dem Dokument, ohne geschichtliche Kenntnisse, aber alles war lebendig. Und es ergab sich nicht nur die Lage, die vorher war, sondern auch die Folgen, die Folgen einer Revolution. Die Folgen wurden jetzt klar, dieser exemplarischen Revolution. Das war ein Beispiel. So, nun wollen wir mal anfangen, ich möchte mal ein physikalisches Kapitel vornehmen, Lichtbrechung. Wissen Sie etwas? Sie brauchen nichts zu wissen. Das Beste ist, Sie wissen gar nichts. Darf ich hoffen, dass Sie gar nichts wissen? Zum Anfang eine Anekdote. Ich habe zwanzig Jahre in Tübingen ein Seminar gehalten. Da hatte ich eines Tages eine Gruppe von zufällig lauter Physikern, das waren ungefähr zehn Mann, und kam aufs Brechungsgesetz und dachte: "na ja, die sind ja Physiker" und ich sagte ihnen "wie sieht denn das aus, wenn man da ein Boot sieht auf einem See, da sitzt ein Mann drin und hat das Ruder so ins Wasser gesteckt, es taucht also rein, und dann guckt man sich's an von ferne. Ich fragte die "wissen Sie noch, von vielleicht besonderen Gelegenheiten, wie das aussieht?" Da bekam ich eine sehr interessante Auskunft. Wissen Sie, wie es aussieht?

* Na ja, das Ruder scheint geknickt zu sein.

# Geknickt! Und sie sagen gleich "scheint".

* Wenn ich es rausziehe, ist es ja gerade.

# Was sagen Sie? (ein weiterer Teilnehmer erscheint) - Schau an. Wir sprachen gerade davon, wie es aussieht, wenn ein Mann in einem Boot sitzt auf einem glatten See und vom Boot das Ruder ins Wasser steckt. Man sollte es doch hinzeichnen, er sitzt da drin und das Ruder geht so rein ins Wasser, steckt halb drin, halb draußen. Und dann sieht man etwas, was erstaunlich ist. Ich behaupte, dass jeder Unterricht, der vernünftig verlaufen soll, von einer Erstaunlichkeit ausgehen muss. Wenn der Lehrer sagt: "heute wollen wir mal, denn es steht im Lehrplan..." dann ist das kein Motiv, klar. Würden Sie zustimmen?

* Sie meinen mit der Erstaunlichkeit?

# Ja, dass ein Thema ein Problem, ein Phänomen, das erstaunlich ist, für jeden, die Bedingung ist, dass wir am schnellsten in die Wissenschaft reinkommen, die zuständig ist.

* Also zumindest wird dadurch die Neugier geweckt oder sollte geweckt werden. Ob das eine Bedingung ist, dazu hab ich jetzt einfach zu wenig Erfahrung.

# Geweckt ist ganz richtig, weil sie lauert. Ich möchte das Wort Neugier etwas ändern. Es ist nicht nur Neugier, es ist auch wenn Sie etwas sehr Erstaunliches sehen, zum Beispiel eine Mondfinsternis, wenn Sie noch keine gesehen hätten. Neugierig ist ein Mensch, der rumläuft und alles wissen will. Gier nach Neuem. Aber hier ist das nicht so. Es gibt ja viel Neues, was gar nicht in diese Kategorie gehört, das politisch Neue zum Beispiel.

* Und auch die Erklärung.

# Ja, das Wort Erklärung sagt ja, dass da etwas klar werden soll. Was soll uns denn klar werden?

* Es soll verstanden werden.

# Warum soll es denn verstanden werden? Das nenne ich einen Urtrieb, den wir haben, wenn einem so etwas passiert wie mit dem Ruder. Es braucht nicht wichtig zu sein... man fühlt, das müsstest du rauskriegen. Andere Beispiele? Man kann im Hamburger Hafen sehen, dass ein großes, furchtbar schweres Stahlschiff schwimmt. Und Stahl schwimmt nicht. Darüber denken kleine Buben nach. Oder, etwas ganz Einfaches. Man hört einen Knall verspätet. Das berühmte Beispiel von dem Mann, der in seinem Garten einen Pflock einschlägt. Wer hundert oder dreihundert Meter weg ist, da sieht man den etwas tun und das passt nicht zu dem, was man hört, das kommt hinterher. Sie wissen, was ich meine ? Wenn man so etwas erlebt, dann staunt man. Man wünscht offenbar, dass es stimmt, dass die Sachen stimmen. Dann darf nichts Neues kommen, was nicht klar ist. Das sind also Fälle, bei denen Beunruhigung kommt. Und hier bei diesem Ruder, wie ist das ? Können Sie es vielleicht einmal hinzeichnen?
Was ist zu sehen ? (wir können auf Papier zeichnen) Also das ist Wasser, das das Boot. Ich tauche das Ruder nun hier hinein, es geht nun weiter. Wie sieht es nun aus?

* Also wenn ich mich recht erinnere, so (zeichnet abgeknickt nach oben).
- Es scheint abgeknickt zu sein, abgeknickt nach oben.
- Ja.
- Also ich hätte jetzt nicht gewusst, in welche Richtung ich das hätte abknicken sollen.

# Sie wussten gar nicht, welche Richtung Sie hätten bevorzugen sollen?

* Ja, ich hätte es auch in die andere Richtung machen können.

# Er hat es nach oben geknickt, was sagen Sie?

* Richtig.
- Es erscheint mir richtig.

# Und was hätten Sie gemacht?

* Ich hätte es auch so gemacht.
- Ich auch.

