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15. Dezember 1986.

Thema: Sonnenstrahlen sind parallel, Lichtmühle, Phänomene, Information

# Martin Wagenschein
* Seminarteilnehmer
- weitere Seminarteilnehmer in der selben Runde
() redaktionelle Kommentare

(Es wird ein Bild herumgezeigt, Sonne hinter einer Wolke. Die Strahlen gehen radial von der Wolke aus)

# Es heißt doch, die Sonnenstrahlen liefen parallel. Was sagen Sie dazu? Strahlender Gegenbeweis.

* Die laufen nur bei Bedarf parallel. (Gelächter)

# Ja, das müssen Sie dann näher erklären, welcher Bedarf das ist. -
Ich meine jetzt vorwiegend die Nichtphysiker. Was sagt man den Schülern? Es ist der Widerspruch zu beseitigen zwischen dieser Aussage und dem Bild. Das sind ja Tatsachen hier. -
Die werden sagen: "Die laufen ja alle in der Sonne zusammen." Das würde ich sogar sagen, zur Unterstützung. Deswegen können sie ja nicht parallel sein.

* Ja, das stimmt ja auch. Aber wenn man zum Beispiel eine Straße entlang sieht, mit parallelen Bürgersteigen, einigermaßen parallel, dann sieht das so ähnlich aus wie auf diesem Bild, das heißt: die laufen dann auch auf einen sehr weit entfernten Punkt zu.

# Wissen Sie, wie diese Strahlen im Raum laufen? Man sieht sie vielleicht anders als sie sind. -
Das sieht doch aus, also ob das auseinander läuft.

* Ja, die laufen schräg.

# Ja, und zwar nach wo schräg? Wie liegen die zur Landschaft? So müsste ich fragen. Das sieht doch aus, als ob sie...

* Parallel über die Landschaft drüber. Die gehen eigentlich über die Landschaft drüber und die kommen nicht von der Landschaft.

# Also horizontal? Beinahe?

* Ja. - Hmm.

# Die kommen gerade übers Gebirge, so flach. Genau, wenn Sie eine Wolkendecke, so eine Cumuluswolke sehen, die sehen so aus, als ob sie hoch anstiegen. In Wirklichkeit bilden sie eine Decke. Das nur nebenbei. Ich bedanke mich für das Radiometer, die Lichtmühle. Ungemein passend. Nun möchte ich auch gleich einen Exkurs machen. Was sagen Sie dazu, wenn Sie gar nichts wissen, wäre das auch ein zulässiges Thema für einen exemplarischen Einstieg in die Physik? Die Lichtmühle, das bekannte... Könnte jemand es einmal beschreiben? Nicht erklären, überhaupt nicht erklären, nur beschreiben, wie es aussieht.

* Ja, das ist so ein mühlradförmiges Gebilde mit meistens rautenförmigen Blättern, die in einem, ja bis zu einer gewissen Grenze evakuierten Glaskolben untergebracht sind, die eine Seite ist geschwärzt.

# Schwierig. Ob man es überhaupt beschreiben kann ohne Zeichnung?

* Ich kann es auch anzeichnen.
(Neue Teilnehmerin kommt:) - Ich habe lange gesucht, bis ich Sie gefunden habe. Ich wollte Ihnen zum Geburtstag gratulieren und wollte noch einmal zuhören beim Seminar. Herzlichen Glückwunsch, ich habe das nämlich in der Zeitung gelesen.

# Danke.

(Geschmunzel, Stühle werden verschoben, an der Tafel soll das Gemälde entstehen)

* Schwierig, ich stehe jetzt also im rechten Winkel dazu. Also mir gelingt die Perspektive nicht so, merke ich.

# Kann man es mit den Händen zeigen? In die Luft zeichnen?

* Na ja gut, es ist also so ein Achsenkreuz, und auf diesem Achsenkreuz sind angebracht solche meistens rautenförmige Flächen, und die eine Seite ist hell, metallfarben, und die andere beschwärzt.

