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26. Januar 1987.

Thema: Trägheitsgesetz - Zentralkraft - Kreiselbewegung

# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in der selben Runde
() redaktionelle Kommentare

# Ich möchte erst über das Trägheitsgesetz sprechen. Sie haben ja gemerkt, dass das Trägheitsgesetz da drin steckt. Wie heißt es denn? Physiker bitte ich, sich zurückzuhalten. Sie sollen einen Niederschlag vom Trägheitsgesetz für Nichtphysiker finden.
Wissen Sie noch etwas vom Trägheitsgesetz?

* Ja, so ahnungsweise... Dass in unirdischen Bedingungen eine Bewegung nicht aufhört.

# Sehr unbestimmt, aber nicht falsch.
Noch jemand?
Nein, Sie sind Physiker. Lauter ungeeignete Leute.
Sie?

* Ich weiß es auch.

# Sie wissen es auch.
Wie heißt es denn?

* Jeder Körper verharrt im Zustand der... und so weiter.

# Das 'und so weiter', das ist wichtig.

* Ja, soll ich es jetzt ganz verraten?

# Es ist ja doch niemand da, der eigentlich nichts weiß.
Die beiden Damen... Wissen Sie etwas? Nein? Dann sind Sie ja sehr geeignet. Und Sie auch nicht? (zwei Besucherinnen)
Aber das sind dann wieder zu wenig, die anderen sind zu viele.
Sie wissen nicht, wie es weiter geht?

* Doch.

# Dann sagen Sie es mal.

* Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder gleichförmig beschleunigten Bewegung (alles grinst ob des Versprechers)...

# weiter...

* ...gleichförmigen Bewegung...

# ...wenn nicht?

* ...wenn nicht eine andere Kraft auf ihn einwirkt.

# Wenn nicht was passiert? Also welche?

* Die, die ihn gerade... gejagt hat.

# Nun müssen wir einmal die Physiker fragen.

* 'Andere' muss weg aus dem Satz.

# Es muss auch noch das 'beschleunigt' weg.

* Das ist schon weg.
- Das haben wir schon weg.

# Also sagen Sie es mal.

* Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung, wenn nicht eine Kraft auf ihn einwirkt. Man könnte vielleicht noch sagen: eine äußere Kraft. - Er wird hochpolitisch.

# Dann möchte ich die Physiker bitten, das einmal in ganz anschauliches Deutsch zu übersetzen. (Es erscheint noch ein Teilnehmer) Wir sprechen gerade vom Trägheitsgesetz und ich hatte gebeten, es einmal auszusprechen. Sind Sie Physiker?

* Ja, ich will es noch werden.

# Also dann bitte ich die Physiker, das Trägheitsgesetz einmal auf deutsch zu sagen, einfach. Ich meine, so unwissenschaftlich und nicht so schnell. Also ein Grundsatz ist: Es muss doch möglich sein, es ganz einfach zu sagen.

* Ja, wenn ich einen Körper anstoße und dann nicht mehr noch einmal anstoße, dann fliegt er in die Richtung, in die ich ihn angestoßen habe.

# Bitte noch einmal.

* Wenn ich einen Körper anstoße, dann fliegt er in eine bestimmte Richtung weg. Und wenn ich ihn dann nicht noch einmal störe, dann fliegt er immer weiter in diese Richtung. Das wäre es.

# Stimmt es?

* Ja. - Auf der Erde geht es halt nicht, weil er wieder zur Erde fällt. Das muss ich halt im Weltraum machen.

# Na ja, eben. Das würde meine zweite Frage beantworten: Ist das glaubhaft?

* Ja. (zögernd, Gelächter)

# Was meinen Sie?

* Wem glaubhaft?

# Wem denn?

* Dem Physiker schon. - Ich glaube, auch sonst. Wenn man das so ausdrückt, dass man sagt: "Ein Körper ändert die Größe seiner Bewegung nicht von selbst aus, er kann sie nicht von selbst ändern", dann ist das fast eine Banalität, die man dort ausspricht. Niemand erwartet von einem Körper, dass er etwas an sich selbst verändern kann. Also insofern ist es für mich glaubhaft.

# Ja... können Sie es noch einmal sagen?

* Ein Körper verändert die Größe seiner Bewegung nicht von selbst.

# Ja.

* Das ist deswegen schwierig, weil man das so nie beobachten kann.

# Ja, das geht schon ans Glauben. Wie ist es denn wirklich? Was hat man denn vorher geglaubt? Bevor man das Trägheitsgesetz hatte?

* Man hat geglaubt, dass ein Körper, der Geschwindigkeit hat, dann im Grunde die Kraft noch mit sich bringt, dass er einen Teil der Kraft noch mit sich trägt, wenn er Geschwindigkeit hat, und dass seine Geschwindigkeit geringer wird. - Er wird schlapp. - Zum Beispiel ein Pfeil, der abgeschossen wird.

# Ist das denn glaubhaft? Für einen, der nichts weiß, der nicht durch Physik verstört ist?

* Dass alles irgendwann zur Ruhe kommt, das wirkt eigentlich glaubhafter.

# Das vernimmt man ja nicht. Wie ist es möglich, dass ein solcher Satz überhaupt entsteht? Den es also nicht gibt, wie Sie eben sagen.

* Durch Abstraktion.

# Ja, offenbar abstrahieren.

* Also ich denke, das andere ist deshalb auch glaubhafter, zunächst einmal, weil da etwas vorgeht mit dem Körper, auf ihn selber als Körper bezieht und nicht auf irgendwelche anderen Umgebungseinflüsse, die man nicht sehen kann. Die eben... irgendein Kraftfeld mit der Erde oder Reibung mit der Luft, das sind ja alles Dinge, die man gar nicht unmittelbar beobachten kann. Beobachten kann man nur den Körper auf seiner Bahn. Deswegen ist es zunächst einmal naheliegend, dass man alles, was mit diesem Körper vorgeht, auch diesem Körper selber zuschreibt. Von sich aus, als Mensch ist man ja gewohnt, dass man eigentätig ist, dass man handelt, dass man irgendetwas macht, dass man nur dorthin geht, wo man hin will, dass man sich an bestimmten Orten wohlfühlt. Und so wird das mit der Fallbewegung teilweise auch verstanden, dass es eine natürliche Bewegung gibt dabei und dann eine künstliche.

# Wenn ich mir vorstelle: Ich habe eine Tüte voll Kugeln und schütte die einfach aus, wie ist dann das Bild nach einiger Zeit, nach der ursprünglichen, normalen Auffassung? Also ich werfe einen Haufen Kugeln auf eine horizontale Platte und dann gucke ich mir nach einer Weile das Bild an, das da zu sehen ist. Was sehe ich da?

* Die liegen herum.