# Ja, erstaunlich viele Treffer. So ist es auch. Und diese zehn Physiker gaben erstaunlicherweise einstimmig ein falsches Urteil ab. Die knickten nämlich nach unten, dann sah es so aus:
Das ist eben falsch, ganz falsch.

* Nein, das ist nur etwas anderes.
- Das ist aber trotzdem falsch.
- Das ist der Brechungsvorgang, wie er normalerweise in Physikbüchern erklärt wird.

# Ja was ist denn das?

* Das ist der Übergang vom optisch dünneren ins optisch dichtere Medium, wie es normalerweise in Physikbüchern gezeigt wird, wo halt die Brechung zum Einfallslot hin stattfindet.

# Fürwahr, ist gut!

* Das ist die Ursache.
- Ursache, nein. Über Ursache können wir in Physik nicht reden, nur beschreiben.
- Im Gegensatz zu dem Paddel ist das die Abbildung für den Lichtstrahl.

# Ja, die haben das Ruder mit dem Lichtstrahl verwechselt, mit der konventionellen Figur, die in allen Physikbüchern ist. Da sieht man, wie man lernt. Wann man soviel lernt, verdeckt man das Phänomen mit dem Lehrbuchwissen. Das gibt es in vielen Seiten. Eines der schönsten Beispiele... - Ach wollen Sie mal erzählen, was Sie gestern erlebt haben?

* Am Freitagabend war eine Mondfinsternis, einige haben sie gesehen. Und ich fuhr gestern früh mit einer Kollegin, die, wie mir schien, naturwissenschaftlich nicht ganz unbegabt ist, denn sie unterrichtet Informatik. Sie ist also verhältnismäßig neu und sie war ganz beglückt, so schön hätte sie die Mondfinsternis noch nie gesehen. - Teil eins - Teil zwei: Und erstaunlich, dass sie auch mit dem Vollmond zusammenfiel! Und ich sagte: "Ja, im Frühjahr war schon mal eine Mondfinsternis, die konnten wir besser sehen." Diesmal nämlich kam Nebel auf. Fragt sie: "war da auch Vollmond?" Ich sagte ja. "Es war doch erstaunlich, es war die ganze Woche schon sehr schön, es waren herrliche Vollmondabende und dann war es sehr schön, dass Vollmond war und dann noch so etwas tolles, dass beide Sachen zusammenfielen." Die war ganz begeistert.

# Der Fall liegt hier anders, wahre Unkenntnis, aber... ja, die Schule behauptet ja, sie hätte das alles gelehrt. Merken Sie die Geschichte?

* Ich habe das noch nicht so richtig verstanden. Sie sprach vom Frühjahr...
- Ob da auch Vollmond und Mondfinsternis zusammen waren.
- Vollmond und Mondfinsternis zusammen, das beglückt.
- Also die Jahreszeit spielt keine Rolle.

# Schlicht gesagt: immer.

* Ich habe sie nicht so weit aufgeklärt.

# Dann klären Sie uns jetzt mal auf!

* Weiß etwa jemand nicht, warum das so ist?

# Sie dürfen hier alles sagen, das muss ich auch voraussagen. Also es handelt sich nicht um Schule, es handelt sich nicht darum, jemanden zu blamieren oder seine Unkenntnis groß herauszustellen oder sie gar zu beurteilen. Der Angeklagte ist die Schule, nicht der Einzelne.

* Schön!

# Was ist?

* Dieser Spruch: Der Angeklagte ist die Schule.
- Aber die Hochschule, kannst du ruhig auch ergänzen, die kann man bei der Gelegenheit mitanklagen.
- Warum, hast du etwas von der Mondfinsternis gehört?
- Eben nicht. Na gut, das kann auch an mir gelegen haben, ich bin nicht zur Vorlesung gegangen. Aber das lag wiederum an der Hochschule, dass ich nicht zur Vorlesung gegangen bin.

# Ja, würde dieses Thema die Lage klären?

* Ich würde sagen: Die Mondfinsternis ist doch ohne Vollmond überhaupt nicht denkbar. Also das eine Phänomen funktioniert nur in Verbindung mit dem anderen Phänomen.

# Ja, wie begründen Sie denn das?

* Über die Stellung der Planeten. Also einmal Erde, dann Mond, dann Sonne; ach nee, halt, stimmt nicht. Die Erde müsste in der Mitte stehen und der Mond steht auf der sonnenabgewandten Seite. Ja. Also durch die Erde kommt kein Licht auf den Mond.
- Das setzt ja voraus, also wenn die Erde sich zwischen Sonne und Mond schieben kann, das setzt dann ja voraus, dass die Sonne den Mond beleuchtet, darum ist immer Vollmond.
- Nee.
- Doch.
- Also der Mond wird immer von der Sonne beleuchtet, also mit ganz wenigen Ausnahmen, wenn er im Erdschatten ist.
- Das ist ja klar.
- Wir sehen es halt dann als Vollmond, wenn es genau gegenüber der Sonne ist.
- Ja, und das ist die Voraussetzung, das habe ich doch gemeint, damit die Erde ihren Schatten überhaupt, damit der Erdschatten überhaupt auf den Mond fallen kann.
- Und deshalb Mondfinsternis nur bei Vollmond und im Gegenzug dann: Sonnenfinsternis geht nur bei Neumond.

# Hätte die Dame das kontrollieren können, dass es immer so sein muss? Nicht jetzt, wie wir sprechen, wir sprechen ja von Figuren der Zeichnung. Aber in der Natur? Also wenn dort hinten der Vollmond ist, wo ist dann die Sonne, jetzt in der Natur gesehen?