# Bei jedem?

* Bei jedem. Jedenfalls bei denen, die ich kenne. Und das Ganze ist untergebracht in einem Glaskolben, der evakuiert ist.

# Da sollen sie ruhig sein. Entschuldigung! (Alle lachen)

* Das Ganze sitzt in einer Glaskugel, damit es schöner aussieht.

# Er sagt immer, was er weiß. - Also ich würde es so sagen: Die stehen so an einem... um diese Achse drehbar (Handbewegungen) es sind also vier Stück. Und was bei mir die Handflächen sind, das ist also schwarz, und die Handrücken sind glänzend. Bei den anderen auch. Kann man sich das vorstellen? - Wenn man also zuguckt und die Sonne scheint auf das Ding, dann dreht es sich... und zwar, wenn man genau hinsieht, die glänzenden Seiten von rechts und die schwarzen hinterher. Wenn man diese Aufgabe stellt, könnte man das machen, einen Einstieg in die Physik? Mich interessiert näher die Zielfrage, wie man das nun macht. Ist das ein Thema, was die Bedingungen erfüllt? Vom Naturphänomen, zudem was merkwürdig und so weiter...

* Naturphänomen würde ich in dem Fall nicht sagen, weil man da ein technisches Gerät erst einmal herstellen muss, ehe man den Effekt herstellen kann.

# Es gibt noch etwas, auch Natur... Aber das ist keine Natur.

* Das ist jedenfalls kein reines Naturphänomen.

# Man kann es natürlich trotzdem machen, es ist ganz schön. Und wenn man dann der Klasse sagt, sie solle sich einmal dazu äußern oder etwas daran tun, was werden die machen? Ich weiß, was sie machen.

* Erstens das Ding aus dem Glaskasten herausholen.
- Dann machen sie es kaputt.
- Ja, erst einmal versuchen, es geht ja nicht anders. Man muss es ja kaputtmachen, um das Ding aus dem Glaskasten herauszuholen.
- Ich würde schon sagen, die lassen es drin, ich habe da ehrfurchtsvolle Beobachtungen erlebt.
- Ja.
- Aber man kommt ja nicht heran, das ist ja das Schlechte an dem. Man will doch sehen, warum sich das dreht. Um das zu erforschen, müssen wir das doch einmal anfassen, zum Beispiel die Mühle selber.
- Nein, die schütteln es höchstens, das Schlimmste, was sie machen, ist Schütteln. - So, ja.

# Ja, so schütteln. Das verändert sich gar nicht. Das werden sie sicher tun. Aber schließlich werden sie es auch kaputtmachen? Kaputt machen müssen, dann ist es aber aus. Dann kauft man ein neues. Am besten hat man eine ganze Serie.

* Ich würde denken, wenn es verschraubt ist, was es nicht ist, oder irgendwie, dass man es aufmachen könnte, würden sie es ziemlich bald aufmachen...
- Das ist klar.
- ...und nur dadurch, dass es nicht geht, werden sie daran gehindert. Und wenn sie radikal genug sind, machen sie es auch kaputt.
- Dazu ist es zu schön.
- Die probieren erst ganz andere Sachen aus.
- Ich könnte mir vorstellen, wenn sie merken, dass sie da nicht so herankönnen, dass sie dann versuchen, beispielsweise eine starke Lampe daran zu halten.
- Oder zuzuhängen.
- Oder eine starke Lampe da drauf zu richten und gucken, was das verändert.

# Ja, außen. Das Äußere ist immer dasselbe. Das heißt... etwas Merkwürdiges werden sie vielleicht nicht machen. Die Hand dran halten.

* Doch. Sie haben es auch schon einmal an die Heizung gehalten bei uns.

# Der Gedanke liegt eigentlich fern. Und überraschend, dann tut es das auch, wenn man sehr heiße Hände hat. Und die Heizung heiß ist.

* Dann tut's auch?