# Wie bitte?

* Die liegen halt herum.

# Die liegen herum, ja!

* Wild verteilt, aber in der Mitte sind mehr.

# Ja. Und warum liegen sie herum? - Ich betone: liegen.

* Weil sie aufhören zu rollen.

# Ja, und warum hören sie auf zu rollen? Jetzt alles im Sinn des ursprünglichen Verstehens. Das versteht jetzt jeder beim Sehen.

* Ja, der ursprüngliche Schwung, der reicht halt nur für eine bestimmte Zeit.

# Ja, und das sind Ermüdungserscheinungen? * Ja.

# Völlig einleuchtend. Was sagt Aristoteles? Das Trägheitsgesetz ist auch so eine Geschichte, die man in der Schule bloß auswendig lernt, und die doch Jahrhunderte gebraucht hat, bis sie durchschaut worden ist. Wo, wann hat man sie denn durchschaut? Die ursprüngliche Auffassung.

* Also wenn ich mich erinnere, hat Galilei das mit einer Auseinandersetzung mit Aristoteles, jedenfalls nach meiner Kenntnis, ziemlich deutlich formuliert. Und zwar ging es da um das Beispiel eines Steines, der vom Mast eines fahrenden Schiffes fallengelassen wird. Da steckt zwar noch nicht diese Formulierung der Trägheit drin, aber der richtige Gedanke, dass nämlich die Bewegung des Schiffes diesem Stein, selbst wenn er von diesem Schiff gelöst wird, immer noch innewohnt, die spricht er ganz klar aus.

# Schön, aber das Immerweiterlaufen, was behauptet wird, also nicht irgendwie herumliegen, sondern nach dem exakten Trägheitsgesetz ist es ja ein anderer Fall. Was haben wir da zu erwarten? Nicht der Fall, der beschrieben worden ist, dass es nach einiger Zeit herumliegt, sondern nach dem physikalischen Trägheitsgesetz. Wenn ich da ein paar Kugeln auf die Tischplatte fallen lasse, ist es dann auch so? Ist das falsch geworden? Liegen sie da auch herum? Ich habe mich schlecht ausgedrückt. Wenn ich diese Kugeln fortwerfe, horizontal zur Fläche, und sie nach dem neuen Trägheitsgesetz betrachte, finde ich dann auch herumliegende Kugeln vor oder finde ich solche vor, die weiterlaufen?

* Die liegen auch herum. Die Natur ändert sich ja nicht, wenn der Mensch die Erkenntnisse findet. Die Natur ist ja so, wie sie ist.

# Die liegen auch herum?

* Die liegen auch herum.

# Aber warum liegen sie herum? Denn nach dem neuen Trägheitsgesetz sollten sie doch immer weiterlaufen.

* Ja, weil eine Kraft auf sie einwirkt.

# So sagt man. Und das ist?

* Sie wird durch die Reibung abgebremst.

- Ich finde, sie wollen mehr nach herunter als nach vorne. Das kam mir vorhin schon, wenn Sie sagen: Aus sich selbst heraus tut der Körper nichts.

# Was soll denn das? - Ach so! - Ja.

* Das ist eigentlich auch bei dem Fall. Das ist sehr schwierig zu begreifen, dass man sagt, dass Körper aus sich selbst heraus einen Bewegungszustand beibehalten wollen. Weil ja immer auf der Erde sie geradezu nach unten wollen.

# Eben. Und das ist eben die Schwierigkeit, das zu bemerken. Weizsäcker schreibt einmal: "Galilei hatte den Mut, die Welt zu beschreiben wie sie ist." Etwas pointiert, wird nicht einfach verstanden, wie es scheint.

* Bei dem Tablett würde ich sagen: Der Physiker sieht zwar die gleichen Phänomene dann, aber er weiß jetzt, was er machen kann, damit seine Erwartung besser erfüllt wird.

# Wer?

* Der Physiker, indem er jetzt also die Unterlage poliert.

# Und wie ist er darauf gekommen, dass er das weiß?
Also Galilei hatte das Trägheitsgesetz auch noch nicht vollständig gehabt. Er hat gemeint, dass eine Kugel, die man auf einer Horizontalebene anstößt, dass die rund um die Erde läuft, nicht gerade. Das finden Sie dann erst bei Newton, auch schon vorher bei einigen.
Ja, wie kann man darauf kommen? Ich weiß es nämlich nicht. Will ich jetzt erfahren. Wie der Erste das ausgesprochen hat, und wie er das begründet hat. Aber heutzutage kann man doch sagen, dass es etwas zu sehen gibt, was diesen Satz sehr nahe legt. Das ist der Fall, wo diese Bewegung zum Kreis sich schließt. Wenn Sie es zustandebringen, dass dieser Körper auf einer Kreisbahn läuft, ewig läuft, unaufhörlich läuft, weil keine Reibung da ist. Diesen Fall haben wir immerzu vor Augen.

* (leise) Den Mond.
- Die Erde.

# Ein Ding, das auf einem Kreis läuft, aber ohne Widerstand läuft, ewig läuft. Bis jetzt. Nein?

* Ja doch, der Mond. Er hat es ja schon gesagt.

# Ja, meine ich auch. Der hört ja nicht auf. Also wenn es darauf ankommt, dass die Reibung nicht da ist, beim Mond ist sie praktisch nicht da. Man kann also für einen gewöhnlichen Sterblichen sagen: "Er ist unsterblich, der Mond." Man kann sich die Situation eines Körpers, der sich so verhält, wie Sie gesagt haben, erinnern, wie Sie es im ersten Satz zusammenfassend gesagt haben.

* Welchen meinen Sie jetzt?

# Den Sie zuerst gesagt haben.

* Trägheitsprinzip? Oder?

# Ja, das Trägheitsverhalten. Dass er nichts tut...

* Dass er nicht aus sich selbst heraus den Zustand seiner... die Größe seiner Bewegung ändert.

# Ja... dieses eigentliche Verhalten, gibt es das im menschlichen Vergleich? Ein Mensch, der aus... gibt es solche Leute?

* Es gibt schon ziemlich sture Leute, die mit dem Kopf durch die Wand wollen, sich kaum abbremsen lassen.

# Ja, stur.

* Das Gegenteil gibt es auch, faule Leute, die sich nicht beschleunigen lassen wollen.

# Ja, die wollen nicht in Bewegung kommen. Ja, aber das Merkwürdige ist, wenn sie dann in Bewegung sind...

* Ja, die Faulen, die lassen sich auch ganz gut antreiben...

# Nachher...

* ...bleiben sie in Bewegung.

# Ja, wollen sie bleiben, sind nicht davon abzubringen. Das ist gut. Stur. Aber ein Mensch, der beides tatsächlich so realisiert, dass er in der Ruhe die Ruhe will und in der Bewegung die Bewegung will, ist doch sehr seltsam, kann man sich schwer vorstellen.