* Da unten!

# Sieht man es so? Haben Sie es so gesehen?

* Ja, man sieht die Sonne nicht, man muss es sich nur da denken.

# Ja, ja, haben Sie es mal so erlebt, da draußen?

* Nein, ich habe das Phänomen noch nicht gesehen.

# Ach so. - Also ich habe den Eindruck oder den Verdacht, dass die Kinder die Geschichte nur nach Lehrbuchzeichnungen verstehen. Aber dass dies ganz selten ist. Wenn das der Schatten der Erde sein soll, dann müssen wir doch wo sein, dann kann man es ja suchen, sonst nirgends. Wenn wir dann als Nagel aus der Erdkugel rausragen, müsste man das auf diesem Schatten auf dem Mond grundsätzlich sehen. Wenn einer so schaut, hat er das Phänomen kapiert.
Wie ist denn das mit den Mondphasen, dem Sichelmond? Der ist ja nun immer, jeden Monat. Das ist doch dasselbe, oder? Das ist doch auch ein Schatten, oder? Welcher Schatten liegt denn da drauf?

* Ja, das ist kein Schatten.

# Sie dürfen doch nicht einfach die Wahrheit ausplaudern!

* Das ist schon Schatten.
- Natürlich.

# Darf ich nochmal unterbrechen? Die Gesprächsregelung - wenn jemand die Sache durchschaut, und die anderen sind im tiefsten Nachdenken versunken, dann darf er da nicht einfach erzählen. Dann wird er zum Lehrer, wenn er auch sonst Schüler sein mag. Dann passt er auf. Sonst zerreißen Sie ja das Denkgespinst, das sich da herausbildet. Warum soll das denn kein Schatten sein, wenn der Mond so beraubt ist, jämmerlich dünn? Der Mond ist ja angeblich eine Kugel, das wissen wir ja, weil wir oben waren. Wie kann eine Kugel wie eine Sichel aussehen? Wenn kein Schatten drauf liegt und wenn niemand rausgeschnitzt hat, - bei Münchhausens Mondreise sieht man die schiffsförmige Sichel und da sitzt der Münchhausen drin, sitzt drauf. Er sitzt in dem Gebiet wo der Mond nicht da ist. - Also was wir jetzt machen, ich hatte das gar nicht vor, das ist: die Schule anklagen. Welches Vergehens wird hier die Schule angeklagt?

* Wissen vor Verstehen zu stellen. Oder Wissen zu vermitteln und kein Verständnis dabei erzeugt zu haben.
- Ich hätte prinzipiell genau das Gleiche gesagt, dass es mir als Schüler schon gar nicht mehr darum geht, das zu verstehen, sondern dass ich eigentlich auf das achte, was der Lehrer mir sagt und das als bare Münze nehme. Und da will ich gar nicht einfach den Schüler hinstellen, da ich kann auch den Studenten hinstellen.

# Ja, ja. Er glaubts doch? Fragt sich. Man kann ja glauben, was der Lehrer sagt, man kann es auch lassen. Das sogar glauben, das ist schon sehr viel, Gläubigkeit meine ich, besonders wenn es dann den eigenen Beobachtungen, wenn man sie hätte, widerspricht.

* Ja, dann muss man trotzdem in den Klassenarbeiten das bringen, was der Lehrer gesagt hat, das muss man wiedergeben können. Deshalb lernt man auch das.

# Ja, wenn er nickt, ist es gut. Aber ob es wahr ist, ist eine Frage für sich.

* Man kann es meistens in dem Studium selber so nicht überprüfen.
- Ich habe jetzt einen Neuntklässler, den musste ich in Mathematik beraten. Wir stellten gemeinsam fest, dass er im achten Schuljahr den ganzen Stoff nicht verstanden hat, und wir machten ihm das Angebot: "Schau mal, du könntest doch das und das machen." Antwort des Knaben: "Was nutzt mir das denn, wenn ich den Stoff verstehe, ich muss ihn gehabt haben."

# Wörtlich?

* Ja.

# Wie alt?

* Neunte Klasse. 7 + 9... fünfzehn, sechzehn. Ich muss ihn gehabt haben...

# Tja, interessant, der scheint lebenstüchtig zu werden.

* Das ist schon fast die Schwelle zum Arbeitsleben.
- Ja, wir lassen ihn jetzt dabei, vielleicht wird er es merken, dass das so doch nicht so ganz erfreulich ist. - Ich meine, da ist ein Problem bei. Da ist eine Vielzahl von Phänomenen, unterschiedlichen Phänomenen. Und ich als Student und auch als Schüler, also das ist meine Meinung jetzt, alles andere wäre Illusion, kann nicht alles im ersten Moment verstehen. Ich brech mir keinen bei ab, wenn ich erst mal gewisse Phänomene oder gewisse Erklärungen für Phänomene erst mal als bare Münze nehme, um dann erst später vielleicht, ich sag ja schon vielleicht, weil ich an mir selbst auch schon oftmals gesehen habe, dass ich gewisse Sachen manchmal nicht verstehen kann im Moment. Wenn ich etwas als absolut jetzt sehen muss und wenn ich später nochmal hinkomme mit einem anderen Wissen, dann verstehe ich das erst. Also ich finde, so als volle bare Münze jedes Phänomen gleich verstehen zu wollen, geht nicht.