# Ja, dann tut's auch. Es passt ja ins Bild, denn das Licht wärmt auch. -Aber damit kommt man nicht weiter. - Ja, ich finde, es passiert etwas, wenn man das Ding kaputtmacht. Ich nehme es wenigstens an. Er hat es ja schon verraten.

* Dann geht nichts mehr. Es sei denn, man stellt es unter einen Rezipienten.

# Ja, gibt es keinen Knall?

* Ich habe noch keins... ja, einen Knall müsste es schon geben.

# Sie haben es noch nicht zerstört.

* Wir haben zwei Stück, wir haben ein kaputtes und ein ganzes, und das ist sehr gut, (Gelächter) denn man kann mit dem kaputten mehr machen als mit dem ganzen. Man kann ein Vakuum erzeugen, wenn man es in einen Rezipienten setzt, ja, dann geht es wieder. Was man machen kann, man kann verschiedenfarbiges Licht benutzen, das ist sehr interessant.

# Das tut nur ein Physiker. (Gelächter)

* Dann stellt man raus, wenn es dunkel ist, geht es am besten.

# Wenn es nun kaputt ist und den Knall gegeben hat, dann ist es ja aus. Mich interessiert nur die Reihenfolge, der Gedankengang, den man da hat.

* Also auffallen werden sicherlich die zwei verschiedenen Farben, also dass es zwei verschiedene Farben hat, dass es auf der einen Seite silbern, auf der anderen Seite schwarz ist.
- Glänzend und matt fällt vielleicht noch auf.

# Nachmachen, das ist ja natürlich sehr beliebt, selber machen, mal selber machen.

* Mir ist das einmal passiert bei einem Optiklehrgang, da sind die von selbst auf die sogenannte Lichtmühle gekommen, ich war ganz überrascht.

# Ja?

* Und da habe ich einmal so ein Ding, ich habe ja da drüben eins stehen, das auf den Tisch gestellt und habe gefragt, wie sie nun vermuten, dass das funktioniert. Und da ist es eben so, wenn die von diesem Wort auch ausgehen, dass das Licht das Entscheidende sei, dass die der Meinung sind, dass die reflektierenden, die glänzenden Flächen die sind, auf die man leuchten muss. Die denken so an Spiegel und so etwas, das reflektiert und dann kommen solche Rückstoß...
- Impuls?
- ...solche Rückstoßvorstellungen ins Spiel.

# Ja, ja, das ist eigentlich naheliegend.

* Aber dazu dreht es sich falsch herum.
- Das dreht sich dann gar nicht.

# Dagegen lässt sich, glaube ich, nichts sagen, nicht?

* Ja.
- Ja, wenn die das kaputt machen und das knallt, dann können die ja darauf kommen. Ich meine, wenn man normal ein Glas kaputt macht, dann knallt es ja nicht. Also müssten die darauf kommen, dass irgendwie ein Unter- oder Überdruck da drin ist.
- Ein Überdruck denkt man erst einmal.

# Ja, ja.

* Das dringt ja erst mal wieder rein.

# Ja, kann man das nachmachen? Schwer nachzumachen. Man kann höchstens zu einem Physiker gehen und sagen: "Pumpen Sie mir mal das Ding aus."

* Also ich denke schon, über diese Glocke könnte es ja gehen. Wenn man merkt: Da hat es geknallt, da ist irgendetwas los da drin. Dass man es dann unter Druck setzt oder Druck wegnimmt, also Luft raus- oder reinpumpt.

# Da muss ein Physiker helfen, das kann man so nicht machen. -
Ja, was passiert nun, wenn man diese beiden Möglichkeiten, auspumpen oder unter Druck setzen... Wissen Sie es hintenherum? Über Ihre Kenntnisse?

* Ja, wenn man es unter Druck setzt, geht es natürlich auch nicht, weil das natürlich noch schlimmer ist als im Raum.
- Ja, dann dreht es sich andersherum.