* Aber dieser Aspekt der Trägheit, dieses auf Touren bringen, das, denke ich, steckt in den Temperamenten schon etwas drin, dass es bestimmte Menschen gibt, die eben sehr leicht erregbar sind und sich auch sehr schnell wieder abregen. Also die sozusagen mit geringerem Kraftaufwand zu stoppen sind, aber auch leicht in Fahrt zu bringen. Und andere, die ganz schwer erst anlaufen, aber wenn die einmal in Fahrt sind, dann kann sie auch kaum jemand mehr bremsen.
- Na ja, wenn man jetzt einmal von diesem Begriff der Bewegung, des sich Fortbewegens absieht, glaube ich, dass die Entwicklung des Lebens diesem Prinzip gerade entgegensteht. Also Evolution ist etwas, was aus sich selbst heraus ihren Zustand ständig verändert, im Gegensatz zur Physik. Die kann da etwas, was die Physik nie zuwege brächte. - Ich habe das Gefühl, man hat eine ganz parallele Debatte in der Psychologie, wo es darum geht, ob der Mensch aus seinen inneren Antrieben heraus handelt oder ob er ganz aus seinen Umwelteinflüssen bestimmt wird und nur daraus heraus handelt. So ähnlich scheint das ja hier auch zu sein, dass man früher der Meinung war, es kommt aus sich heraus, diese Bewegung. Dass man dann immer mehr versucht hat, das auf Umwelteinflüsse zu schieben. Und beim Menschen gibt es diese Tendenz, allerdings würde ich sagen, mit geringerer Berechtigung eben auch in der Psychologie. - Ja, es gibt aber auch die gegensätzliche Position.
- Ja, im Grunde ist aber auch der Streit zwischen den Positionen, denen, die es dem Gegenstand zuschreiben und denen, die es der Umwelt zuschreiben.
- Ich finde, am Pendel sieht man es ganz gut.

# Ja, ja, so ähnlich ist es also. Etwas seltsam schon.
Man hat früher in der Schule mit der Mechanik angefangen. Früher war ich dagegen. Ich dachte: So ein Zeug, leicht mathematisch; und hatte mehr Sympathie, mit der Optik anzufangen. Da wurde es gleich bunt. Inzwischen bin ich nicht mehr der Meinung. Zwar finde ich die Mechanik... Leonardo sagt zwar: "Die Mechanik ist ein Paradies der mathematischen Wissenschaften." Man muss ja nicht so weit gehen. Warum ist die Mechanik tatsächlich erstens einmal die Grundlage der Physik? Physik ist immer nur eigentlich Mechanik, also das hat den Vorzug. Aber das ist nicht pädagogisch gedacht. Pädagogisch gedacht hat sie den Vorzug, dass wir selbst Körper sind. Sind und haben. Also uns... verstehen Sie, was ich meine?

* Hmm.
- Ja.
- Ich habe gestern mit meiner kleinen Tochter gespielt, und da hatten wir so ein Tablett und da ihre ganzen Murmeln darauf getan. Da hat sie eine ungeheure Freude dabei gehabt, dieses Tablett hin und her zu schütteln und auch einzelne Murmeln da immer hineinzuwerfen und Anstoß zu erregen und warten, bis sich das abgeregt hat und dann wieder hineinzuschmeißen.

# Ja, eben. In mechanische Dinge kann man sich versetzen. Man kann sich identifizieren mit den Kugeln, man kann laufen, man kann springen...

* Und vielleicht um Bezug zu dem anderen Teil herzustellen: Dann hatte ich so einen Kreisel, ich habe so einen Kreisel, den kann man aufziehen, und dann läuft der ziemlich lange. Dann habe ich diesen Kreisel auf dieses Tablett mit den Murmeln gesetzt, so dass im Grunde alles in ständiger Bewegung war, und das war ihr unheimlich. Wäre es mir wahrscheinlich auch. Aber dann hat sie erst einmal Abstand genommen und hat in die Ecke geguckt.

# Also ein pädagogischer Vorschlag ist ja, dass man sich in das Ding, in das Phänomen hineinversetzen muss, hineinfühlen. Es ist viel leichter, sich in einen mechanischen Vorgang zu versetzen als in einen optischen. Wir leuchten ja nicht, wir sind ja keine Glühwürmer. Wenn wir das wären, dann könnten wir das sehr gut. Aber das Versetzen in einen solchen (mechanischen) Zustand ist... menschlich. Und zweitens ist die Mechanik ja deshalb wichtig, weil die Physik den großen Genieblitz getan hat, wenn sie einen Gegenstand hat, den sie nicht versteht, ihn in Teile zu zerlegen, in Partikel, zwangshaft schon. Überhaupt die ganze Natur zu zerschneiden, wie Bacon sagt: descave naturam. Aber das Zerschneiden in Partikel, das ist ja nur das große Geheimnis, wie man das macht. Die Regel ist da, dass man... Ja wissen Sie, was ich meine - die Physiker?

* Man schreibt ein kleines d davor.

# Ja. (Allgemeines Gelächter)

* Dann ist es schon passiert.

# Erst ein Delta.

* Ja, gut.

# Können Sie klarmachen, was ich meine, was ich zu meinen scheine?

* Die Infinitesimalrechnung.

# Ja. Was ist denn das Geheimnis der Infinitesimalrechnung?

* Ich schaue nicht den ganzen Körper an sondern zerschneide ihn in viele kleine Teile. Und halt einzelne Massenpunkte, mit denen kann ich rechnen. Und dann summiere ich das Ganze, zähle es zusammen und das ist halt der Sinn der Infinitesimalrechnung. Und die Summe wird dann halt zu einem Integral im Grenzfall. Ich mache halt meine Partikelchen unendlich klein.

# Ja. Haben Sie verstanden? Kann es jemand noch deutlicher sagen?

* Ich versuche als Physiker einem ganzen Ding möglichst nahe zu kommen, indem ich es in fast unendlich kleine Teile zerlege.

# Sofort geht das aber nicht. Das klingt so, als ob man mit einer einzigen Handlung plötzlich unendlich kleine Teile...

* Das passiert dann nur in der Vorstellung.

# Auch in der Vorstellung. Die sind doch nicht gleich unendlich klein. Auch kann man fragen, was das ist. Sind Sie informiert?

* Was unendlich klein ist?

# Zerlege ich einen Körper in unendlich kleine Teile... Soll mal einer vormachen.

* Ja zunächst nicht. Ich zerlege ihn in kleine Teile, die haben noch eine bestimmte Länge oder Breite oder Höhe. Und dann sage ich mir: Dann betrachte ich die Summe dieser Teile und lasse dann die Reiterteilchen gegen Null laufen, also ich mache sie dann kleiner (Fröhliches Grinsen).