# Das wissen wir. Die besseren Lehrer wissen das auch. Die halten das für eine gute Art der Ausbildung. Ich glaube auch, dass die Studenten, dass die verstehen, das ist Schummmel, dass wir so arbeiten. Dass sie das wohl behalten, aber kritisch wissen. Ich glaube auch, dass die Hochschullehrer in ihrem eigenem Fach das Wesentliche bringen, also die Qualifikation insgeheim in Ordnung bringen. Es fragt sich nur, ob das so sein darf, wenn man an die anderen denkt, die also nicht Hochschullehrer werden, ob die ein geordnetes Wissen haben, von dem sie wissen, das weiß ich und das hab ich nur gehört; das habe ich verstanden und das nicht. Diese Unterscheidung ist wichtig; also die sogenannten einfachen Leute. Ich habe auch so gearbeitet.

* Ich würde da grundsätzlich keinen Unterschied machen, das ist genau so schlecht für den Studenten wie für den Schüler; Dinge nur zu akzeptieren und dann später im Nachhinein das Eine oder Andere vielleicht auch verstehen, weil er einfach damit umgegangen ist. Ich finde das auch nicht richtig, diese Vorgehensweise der Hochschule, möglichst viel Stoff durchzupumpen durch die Studenten um zum Schluß halt ein Prüfungsergebnis da zu haben und irgendwann mal wird er im ständigen Umgang mit der Materie es auch mal verstehen können, was er da macht.

# Also Sie sind damit zufrieden?

* Nein, ich bin damit überhaupt nicht zufrieden, mir ist das in der Schule schon so gegangen, dass ich die Dinge immer verstehen wollte, ich habe nie etwas akzeptiert, wenn der Lehrer mir das gesagt hat, erst wenn ich das selber verstanden hatte, dann habe ich das akzeptiert und in Prüfungen habe ich auch eigene Lösungen gebracht.
- Du hast doch sicher schon erlebt, dass Dir viel später das Licht aufging und du sagtest "ach so" und um diese Möglichkeit bringst du dich ja dann.
- Aber es gäbe doch viel mehr Möglichkeiten, hinter den Trichter zu kommen, wenn man die Art der Vorlesung oder vielleicht Vorlesung in dem Stil überhaupt nicht machen würde, dass man da schon viel mehr verstanden hat.
- Dann musst du Deine Fragen aber sehr beschränken. Dann darfst du immer nur nach Sachen fragen, die du auch in dem gewissen Stadium voll verstehen kannst. Dann darfst du in der Schule zum Beispiel kein Kind fragen lassen: "wie funktioniert ein Fernseher?" selbst Deine Erklärung wird es nicht selber vollständig nachprüfen können, zunächst. Also musst du entweder sagen: "das wird jetzt nicht behandelt, das wollen wir mal auslassen, das ist zu kompliziert" und beschränkst dich auf einfache Sachen, die du vollständig behandeln kannst oder du musst halt wirklich sagen: "ganz verstehen tue ich es auch nicht" und gibst Erklärungen an, die dann halt fraglich sind. Und das ist doch die Schwierigkeit. Kein Mensch kann heute alles wissen, mit dem er umgeht, keiner.
- Ja, das geht ja sowieso nicht.
- Eben, und ich finde, man sollte wenigstens unterscheiden können. Das würde ich schon vielleicht als Ziel sehen, dass man wenigstens weiß, was man nicht verstanden hat.

# Die Frage, kann man von den Schulen oder Hochschulen verlangen, oder kann von dem Schüler oder Studenten, kann von ihm verlangt werden, alles was er lernt, auch zu verstehen? Was sagen Sie dazu? Kann man das verlangen?

* Nein, das ist ausgeschlossen.

# Ja. Zweitens: Angenommen, der Wissensstoff ist so viel, innerhalb der Schulzeit überhaupt notwendig. Angenommen, dies ist alles nötig, durchgenommen zu werden. Muß denn dann, muss man das wirklich verlangen oder gibt es einen Ausweg? Nicht alles, sondern mit Zugeben: "Was ihr jetzt nicht versteht, das versteht ihr nicht, das schadet nichts, das ist eine Information." Ist das duldbar, dass das durchweg so ist? Und das ist der Gedanke des exemplarischen Lehrens, dass man schon einen gewissen Turnus durchläuft, meinetwegen die ganze Geschichte erzählt, die ganze Weltgeschichte oder die ganze Physik, na ja, dass das alles Sinn hat oder erlaubt ist, nur allenfalls erlaubt ist, wenn man einen Kernpunkt nimmt, einen wohlüberlegten Kernpunkt vom Gebiet der ganzen Physik und da nun endlich anständig denkt, ich kann auch sagen: wissenschaftlich denkt. Die wissenschaftliche Gläubigkeit, die wir damit erleben in diesem Massenangebot, die macht ja den Fehler, dass sie gerade nicht wissenschaftlich arbeitet, selbst die Lehrer, die Oberstudienräte, die vor Wissenschaftlichkeit strotzen und deshalb alles wissen wollen, die müssen ja doch sehen, dass gerade erst in intensivem, selbsttätigen Denken sich die Wissenschaftlichkeit bis zu einem gewissen Grad erleben lässt. Stimmen Sie zu?

* Ja.

# Also jetzt müssen Sie vorsichtig sein, ich warte ja nicht auf Zustimmung.

* Nein, ich stimme dem zu. Ich habe zum Beispiel selber in der Schule, als negative Erfahrung, gerade Sonne und Mond und Mondfinsternis und Sonnenfinsternis und auch die Mondphasen alles ordentlich in einem Heft, das habe ich noch heute, und war ganz begeistert in der Schule und habe das nie am Himmel gesehen, jahrelang, weil das war ja alles ganz klar auf dem Papier, also vollständig klar und sortiert und das hatte mit der wirklichen Welt nichts zu tun. Und das war kein wissenschaftliches Denken, das ist ein ganz deutliches Beispiel, weil die Sache selber, das Objekt, wurde ja gar nicht angeguckt, sondern nur die Bilder.