# Wenn Sie sagen 'natürlich', dann haben Sie ja schon etwas verraten. Wenn man gar nichts weiß, dann kann man es einfach einmal probieren.

* Wenn du Luft reinpumpst, es unter Druck setzt?
- Dann dreht es sich anders herum.
- Also ich habe auch schon einmal gehört, da gibt es welche für zwanzig Mark, die drehen sich anders herum als die teuren für fünfzig Mark...
(Tosendes Gelächter von allen)
- Das ist ja der Gipfel!
- Tatsächlich, das ist wirklich stark!
- Physik ist eine Frage des Preises...
- Das ist gut.
- Die gibt es ja auf dem Weihnachtsmarkt.
(Jetzt wieder ernst.)
- Dann gibt es noch den Effekt, dass die nach zwei oder drei Jahren nachlassen, die drehen sich bei derselben Lichteinstrahlung nicht mehr so schnell oder fast gar nicht mehr. In den Schaufenstern stehen sie ja manchmal zur Dekoration und die drehen sich nicht mehr, wenn sie schon lange dastehen.

# Ja, was folgt daraus?

* Also die billigen Dinger sind nur gering evakuiert, es ist noch zuviel Luft drin. Und das tritt auch dann ein, wenn sie schon älter sind, dann ist durch das Glas Luft diffundiert, und dann ist wieder mehr Luft drin. Dann drehen die sich falsch herum und zwar deswegen, weil sich an der schwarzen Seite die Luft erwärmt und die Luftmoleküle sozusagen die Lichtmühle von der schwarzen Seite wegdrücken.

# Welche ist das jetzt, die richtige oder die falsche? (Gelächter)

* Das sind die falschen, die billigen...
- Das sind die richtigen, denke ich!
- ...da wird die Luft an der schwarzen Seite erwärmt und drückt die schwarze Seite weg, und bei den richtigen dreht sich ja die Lichtmühle zur schwarzen Seite hin.

# Also welche sind das?

* Das sind dann die teuren, die gut evakuierten.
- Wir haben eine billige, die ist über zehn Jahre alt und die tut es immer noch...
- Ja, aber die ist falsch geleitet. - ...und dreht sich nicht anders jetzt.
- Aber es stimmt schon, was du meinst, es gibt eben noch den entgegengesetzten Effekt, und das ist der Strahlungsdruck. Den gibt es wirklich. Der Energieübertrag, der durch so einen Lichtstrahl auf so eine Platte passiert, und wenn das Vakuum, aber ich weiß nicht, wie gut das sein muss, ich habe solche noch nie im normalen Leben gesehen, da wäre ich einmal vorsichtig, aber wenn das Vakuum tatsächlich, man kann es ausrechnen, gut genug ist, dann überwiegt dieser Strahlungsdruck, überwiegt über die Wärme.
- Und dann dreht es sich anders herum?
- Ja, denn dann wird es von den reflektierenden Seiten, den versilberten Seiten meinetwegen, wegreflektiert und da ist der Strahlungsdruck größer.

# Das wäre der richtige Strahlungsdruck.

* Ja, also so habe ich das einmal im Physikbuch gelesen, also wohlgemerkt...
- Gelesen!
- ...ich habe es noch nie gesehen, deswegen habe ich mich auch gewundert, dass er sagt, es gibt diese beiden. Das habe ich noch nie gehört. Zumindest ist das die Theorie.
- Also ausprobieren.
- Also das ist ganz klar, dass ein Unterschied ist zwischen der schwarzen und der hellen Seite.
- Das leuchtet ein.

# Das, was er gesagt hat, ist die gängige Erklärung. Dass es an der schwarzen Seite heiß wird, sich ausdehnt und das Ding wegschiebt. -
Das ist auch die Erklärung.

* Das ist doch richtig herum.