# Kann man es nicht noch deutlicher machen? Erst mal zerlege ich es in Teile.

* Ja.

# Richtige, knollige Teile, dicke Teile meinetwegen. Wenn der Körper groß genug ist, können sie kartoffelgroß sein. Ja. Und was mache ich dann mit den Teilen? Ich habe natürlich ein gewisses Problem, nicht wahr.

* Ich habe viele, die muss ich zusammenzählen.
- Man guckt erst einmal, was die einzelnen Teile machen.
- Mal sehen, was ein Teil macht.

# Sie machen das doch fortwährend in der Praxis, die Physiker. Sie haben es doch gesagt, eben.

* Na ja, man betrachtet ein Teilchen, das man als charakteristisch für den ganzen Körper ansieht und beschreibt die Bewegung, wenn es um Bewegung geht, die dieses Teilchen macht. Wenn mir das gelungen ist, versuche ich das nun auszudehnen auf sämtliche Teilchen, die der Körper enthält beziehungsweise auf den Verbund sämtlicher Teilchen. Und dann habe ich möglicherweise etwas Schlaues.

# Die Teilchen haben Sympathie, man macht das für alle so wie mit einem. Wenn man das für alle gemacht hat, dann addiert man, aber dann kommt erst der Trick, nicht wahr? Denn das ist ja ein nicht ganz richtiges Verfahren.
Die Teilchen sind ja noch zu groß.

* Warum ist es einfacher, für das Teilchen etwas zu beschreiben? Weil da die Bedingungen definierbarer sind? Oder?
- Also was ein einfaches Teilchen macht, kann man leichter beschreiben.
- Wieso?
- Wenn ich einen Massenpunkt heraushole, muss ich nicht die ganze Figur beschreiben, sondern nur den Weg von diesem Massenpunkt.
- Ein Massenpunkt kann nicht rotieren, also der kann sich nicht verdrehen, der kann sich nur bewegen. Und das ist eine Vereinfachung, während der Körper sich ja auch um seine eigene Achse drehen kann.
- Ach so.
- Wir können vielleicht wieder aufnehmen, was wir schon das letzte Mal gesagt haben. Da waren wir ja auch schon bei Überlegungen vom Kreisel dazu gekommen, dass man überlegen könnte, was ein kleiner Teil von dem Kreisel macht, wenn der Kreisel sich dreht, wohin er will oder wohin er nicht will, oder ob er immer nach unten will und immer zurückgerissen wird. Das hatten wir überlegt. Und bei solchen Überlegungen sieht man, dass es schwierig wird jetzt, alle Teile auf einmal anzugucken.

# Also aus dem kleinsten Kreisel ein Stückchen herausgepickt mit der Pinzette und wenn man über dieses nachdenkt. Und dies dann für alle tut und allgemeiner und so weiter.
Wenn man nun, eben das wollte ich sagen, den Kreisel ansieht und seine Partikelzerlegung vorgenommen hat, dass er aus lauter kleinen Teilchen besteht, dann kann man ja direkt diese Teilchen sozusagen fragen: Wie das ist da drin? Die sind da eingebacken in den Körper. Man könnte die also geradezu nach Raebiger anreden, die Teilchen `Du' fragen: "Wie fühlst du dich denn da eigentlich?" Wenn das Teilchen hier auf dieser Fläche verteilt ist, frage ich es: "Wie fühlst du dich, wenn das Ding jetzt dreht? Ist es sehr hübsch, Karussell zu fahren? Fühlst du dich wohl?"

* Angenehmer Druck in der Magengegend.

# Ja? Wie würden Sie es ausdrücken, wie würden Sie es begründen? Es fühlt sich doch durchaus nicht wohl.

* Jeder weiß, wenn man auf dem Karussell sitzt, dann wird man nach außen geschleudert, dann spürt man, dass man nach außen gezogen wird. Aber offensichtlich fühlt sich das Teilchen auf dem Kreisel doch wohl, weil sonst würde der Kreisel ja nicht in dieser Situation verharren. Wenn man das einmal bei der Personifizierung belässt. Immerhin ist der Kreisel ja stabil, wenn er sich dreht. Also könnte man annehmen, er will so weiter machen, er fühlt sich also wohl.

# Der Kreisel als Ganzes?

* Der ja aus kleinen Teilen wiederum zusammengesetzt ist in Gedanken.

# Es fragt sich, ob die das freiwillig tun. Sie sagten doch eben, dass sie lieber sozusagen nach außen sausen würden, die einzelnen Teilchen?

* Ja.

# Herausgedacht. Von ihm aus gedacht, sind sie gezwungen, einen Kreis zu machen.

* Ja.
- Ja.

# Das möchte das nicht.

* Von außen geguckt?
- Hmm.

# Oder ist das ein Irrtum? Es möchte eigentlich etwas anderes. Das haben Sie doch angedeutet?

* Ja, das stimmt.

# Wenn es allein wäre, wenn es nicht im Kreis wäre, was möchte es dann?

* Wegfliegen!

# Aha, in welcher Richtung?

* Das weiß man nie so genau, entweder vom Mittelpunkt direkt weg oder tangential.

# Zur Wahl. Das hat man dann zur Wahl.

* Vom Schleifstein weiß man beispielsweise, dass die Funken tangential wegfliegen. Also wenn man selbst auf dem Karussell sitzt, weiß man ja, wenn man wollte, wie man könnte, würde man direkt in die Zuschauer fliegen sozusagen, also geradeaus, nicht nach der Seite weg.
- Das haben wir noch nicht probiert.
- Du spürst nur die Kraft, die dich nach außen drückt, aber wo du hinfliegen würdest, sagst du ja damit eigentlich nicht.
- Ich habe so eine Bewegung gespürt, aber ich bin noch nicht weggeflogen (alles lacht), ich fühle mich also nicht so, dass ich nach der Seite tangential wegfliegen wollte, sondern ich spüre, dass da eine Kraft ist, die mich nach außen, direkt in die Zuschauer zieht.
- Also man kann sich ja vorstellen, dass einer in der Mitte von dem Karussell sitzt, ist ja auch manchmal so, dass da einer aufpasst auf die Kinder, der steht in der Mitte dann und man kann gucken. Wenn man dem beschreiben würde, wie man wegfliegen will, dann würde man schon sagen, man rutscht nach hinten weg.