# Das ist aber immer so. Ich könnte Ihnen ein Zitat von Pestalozzi sagen, was ich nicht auswendig weiß, wo er sagt: "Sie lernen die Worte, ehe sie die Sache gesehen haben".

* So ungefähr. Ich habe auch das Experiment gemacht, ich habe dann andere Leute gefragt, die mit mir in der Klasse waren, wie sie sich das zum Beispiel mit den Mondphasen vorstellen. Und die hatten alle das Argument mit dem Erdschatten, also die haben das alle verwechselt mit der Mondfinsternis. Die waren überzeugt, dass sie das so gehört hätten und dass das so wäre mit dem Erdschatten.

# Brauchen die doch gar nicht, die haben selbst gedacht. Auch Ihre Dame, die wusste doch gar nichts von der Mondfinsternis. Die hat sich richtig gewundert, dass die immer am Vollmond ist. Das ist die wissenschaftliche Grundlage zur Erforschung der Mondfinsternis. Die Kinder können noch so verbildet sein, sie lassen sich nicht ihre ursprüngliche Denkweise wegnehmen, bis sie ganz doof sind, ganz verbildet. Stimmen Sie diesem Satz zu, den ich gesagt habe?

* Also ich habe Probleme mit dem Wort "Verbildung", also bis Kinder verbildet sind. Sie sagten also praktisch so, dass in dem Kinde natürlicherweise etwas inne wäre, das das eben immer noch befähigt zu fragen, kritisch nachzudenken, und dass je mehr sie in die Gesellschaft hineinwachsen oder je mehr sie in der Schule sind, je mehr sie in der Universität sind, desto mehr werden sie verbildet, also desto mehr geht von dem Ursprünglichen dahin. Es gibt aber auch andere Argumente, die sagen: "Erst durch Bildung wird ein Mensch fähig, überhaupt gewisse Zusammenhänge zu sehen oder kommt zu seinem wahren Inneren."

# Was versteht man unter Bildung, wenn man so sagt?

* Dann versteht man unter Bildung, dass ein Mensch zu bestimmten Fähigkeiten oder Denkweisen, die muss er erst in mühevollem Prozess erlernen. Über Hilfestellung, über andere.

# Habe ich jetzt etwas gesagt, was dem widerspricht?

* So hatte ich es verstanden. Sie sagten: "Durch den Prozess in der Schule und der Hochschule werden die Schüler verbildet."

# Habe ich das gesagt? Es könnte ja sein.

* Also ich habe es in dem Sinn verstanden, dass die ursprüngliche Lernbereitschaft und die Kritik gegenüber angebotenen Lösungen auf die Dauer kaputtgeht. So erlebe ich es auch im Moment. Ich habe Fünftklässler und Siebt- und Neuntklässler und da sind gewaltige Schnitte. Die Fünftklässler, also die wollen noch und pi pa po und die Siebtklässler, die lassen sich schon sehr gemäßigt die Sachen herantragen und die Neuntklässler, die haben auch keine Lust mehr, etwas herangetragen zu kriegen.
- Die haben die Ohren schon zu.

# Ja, in diesem Sinne habe ich gesprochen. Können Sie da widersprechen?

* Ich finde, da muss ich als Lehrer widersprechen, dann geht ja meine ganze Funktion dahin. Das würde ja bedeuten, dass ich die Schüler, selbst wenn ich ein bisschen versuche etwas zu ändern, dass ich den Schülern einen ganzen Raum wegnehme, und das glaube ich einfach nicht. Mir geht es darum, ich glaube nicht, dass da so gewisse, ja es klingt so, dass je jünger ein Kind ist, desto eher kann es gewisse Phänomene, oder desto eher kann es noch klar denken. Ja, so habe ich das verstanden. Je älter es wird, beziehungsweise je mehr es gebildet wird, desto mehr verliert es, verliert es diesen Prozess. Und das meine ich auf gar keinen Fall.

# Sondern?

* Sondern meiner Meinung nach erst durch die Bildung gelangt überhaupt...

# Lassen Sie mal die Bildung weg. (Gelächter) Ja, ja, jetzt wird es interessant. Stimmen Sie dem zu, dass die Kinder denken? Erklären wollen, leidenschaftlich erklären wollen? Ja? Ja, was soll nun die Schule machen?

* Die soll es fördern.

# So, braucht gar nicht gefördert zu werden. Die sind so munter, die sollen das aufnehmen.

* Aber man merkt doch auf jeden Fall an der Schule, dass sich die Begeisterung verliert im Lauf der Jahre. Und da scheint die Schule ja was dagegen zu unternehmen. Wenn ich jetzt mal davon ausgehe, dass der Mensch in seiner Art sich nicht unbedingt so stark verändert, und ich beobachte aber so eine Veränderung, dann frage ich mich, ob da nicht eine Ursache dahinter steckt.
- Recht verstanden, tut die Schule etwas dafür oder dagegen unternehmen?
- Ja, dagegen, gegen diese ursprüngliche Begeisterung, denn du wirst mit so vielen Dingen überschüttet und musst es auf eine Art lernen, die eigentlich deiner Art gar nicht entspricht. Und dagegen wehrt man sich halt irgendwie.
- Ich könnte aber auch dem entgegenhalten, dass also ein Schüler oder ein Kind einfach, das hat eine Begeisterungsfähigkeit. Wenn aber Schule nicht da ist, dann hört diese Begeisterungsfähigkeit bei einem Punkt auf, dann will das Kind nicht weitermachen. Dann beschäftigt es sich womöglich mit diesem einen Phänomen einen Monat und dann vorbei. Aber es ist nicht dieses Grundverständnis da und dann springt es wieder zu einem anderen Phänomen, also dieses, was eigentlich auch systematisch wissenschaftlich arbeiten ist, das heißt nämlich bis hinten an, das möchte ich bezweifeln, ob das ein junges Kind wirklich macht. Bei einem jungen Kind kommt nämlich auch das Lustprinzip dazu in wesentlich stärkerem Maße.
- Beim Erwachsenen auch.
- Aber bei dem Erwachsenen habe ich aber über einen langen Prozess gelernt: ist auch meine Lust dahin, ich muss noch weitermachen. Das, könnte ich sagen, hat die Schule mir beigebracht.

# Es kommt jetzt sehr darauf an, dass Sie sich verstehen. Am besten spricht jetzt jemand, der seine eigene Meinung hier wiederfindet.

* Es gibt manchmal Schüler, die sagen einem ganz deutlich, was sie denken. Und je nachdem, was man durchnimmt, geht dann plötzlich ein Jubel los: "jetzt verstehe ich auch das!" und sie holen etwas ran, was viel weiter hinten liegt. - Ich versuche die ganze Zeit, ein Beispiel herauszufinden, aber ich finde keins... Dass sie sagen: "oh jetzt versteh ich das" und die werden doch durch den Schulunterricht in ihrem Denken weitergebracht, weil dieses "jetzt verstehe ich das" gar kein Schulwissen sein muss, sondern durchaus eine Beobachtung aus der Umgebung, die sie durch das, was sie neu in der Schule jetzt lernen, auf einmal verstehen.

# Durch welchen Schulunterricht?

* Durch den, den sie im Moment bei dem Lehrer haben.

# Den traditionellen auch?

* Auch.

# Also der Mensch hat eine Sucht nach Verständnis, die auch den Schulunterricht überschreitet, durchkreuzt.

* Ja.

# Und die muss erhalten werden.

* Diese Schüler sagen dann manchmal: "als ich noch klein war, habe ich mir das immer so vorgestellt, aber jetzt weiß ich, das ist so". Also sie drücken sich dann schon ganz deutlich aus, dass sie durch den Schulunterricht, ganz egal, wie er eigentlich ist, etwas gelernt haben.

# Jetzt möchte ich bloß wissen, über was wir eigentlich sprechen.

* Über den Schulunterricht, über die Schule - (Gelächter) - Die Frage ist doch jetzt die, ob solche positiven Erlebnisse, ob das die Hauptsache ist oder die Ausnahme, das ist doch das Problem. Ich denke schon, dass Schulunterricht, schon allein dadurch, dass viele Kinder zusammen sind und auch miteinander reden können, und auch ein Lehrer da ist, der auch mit den Schülern spricht, etwas Positives bewirken kann. Es geht doch jetzt darum, ob das der Fall ist, oder wie oft der Fall ist und ob das nicht öfter der Fall sein müsste.

# Sprechen Sie jetzt gegen den traditionellen Schulunterricht? Radikal?

* Ja, ja.
- Vermutlich nicht alle hier. Also ich würde ihm widersprechen, ich finde ihn nicht gut.

# Was sagen Sie auf meine Frage? Sprechen wir gegen den traditionellen Unterricht radikal?

* Ich weiß nicht, ob das alle tun. Ich bin dagegen.
- Nö.
- Nein.

# Wir fragen: "Bin ich" -sagt jeder- "radikal dagegen, finde ich ihn schlecht?" Ist das die Frage? Und sind Sie da einig oder nicht?

* Ich denke nicht, dass wir einig sind.
- Nein.

# Ich weiß nicht, wie Radikalität dazu zu weit geht. Also bei Ihnen sicher nicht.

* Bei mir nicht.
- Bei mir auch nicht.

# Bei mir auch nicht.

* Ich muss doch mal modifizieren: Ich kann doch nicht sagen: "Ich finde alles schlecht". Ich kann aber auch nicht sagen: "Ich finde ihn im Grunde ganz gut". Das kann ich auch nicht sagen. Also es gibt gute und es gibt schlechte Teile. Es gibt Teile, die ich absolut schlecht finde, ja, das gibt es. Aber es gibt schon auch noch gute Seiten, ich bin nicht radikal.

# Ja, ja. Mir fallen immer meine Kollegen ein. Früher, als ich an der Schule war, die Kollegen in den Lehrerzimmern, die allmählich merkten, was ich dachte. Dann sagten sie: "Aber Herr Kollege, Sie sind doch auch in die Schule gegangen und ich auch. So tüchtige Leute wie wir sind daraus hervorgegangen." Was soll man da machen, was soll man da sagen?

* Es stimmt doch!

# Stimmt schon. Fragt sich, ob das gegen die Schule spricht.

* Ob das für die Schule spricht.

# Ja.

* Man könnte auch fragen, wenn die Schule anders wäre, gäbe es dann nicht noch mehr tüchtige Leute?