# Ist das klar?

* Wenn der einen anguckt und in der Mitte steht und einen sozusagen immer anguckt dabei, weil er in Richtung der Achse guckt von dem Mittelpunkt des Karussells gemeint jetzt, dann würde der sagen: "Ich rutsche nach hinten" und ich würde dem auch sagen: "Ich rutsche nach hinten". Aber das könnte ja so sein, ich wüsste unter Umständen gar nicht, dass wir uns drehen. Braucht man ja gar nicht zu wissen und dann würde man sagen: "Da drückt irgend etwas, was mich vom Sitz ziehen will nach hinten."

# Sind das Zeichen, dass wenn das Partikel allein wäre, dann würde es nicht so tun, wie es tut? Und da es etwas anderes tut, tut es unter Zwang. Ich glaube, es fühlt sich durchaus unwohl.

* Klar, jede Wäscheschleuder.

# Wenn ich es mit seinem Streben, mit seiner Besessenheit, mit seinem Trägheitsgesetz betrachte, in Bezug auf das, was es will, was seine Leidenschaft ist, nämlich geradeaus, stur, und dann ist es doch in einer Lage, die es zwingt, sich anders zu benehmen. Das meine ich. Ist das falsch?

* Ja, so wie der Schleuderball, der ist halt angebunden.

# Das ist ja gar nicht einfach, diese Geschichte, das hängt ja schon mitten in der Relativitätstheorie drin.

* Aber dass das nicht ganz freiwillig geschieht, das merkt man an dem Knarren des Karussells.

# Ja - Oder da gibt es doch den Schleifstein, der Funken stieben lässt. Wenn ein Stahl am Stein gerieben wird und ein Funken abfliegt. Wie fliegen die, sobald sie locker gemacht sind? Fliegen sie vom Zentrum weg oder fliegen sie tangential?

* Das ist wie beim Karussell, wenn ich von außen gucke, fliegen sie tangential weg. Wenn ich auf dem Schleifstein sitze, dann sehe ich sie senkrecht wegfliegen, wie du es gesagt hast.

# Es ist doch so, dass die Relativitätstheorie klar macht, dass es darauf ankommt, wo der Zuschauer steht. Dass der nicht das eine macht oder das andere, sondern dass für den einen Zuschauer der mitfährt und der andere zuguckt. Dann ist das eine ganz einfache Geschichte. Von sich aus hat das Teilchen, - ja, ich frage nochmals jetzt Sie -

* Bitte?

# Sie schweigen so zu meiner Behauptung. Ist es falsch, zu sagen, dass es sich unwohl fühlen muss? Wenn es allein wäre, dann würde es das doch nicht machen. Wenn ich darauf eingehe, eigentlich wie eine Rosine eingebacken in den Teig.

* Ich denke, es gibt vielleicht zwei Tendenzen in dem Teilchen. Da ist eine Seele, die gerne dieser Bewegungsrichtung, die es im Moment hat, folgen würde. Das heißt also wie beim Schleifstein von außen gesehen, tangential wegfliegen würde und aber das andere ist vielleicht, dass es auch ganz gern bei den anderen Teilchen bleiben möchte.

# Was ich meine, lässt sich ja messen. - Was ich meine, kommt zum Ausdruck. Der Zwangszustand kommt zum Ausdruck, wenn man den Körper genau betrachtet, der da rotiert. Oder? Es muss jedenfalls so sein, wenn ich recht habe. Sieht man einem rotierenden Körper an, sogar von weitem, kann man das sehen, das er rotiert, dass in seinem Innern ein Zwangszustand herrscht?

* Ich meine, wenn man das zu weit treibt, mit dem Rotierenlassen, dann kann es ja sein, dass es den ganzen Körper zerreißt, dass er auseinander fliegt, dann werden diese Zwangskräfte ja immer größer und es kann passieren, dass der ganze Körper auseinander platzt.

# Ja, eben, und dieses Platzen ist ja vorbereitet. Man kann den Kreisel überhaupt nicht als statisches Ding betrachten, sondern einmal schnell laufend, einmal langsam laufend, einmal über alle Grenzen laufend, und auch über die katastrophale Endgrenze. - Wie äußert sich die Vorbereitung dieser Explosion? Sichtbar?

* Der bekommt wahrscheinlich Risse.

# Bevor die Risse kommen. Es kommt aufs Material an. Nehmen Sie mal das geeignete Material.

* Läuft nicht mehr ganz gleichmäßig.

# So? Und wenn ich schneller rotieren lasse?

* Nein, kurz bevor er kaputt geht.

# Ach so. -
Warum? Jetzt versetzt man sich hinein, muss erst nachdenken.

* Die Teilchen, die praktisch am äquator sitzen, die werden am meisten herumgeschleudert. Und die werden mehr nach außen gezogen und darum wird er ein bisschen abgeplattet. Er wird verbeult in allen Richtungen.

# Was heißt abplatten?

* Es ist kein Kreis mehr, wenn ich ihn von der Seite angucke, sondern eine Ellipse. Er verformt sich.

# Ich weiß nicht, ob man es versteht.

* Er wird dickbauchiger.

# Sprechen Sie populärer.

* Man weiß ja, dass die Erde, die sich auch um sich selbst dreht, auch keine Kugel ist, sondern ein abgeplatteter Ball.

# Ja.

* Und das wird höchstwahrscheinlich auch daher kommen, dass sie sich eben dreht. Zwar nicht so schnell, aber deswegen ist sie ja auch nicht so stark abgeplattet.

# Also abgeplattet heißt, so deformiert, dass es so platte Stellen, wie wenn man eine Apfelsine, die eine Kugelform hat, drückt so, zwischen zwei Händen presst, dann kriegt sie diese Form, nicht exakt. Ich rede nicht von Ellipsen; abgeplatteter Kreis, der keiner ist.

* Noch ein anderes Beispiel, das fällt mir gerade ein. Wenn man um ein schnell laufendes Rad eine Kette legt, die so ganz beweglich ist aus Gliedern und lässt das ganz schnell rotieren und hebt die Kette dann ab. Dann kann man sehen, dass die in der Tat auf dem Boden dann weiterrollt wie ein Rad. Also diese einzelnen Kettenglieder streben derartig nach außen, dass auf Grund der Bewegung da eine Spannung entsteht, die das äußere festigt.

# Also ich darf annehmen, dass das Partikel auf meine Frage "wie fühlst Du Dich?" sagt: "In einem Spannungszustand". Da geht eine Spannung durch das Ding durch, radial, die das dehnt in einer Richtung, in der Ebene eine Drehung. Und das ist meiner Natur zuwider, das ist doch sicher, nicht?
Ich möchte eben bis zur Explosion stur geradeaus fahren. Wenn ich es nun frage: "Hast du den Eindruck, dass du ganz und gar unter Zwang stehst? Oder dass du von deinem Trägheitsgesetz, von dem du besessen bist, doch noch etwas für dich hast?" Spürt er noch etwas von der Freiheit?