# Man kann auch sagen, wenn die Schule anders wäre, das wäre allerdings radikal gedacht, dann wüssten wir alle nichts. Und wenn es überhaupt keine Schule gäbe, wären wir Barbaren. Ich habe ja auch viele traditionelle Schulen durchgemacht. Die waren zum größten Teil überflüssig. Aber immerhin, wo hat man es denn her? Ich will die Schule nicht loben, nein. Unnötig... ist sie unnötig schlecht? Unnötig schlechter als sie sein könnte, das meine ich. Das ist meine Meinung, auf eine primitive Weise, auf eine naive Weise, eine öffentliche Torheit, die Schule. Vielleicht auch eine boshafte. Diesen Punkt würde ich vertreten. Und ich glaube nicht, dass Sie mir zustimmen sollen, im Gegenteil.

* Also mit der Boshaftigkeit, da würde ich sagen, das kann man schlecht beurteilen, vor allem: Wer soll boshaft sein, die Leute, die das System vertreten oder gibt es da Leute, die das steuern, die boshaft sind?

# Bewusst nicht.

* Höchstens gedankenlos, aber boshaft nicht.
- Ja, ich greife ja nur auf was Sie gesagt haben.

# Ja, wenn Sie die Psychoanalyse zu Hilfe nehmen, dann kommen solche Sachen. Das wollen wir nicht tun, sondern Tatbestände. Ich habe erzählt, als ich damals zur Odenwaldschule kam, da dachte ich eben dies. Was könnte die Schule denn besser machen? In einer unmäßigen Weise besser machen, wie man hier sieht. Es ist eine Schande, dass man so schlecht arbeitet. Dass einige von uns lebendig herauskommen, ist ja klar. Einige begehen auch Selbstmord.

* Auch Lehrer!
- Auch an Privatschulen!

# Dass man etwas, das Selbstmord verursacht, überhaupt vorkommen lässt... auch an Privatschulen - (leises Gelächter) - ich finde es irgendwo vielleicht zu früh, so allgemein zu urteilen.
Ich wollte Ihnen sagen, ich bin an der Odenwaldschule neun Jahre gewesen, ich bin im Staat zwanzig Jahre gewesen, fünfunddreißig, dreißig. Also ich bin sehr gern hingegangen. Allerdings hatte ich den Eindruck, Sanitätsdienste zu leisten. Also ich war mir dessen bewusst, dass ich fortwährend Fehler machen musste, dass ich mitkam, dass ich aber einigen helfen konnte. Das ist natürlich zu wenig. Es gibt unzählige Kinder, die durch die Schule darum, überhaupt um ihr geistiges Leben gebracht werden.
Ich denke ja nicht nicht, ich glaube, wir machen alle den Fehler, dass wir nur betoniert denken. Wir denken alle an unsereiner. Aber ich denke an alle. Was die so alles mitmachen, einen ganzen Klumpen. An Hauptschulen, nicht wahr und an Realschulen. Also alles nicht gymnasiale. Da ist ja ein Abbild des Gymnasiums auch dabei an Paukerei. Und was es paukt, das ist ja eigentlich das, was die wenigen brauchen, die nachher Abitur machen. Die anderen, die kriegen ihre geistige Verdauung gestört, lernen fortwährend Zeugs, das sie niemals verstehen werden. Also das wollte ich sagen, Nummer eins. Zusatz: wir dürfen nicht nur ans Gymnasium denken. Das ist maßgebend, bestimmend für die anderen, auch in seinen Fehlern. Ja, ich bin etwas unzufrieden. Wie wäre es denn, wenn ich Ihnen zu der Frage mit dem Ruder das nächste Mal vorlesen würde, was Vierzehnjährige, die gar nichts wissen, darüber sagen? Also was es für eine erstaunliche geistige Wachheit gibt. Und dazu das Faktum, dass je älter sie werden, die Schule ihnen umso mehr gleichgültig wird - das ist ein Faktum - und widerwärtig sogar. Es ist mir selbst nicht so gegangen, ich habe Glück gehabt. Aber ich sehe doch aus der Praxis, da ich jahrelang an der öffentlichen staatlichen Schule war, gerne war, dass da eine Unmasse Leute nichts damit anfangen können. Und reden Sie mal mit sogenannten Gebildeten und sprechen Sie mal, ich habe mich eh nicht mit den Kollegen, den Mathematikern und Physikern im Lehrerzimmer unterhalten, denn die sprachen immer nur von Physik. Na ja, gut. Das genügte ihnen. Ich habe mich immer mit den Deutschlehrern unterhalten, das hat mich mehr interessiert, was die nun eigentlich von der naturwissenschaftlichen Methode wissen, wirklich wissen. Dazu braucht man ja gar nicht viel zu wissen. Das ist jämmerlich. Sie sind meistens ironisch oder verlegen, nichts besser als Gespräche mit Nichtfachleuten. Gerade die, ich sehe jetzt ab von den Nichtakademikern, die Nicht-Fachleute, nicht-naturwissenschaftlichen sogenannten Gebildeten, die wissen fast nix von Naturwissenschaften. "Physik, das habe ich nie kapiert". Der Vorsitzende der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Professor Treusch, hat bei einer Gelegenheit so etwas gesagt von Kultur, es fehlt unserem Physikunterricht an Kultur. Es ist ein verwilderter Fachunterricht. Aber ich bedaure, wenn ich jetzt etwa einen negativen Eindruck mache. Ich halte die Lage nicht für aussichtslos und ich halte also eine Verbesserung des Schulunterrichts für möglich. Dafür habe ich mich ja schließlich angestrengt, wozu denn sonst? Ich halte es wirklich für möglich. Es ist ganz ähnlich wie bei den Aufrüstungen. Eine öffentliche Torheit, und wenn das mal klar ist, dann wird das aufhören. Und die Fachleute begehen folgenden Irrtum: Sie erzählen von der Geschichte ihres Faches, vor allem zum Beispiel von dem Mayer, der das mechanische Wärmeäquivalent gefunden hat, sie loben also seine Nicht-Fachmännigkeit und seine Durchsetzungsfähigkeit, man verzichtet auf die bedächtigen Elemente, sage ich den Fachleuten. Die fallen durch. Sie bevorzugen in einer nicht zu rechtfertigenden Weise Leute, die nur intelligent sind und nichts weiter. Und das reicht nicht, da fängt die Kultur an. Also darauf will ich hinaus. Das war sinnlos, Quatsch, dass ich das gleich am Anfang sage, man kann es halt nicht ändern, es ist da.
Ich werde also, sofern Sie wiederkommen, das nächste Mal Ihnen Gespräche, Kindergespräche von Vierzehnjährigen, mit vierzehn Jahren ist man ja sehr klug, die Lehrer sagen, mit vierzehn Jahren kommt die Pubertät und wirft alles durcheinander, wir können gar nicht mit den Kindern arbeiten. Das ist eine krasse Theorie. Mit vierzehn Jahren fängt der Mensch an zu denken und glaubt nicht alles. Was wir vorher ausgenutzt haben. Also aus diesem Alter habe ich einige Aufzeichnungen, nicht von mir, gedruckte. Die wollen wir mal angucken, wollen sehen, ob wir das ausnutzen können in der Schule, nicht immer, aber doch oft besser. Ja?