* Er sieht mehr von der Gegend.
- In der Rundbewegung.

# Darf er die jetzt auch im Sinne des Trägheitsgesetzes jetzt verstehen? Ist er stur? Ist das nicht ein Rudiment des geradlinigen Trägheitsgesetzes? Ist das nicht, denn er reduziert die Freiheit, die ihm erlaubt noch immerhin zu wollen, immerhin im Kreis herum zu wollen. Da er ja wollen muss, seiner Natur nach wollen und das fortsetzt...

* Ich finde, hier bewährt sich die zerstückelte Methode der Physiker.
Denn dem Kreis als Ganzen kann ich nicht zu Leibe rücken mit dieser geradlinigen Trägheitsbetrachtung. Aber wenn ich ein Stückchen von dem Kreisel hier herausgreife, unterteile, dann kann ich sagen: "Auf diesem kleinen Stückchen von dem Kreis, da will es immer geradeaus, aber da kommt immer einer und zerrt es wieder zurück". Da sieht man eigentlich auch den großen Nutzen dieser Betrachtungsweise der Zerstückelung, weil den ganzen Kreis, den kann ich auf diese Weise nicht erschließen, aber in einzelnen Stückchen, das dann schon fast ist wie eine Gerade, da kann ich dann sagen: Das will geradeaus, und dann reißt man es noch kurz zurück und so ist es insgesamt dann so eine krummlinige Bewegung.

# Ich will darauf hinaus, dass ihm noch etwas vom Trägheitsgesetz geblieben ist. Er kann auch damit zufrieden sein, dass er im Kreis läuft, denn er hat mindestens erreicht, dass er die gleiche Geschwindigkeit behält. Die Geradlinigkeit hat er nicht mehr erhalten können. Ich finde überhaupt, dass das Trägheitsgesetz am Anfang des Unterrichts zwei Sachen enthält. Eine Geschwindigkeitstreue und...

* Eine Richtungstreue.

# ...und eine Richtungstreue. Das ist nämlich für einen ursprünglichen Menschen zweierlei, ...der noch nicht Vektorrechnung gehabt hat. Und diese beiden Komponenten - nicht physikalisch gesprochen- die lassen verstehen, dass er jetzt, auf dem Kreis laufend, immer noch etwas hat von der Trägheit, nämlich die Geschwindigkeitsträgheit.

* Und dass sich also die Größe des Betrages nicht ändert von der Geschwindigkeit.

# Bitte?

* Dass sich der Betrag von der Geschwindigkeit also nicht ändert, dass er gleich schnell immer herumflitzt; das findet ja auch ganz gut seine Bestätigung in dieser Zerlegung in Stücke, wo ich dann sage: Das Stück geradeaus und da zieht jemand senkrecht dazu, weil wenn der immer senkrecht dazu zieht, dann kann er ja eigentlich dazu nichts beitragen mehr. # Nein.
Ganz ähnlich wie bei der Mondbewegung.

* Aber was mich daran stört, ist, dass in diesem Gedankengang das Geradeaus-Wollen das Ursprüngliche ist und das Abgebogen-Werden in den Kreis ist ein Zwang, der gegenüber diesem Ursprünglichen ein Zwang eben ist. Das Geradeaus ist das Eigentliche und das Gebogene ist das Abgewandelte.

# Das ist ein Aspekt.

* (Gelächter) Das ist ja die Beobachtung.
- Ja, die physikalische!

# Die Geschwindigkeit bleibt immer erhalten. Die Sturheit, die Sturheit, die auf Geschwindigkeit geht, die ist erhalten geblieben. Nun sagt Newton zu seinem Trägheitsgesetz in einer Fassung, die sehr milde ist: Ein Ding, was losgelassen ist, frei von Einflüssen, bewegt sich in einer Geraden und kann (wörtlich) nur schwer davon abgebracht werden. Das finde ich nicht einen sehr glücklichen Satz zum Verständnis. Das heißt, wenn man versucht, einen Körper aus seiner geradlinigen Bewegung herauszudrängen, so spürt man einen Widerstand, weil das Ding seiner Natur nach nicht will, dass es gestört wird. Ist das einleuchtend? Und so verstehe ich dann jetzt auch den umlaufenden Kreis, dass auch hier die Störung auf Widerstand stößt; dass deshalb der Kreisel schwer aus seiner Stellung zu bringen ist, wenn dabei die... Ich meine, es liegt schon im Trägheitsgesetz, dass es schwer ist, einen Körper aus dem geraden Zustand heraus zu bringen. Dass sich das jetzt absondert auf die Kreisbahn und dass es schwer ist, ihn aus der Kreisbahn herauszubringen. Das ist das, was wir beim Kreisel spüren. Das ist Widerstand, die Sturheit.

* Ist da nicht noch etwas anderes dabei, ist es nicht irgendwie die Gleichverteiltheit der Sturheit, die sich äußert, die beim Kreisel dafür verantwortlich ist, dass der nicht umfallen will? Denn die Sturheit alleine...

# Ja, allgemein gesprochen. Die Störung wird sich auch hier äußern als Widerstand.
Ja, nun weiß ich nicht, wie weit Sie gekommen sind (in der letzten Sitzung). Nun müssen wir vielleicht genauer untersuchen, wenn der Kreisel kippt, was dann konkret passiert mit dem Partikelchen. Haben Sie das überlegt?

* Ja. Also, wir haben uns eigentlich das letzte Mal nicht darüber gewundert, oder weniger darüber gewundert, dass sich der Kreisel immer weiterdreht. Sondern vielmehr dass er sich beim Drehen, im Gegensatz wenn er steht, dass er nicht umfällt. Dass er, erst wenn er sich dreht, dass er dann nicht umfällt. Dass er also normalerweise ...wenn er auf die Spitze gestellt wird, fällt er um. Erst wenn er sich dreht, fällt er nicht mehr um. Das war also das Merkwürdige.

# Man kann auch folgenden Verdacht haben: Jetzt wo er anfängt zu torkeln, das ist der gestörte Zustand, der ablaufende Zustand, jetzt kommt es erst, jetzt steht er noch gerade. Und dann fängt er so an, so zu machen, jetzt ist es... die Achse, die muss man mit einbeziehen. Und je schneller er läuft, desto weniger macht er die Bewegung. Es erhebt sich der Verdacht, ob er nicht überhaupt immer torkelt, bloß sehr wenig. Wenn er steht und zu stehen scheint, dann ist vielleicht seine Bewegung noch drin, bloß nicht sichtbar. Das heißt... na ja, heißt nichts.

* Es könnte heißen, dass eben sozusagen der Schwerpunkt oder so immer herum will, das Schwerezentrum des Ganzen, das doch auch immer so...

# Ja.

* ...dass nur die einzelnen Punkte da drauf in der Kreisbewegung sind, die einzelnen Masseteilchen am Rand dieses Kreises in so einer Bewegung sind, sondern dass noch einmal, da wo man sich die ganze Schwere konzentriert denken kann, dass auch noch einmal dieser Bereich um den Kreis herum geht und damit dann auch wieder zur Stabilität beiträgt. # Der Verdacht, dass er immer eiert...

* Könnte man so überlegen, ob der immer eiert.

# ...infinitesimal eiert, so dass es stimmt. Jetzt muss ich Ihnen noch einmal eine zweite Frage stellen, ganz privat. Ich habe es mir kürzlich erst klar gemacht, etwas kapiere ich nicht ganz. Also denken Sie sich einen aus Stahl hergestellten Kreisel, der ganz makellos ist, innerlich und äußerlich. Also genau geformt, radialsymmetrisch, poliert aufs Beste, und der wird nun vor Sie gesetzt und rotiert. Man sieht dann eigentlich dann gar nichts mehr, nicht? Wenn er nun sehr schnell rotiert, sieht man nichts mehr. Jetzt frage ich mich: Durch die Rotation kommt an eine bestimmte Stelle immer anderes Stahl-Material. Nicht wahr? Wenn er so dreht, dann ist jetzt dieses Teilchen Stahl vorne für Sie und in der nächsten Sekunde dieses Teilchen und so weiter. Diese Teilchen sind alle gleich. Ich meine, ich will darauf hinaus, ich kann es nicht fassen, dass ein rotierender Stahl eigentlich nichts anderes ist als ein stehender. Es ist durchaus der Raum ausgefüllt, aber der Raum ist wechselnd ausgefüllt von immer neuen Stahlmassen, die fließen.
Es ist eigentlich gar nicht anzunehmen, dass sich das äußert. Das eine ist ein Kreisel und bleibt stehen und der Ersatzkreisel der ruht und wo es massiv ist und auch überall mit Stahl erfüllt, der fällt um. Verstehen Sie? Es war sehr schlecht (ausgedrückt).

* Wir sind auf ein ähnliches Problem auch schon das letzte Mal gekommen, ich kann das eigentlich nicht genau wieder formulieren, wie das war, aber auch mit dem Gedanken, dass eigentlich was der Unterschied der angreifenden Kräfte beim drehenden und beim stehenden Kreisel ist, oder beim liegenden Kreisel.

# Ich komme von der Vorstellung aus, dass ein Kreisel sehr schnell rotiert. Und dann sieht er aus, als ob er überhaupt keiner ist. Aber ist massiv, es ist überall Stahl drin, in jedem Fall, jederzeit, jeder Punkt erfüllt im Raum. Nun dreht er sich, man merkt ja nichts davon, man sieht es nicht und man kann auch argumentieren: Es geschieht eigentlich nichts. Und doch geschieht sehr viel, es geschieht der fortwährende Ersatz und der macht es, (Tonband ganz undeutlich) was die Kreiselbewegung auch macht. Verstehen Sie, was ich meine?

* Wir hatten es ja noch mit dem einfachen Fall verglichen, wenn man Fahrrad fährt. Wenn man sich auf das Fahrrad aufsetzt und das Fahrrad bewegt sich nicht, fällt man ja auch um. Und erst, wenn das Fahrrad einmal in eine Richtung angestoßen worden ist, dann kann man es gerade halten.

# Habe es nicht verstanden.

* Wir hatten also das Fahrradfahren betrachtet und gesagt, wenn wir auf dem Fahrrad sitzen, dass man normalerweise umfällt und eben nur durch die Vorwärtsbewegung, dass nur die Bewegung nach vorne, also das normale Fahrrad-Fahren verhindert, dass man umfällt. Obwohl man doch eigentlich gleich auf dem Fahrrad sitzt, fällt man einmal um und einmal nicht.

# Ist doch etwas anderes.

* Also ich verstehe jetzt das Beispiel mit dem Kreisel, ich drücke es einmal komisch aus, dass innerhalb irgend einer Masse, lasst das Knet, Knatsch oder sonst was sein, ein Hohlraum ist, der durch einen Metallkreisel ausgefüllt wird. Und in diesem Hohlraum sitzt der Metallkreisel immer drin, es ist gleichgültig, ob er sich dreht oder ob er in Ruhe ist. Und man kann es eigentlich nicht unterscheiden, der Hohlraum ist immer angefüllt mit diesen Metallteilen.

# Das meinte ich.

* Ja?

# Genau! - Haben Sie verstanden?

* Einen Unterschied gibt es aber doch.

# Ja, aber... Tatsache, nicht wahr?

* Ich meine, die Teilchen sind ja immer in Bewegung.

# Aber man kann ja sagen: Da ist kein Unterschied. Dieser Hohlraum ist vollkommen mit Stahl ausgefüllt.

* Ja, aber der Hohlraum, in dem der drehende Kreisel sich befindet, der hat eben von seinem Ursprung her etwas zusätzlich, was der andere Hohlraum mit dem ruhenden Kreisel nicht hat, nämlich die Bewegung. Die ist dem Kreisel ja irgendwann einmal erteilt worden, dem anderen nicht. Und da ist etwas zusätzlich vorhanden.

# Ja, schon.

* Er sagt: Die Teilchen sind ja in Bewegung in dem Hohlraum drin.

# Das sind sie. Das ändert nichts daran, dass wo ich auch momentan bin, mit der Pinzette hinzeige, frage: Was ist da los? Das ist Stahl, immer derselbe Stahl.

* Also ich denke mir, solange die beiden tatsächlich ruhig stehen, was immer das heißen mag, sind sie in gewisser Weise für mich wirklich gleich und auf jeden Fall ununterscheidbar. In dem Moment aber, wo ich dann anstoße oder die Richtung versuche zu ändern bei diesen beiden Kreiseln, da ist es so, dass ich dann plötzlich merke, dass da bei dem anderen vorher etwas war, und zwar kann man sich das ja vielleicht so vorstellen, dass eben irgendwelche, ja die Frage ist, die man stellen müsste, ist, ob überhaupt irgendwelche Kräfte auftreten am Kreisel, die hatten wir eigentlich auch schon beantwortet, weil doch die Geschwindigkeit immer die gleiche bleibt, der Betrag, ob dann trotzdem die Kräfte auftreten. Und diese Kräfte, das hatten wir eigentlich dann gesagt, werden im Grunde hervor gerufen durch dieses Zurückdrehen der geradeaus wollenden Teilchen auf dem Rand des Kreises. Die werden immer wieder zurückgezogen, immer wieder zurückgeholt, und dieses nach innen gerichtete Zurückholen, das ist eigentlich das, was da an Kraft mitspielt. Und das ist das, was auch die Festigkeit des Kreisels dann beansprucht.