* Mir kam noch eine Idee: Nachdem wir doch alle mehr oder weniger Fachleute sind, ob wir uns -ich versuche die ganze Zeit mir den Titel herauszuholen, ich komme nicht drauf- es gibt doch im Beltz-Verlag das kleine dünne Heftchen von Ihnen, ich glaube, jetzt hat es einen roten Einband, früher war es weiß, wo unter anderem der Sechs-Stern drin ist und wo Sie erklären: genetisch-sokratisch, ob wir dieses Heftchen miteinander lesen könnten. Wissen Sie, welches ich meine?

# Ja, ich weiß.

* Die Idee hatte ich kurz, ob wir da, denn wenn ich es zwischendurch lese, ich verstehe dann doch immer einiges nicht.

# Das ist ein Buch!

* Das ist ein dünnes Heftchen.

# Heftchen? Ich weiß ja, was ich geschrieben habe.

* Drei Aufsätze sind drin.
- Wißt Ihr, wie es heißt?
- Genetisch-sokratisch...

# "Verstehen lehren" heißt es. Dünnes Heftchen? Na also so, das ist viel, zweihundert Seiten.

* Hundertzwanzig glaube ich.

# Ich will mir es überlegen. Was halten Sie denn davon? Ein Buch zu lesen?

* Nein, ich dachte, dass wir darüber reden, also nichts lesen, sondern es schon lesen, aber während des Lesens, Gelesenhabens...

# Solche Ideen hat Berg!

* Nein, das habe ich nicht gemeint, Entschuldigung!

# (Gelächter) Das war eine Privatbemerkung.

* Also mein Interesse wäre reinzugehen. Also zum Beispiel diese Brechungsgeschichte - aus aktuellem Anlass, also in drei Wochen bin ich soweit, dass ich die auch bearbeiten muss mit meinen Schülern, bearbeiten will, diese Brechungsgeschichte durchzuarbeiten. Mit Lesen allein ist es nicht getan, ich möchte meinen Unterricht verändern, und dazu muss ich es aber selbst erlebt haben, erfahren haben.
- Ja.

# Ja, machen wir das.

* Fände ich auch gut.

# Thema: Rudern.

* Thema: Brechung. Ich wollte es allgemeiner formulieren, aber wir können ruhig mit der Brechung anfangen, wie es ja bisher auch gelaufen ist in den letzten beiden Semestern. Aber nicht, weil es schon damals so war, sondern deswegen weil das bringt halt immer neue Aspekte, und es gibt doch genügend Phänomene, die man sich angucken kann.

# Also praktisch, nicht? Ich mache den Fehler sehr leicht, dass ich dann sofort ins Allgemeine gezogen werde. Man kann überhaupt nur praktisch lernen. Ja, theoretisch kann man nicht lernen, Lehrerbildung taugt nicht viel.

* Begreifen, handgreiflich.

# Handgreiflich, Handwerk. Da lernt man für den Kopf und reden, miteinander reden, nicht Vorlesung halten, auf gleicher Basis reden. Verständigung so lange, bis man es klar hat, ob ein Widerspruch besteht oder ein Missverständnis. Ob man gleiche Voraussetzungen hat, Wünsche, das muss alles klar werden. Sie können ja über das Ruder und die Brechung nachdenken, indem sie einmal ein paar Experimente machen, zum Beispiel einen solchen Stab, Spazierstock, in ein tiefes Fass stellen und sehen, was wirklich erstaunlich ist. Ich habe das mal...

* Noch interessanter wäre es am Aquarium, wenn man auf die Ecke sieht, sieht man den Fisch sowohl da als auch da.

# Ja, ja, ob es noch mehr Phänomene gibt, die damit verwandt sind. Das gibt es noch. Und ob Kinder die sehen. Fragen Sie mal Kinder, ob sie schon etwas gesehen hätten. Die werden bestimmt nicht mit dem Einfallslot kommen. Das ist eine ganz tolle Erfindung. Als Karikatur können Sie sich vorstellen, dass einer über so ein Glas gebeugt ist und nach dem Einfallslot sucht. Ja, hören wir auf. Dankeschön.

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