# Das geschieht aber nicht ruckweise.

* Nein, nein, das ist die Vorstellung der Physiker.

# Es ist noch nicht der Grenzwert erreicht.

* Das müsste auch so sein, dass diese Kreisel, wenn sie gleich hergestellt sind, also genau identisch hergestellt, dass sie dann auch von der Abmessung her nicht mehr gleich sein dürfen. Denn wenn das Stahl ist, wird das mit Sicherheit auch elastische Verformungen bei dem sich drehenden Kreisel geben. - Hmm.
- Das heißt, dass ich dann aus der genauen Bestimmung der Lage eines Massenpunktes sagen könnte, ob der Kerl sich dreht oder in Ruhe ist.

# Da müsste ich einen zweiten Kreisel, einen Täuschungskreisel herstellen, dann habe ich wieder recht.

* Ja.

# Haben Sie eigentlich schon mal überlegt, wie diese Einwirkung, die störende Einwirkung des Extrems beim Umfallen sich konkret äußert? Ich muss es einmal an der Tafel malen. (An der Tafel entsteht ein Bild eines Kreisels, mit viel leisem Gerede und Gewische.) Also nehmen wir einmal an, hier ein Partikel... nun soll er kippen. Dann ist das also... dieser hier, der soll sich bewegen. Was passiert denn nun mit dem gekippten?

* Wenn nicht gekippt wird, läuft er waagerecht weiter, sonst geht er eben schräg herunter. Wenn wir hier auf die Achse gucken, dann guckt sie wieder ein bisschen heraus.

# Ich mache es mit Hilfe eines Partikels, der hier gesessen hat.

* Das ist hier.

# So weit kippen Sie?

* Lasst den Kreisel gleich ganz umkippen!

# Das ist zuviel. Ein bisschen kippen.

* Man kann es von der Seite zeichnen. (Weiter wird geredet und gezeichnet.)
- Hinten muss er höher gehen, wenn er genau in der Mitte kippt.
- Aber die Spitze muss vorne stehen bleiben.
- Kippt der um die Spitze?
- Dann mache die Spitze halt noch ein bisschen länger! - Macht doch nichts.
- Das ist die neue Achse.
- Die kippen den Mittelpunkt... (Teilnehmer informieren sich gegenseitig.)
- Der kippt um den Auflagepunkt.
- Nein, so geht es nicht.
- Der kommt etwas höher.
- Kommt er jetzt höher bei dir?
- Ja, er kommt höher, nicht sehr viel. Bei dem hier (am Modell) kann man es gut sehen, wenn man da von der Seite guckt.
- Also ich bin dagegen.
- Du bist dagegen, dass er hochkommt?

# Nehmen Sie einmal einen Punkt an, der am stärksten gekippt ist.

* Ja, er dreht und kippt gleichzeitig. Aber er bewegt sich doch schräg nach unten.

# Beim Kreisel passiert doch etwas... der weicht aus.

* Ja.
- Hmm.

# Der macht nicht das, was er sollte, sondern er weicht aus. Das ist das eigentümliche Gefühl, wenn man den Kreisel fasst. Kann man nicht sehen, dass hier jetzt der ganze Äquator läuft?
Oder ich kann so sagen: Wie läuft jetzt die Achse?

* Die Achse weicht jetzt auch immer aus, die fällt nicht um.

# Der Partikelpunkt macht doch die Bewegung nicht mit, die ich ihm gebe, wenn ich ihn kippe, sondern was für eine andere Bewegung? Eine andere Achse dazu...

* Die Achse muss die gleiche Bewegung machen.
- Also das ist noch ein bisschen schwierig zu sehen, weil das zweidimensional dargestellt ist. Eigentlich ist es ja so, dass wenn der Kreisel so nach vorne gekippt wird, dann im Grunde der nach unten gerichtete Pfeil auch gleichzeitig ein Stück weit nach vorne zeigt, also aus der Tafel heraus ein Stück. Und dadurch wird natürlich auch die gesamte Achse ein Stück weit aus der Tafel heraus mitgenommen.

# Das heißt, wenn ich so frage, macht die Achse die Bewegung mit?

* Ja, einen Teil der Bewegung.
- Wieso einen Teil? Die ist doch starr mit dem Punkt verbunden.
- Ja, aber sie läuft nicht auf der gleichen Bahn.
- Nein, das nicht, aber...
- Es ging ja um den einzelnen Punkt da, da bewegt sie sich sicher nicht genauso.
- So, da muss man ja immer gucken, wie die verschiedenen Punkte sich zueinander verhalten, und dieser Punkt da vorne, der zieht jedenfalls die Achse ein Stück aus der Tafel heraus. Und da kann man gucken: Was macht ein entsprechender Punkt, der hintendrauf sitzt, auf dem hinteren Teil der Scheibe? Der geht nach oben und geht auch ein Stück sozusagen aus der Tafel heraus. Also geht er in der gleichen Richtung, geht er im gleichen Sinne wie der unten. Das heißt also: Tatsächlich muss die Achse, das kann sich ja nicht aufheben gegenseitig, kann sich nicht wegheben, dieser Effekt, sondern es ist so, dass die Achse dem insgesamt auch folgen muss und auch aus der Tafel herauskippen muss. Und da das dann in jedem Augenblick passiert, ergibt sich dann so...

# Dadurch ergibt sich die Torkelbewegung. Wenn ich nach vorne kippe, ist der Effekt eine Bewegung senkrecht dazu.

* Hmm, ja.

# Also die Kippbewegung und die Rotationsbewegung kombinieren sich zu einem ausreichenden, aus innen heraus. Und das macht dieses Torkeln. Sie können den doch gerade einfach fassen, Sie können ihn so nehmen, dann reagiert er so, quer dazu. Das ist das Eigentümliche bei dem Kreisel. Wenn man ihn einschließt in ein Gestell oder auch das Gestell erhöht und bewegt wie einen Apfel, dann hat man das Gefühl, mit einem Tier zu tun zu haben, weil es schief läuft.

* Ja, ja. Ich glaube, diese Assoziation hatte auch meine kleine Tochter gestern, weil sie wirklich Sorge hatte vor dem Kreisel und dadurch, dass er dann noch so unberechenbare Bewegungen macht, wenn er irgendwo anstößt oder so und dann am Schluss ganz schnell anfängt zu torkeln, das war ihr sehr unangenehm. Da kann man schon an solche Dinge denken.

# Ja, mehr kann ich dazu nicht sagen. Es ist auch Zeit.
Wir haben noch eine Sitzung. Da möchte ich etwas Mathematisches machen. Ich sage noch nicht, was. Ein Mathematiker ist ja nicht hier. Ja, danke schön.

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