# Der sogenannte Strahlungsdruck, der auf die blanken Seiten geht...

* Der würde auf beiden Seiten notwendig sein.
- Nein, auf der verspiegelten Seite würde das Licht reflektiert.
- Bei der anderen wird es absorbiert. Mir geht es ganz genau so, ich habe es auch nur gelesen, habe es schon berechnet gesehen, habe aber noch nie eins gesehen, das sich so herum gedreht hat, dass die schwarzen Seiten sich voran drehen. - Ich auch nicht, und ich weiß auch nicht, was man da für ein Vakuum braucht. Das muss man erst einmal nachprüfen, ob das überhaupt im Rahmen von dem ist, was man so ohne weiteres herstellen kann.
- Das naturwissenschaftlich-technische Phänomen, das ist etwas anderes als das Naturphänomen.

# Im übrigen, ist der Strahlungsdruck nicht sehr klein?

* Ja, eben.

# Wie man an den Kometen sehen kann, an den komischen Schwänzen, ist er ja doch immerhin da, denn die werden immer von der Sonne weggedrückt.

* Ach so, jetzt kapiere ich erst: das Ding, was normalerweise so herumläuft und sich dreht, ist eigentlich auf Grund der Verschmutzung, das heißt, da ist viel Luft drin.

# Haben Sie eins gesehen, was um die Erde läuft?

* Nein, ich habe es auch nur gehört.

# Also ich bin dafür, jetzt weiter zu machen. -
Wissen Sie noch, wovon die Rede war? - Lange her, vierzehn Tage... -
Wissen Sie es noch? Sie kennt das Protokoll genau.

* Aber ich weiß es trotzdem nicht. - (Stimme ganz von hinten, wie es scheint nach langem Nachdenken) Wie gut ist denn das Vakuum da drin, wer weiß denn das? Ich habe mir nämlich gerade überlegt, allzu gut kann das nicht sein, ich habe nämlich so ein Ding aus Plexiglas. Und durch Plexiglas, da diffundiert ja sogar das Wasser durch. Und da habe ich bestimmt kein gutes Vakuum drin. Das ist zwar dick, zwei Zentimeter dick, das ist ein Klotz, ein kubischer Klotz, und da ist eine kugelförmige Aushöhlung und da steckt das drin. Und die dünnste Stelle vom Plexiglas, die ist dann so anderthalb oder zwei Zentimeter. Da geht bestimmt Luft durch.

# Das soll in der vorigen Stunde besprochen worden sein?

* Nein, das war ein Überbleibsel der Diskussion vorher.

# Ich habe mich schon etwas vorbereitet, aber gerade deshalb geht es mir etwas durcheinander. Es war nämlich sehr vielerlei.

* Wir fingen an, dass Professor Berg uns einen Artikel von Ihnen vorgelesen hat.

# Der hat nichts damit zu tun.

* Die letzte Stunde, das war der Anfang.

# Ja, wir hatten ja wohl gesprochen über die Begriffe 'genetisch' und, das war wenigstens meine Absicht, dass wir dann über den Begriff 'exemplarisch' sprechen wollen, und der Versuch war doch, die Brechung zu verstehen. Ja.

* Ja, wir hatten 'genetisch' und 'sokratisch' versucht zu klären, was das ist.

# 'Exemplarisch' noch nicht. * Nein, soweit waren wir nicht.

# Wir können ja so sagen: Kann dieses, was wir besprochen haben, zum Verständnis der Brechung, inwiefern kann das - kennzeichnend für die Physik sein? Nicht, dass man das nun weiß, als Einzelnes, sondern dass man das Verfahren charakterisiert. Was macht man da? Kann man an diesem Beispiel sich das bewusst machen? Haben wir die Sache nur beschrieben? -
Wann war... haben wir erklärt... In welchem Moment war sie erklärt, die Brechung? -
Wie erklären Sie die Brechung?

* Ja, wir hatten ja die Bremsung, so hatten wir sie aufgefasst.

# Ja.

* Wir hatten das Modell mit den Rädern und den verschiedenen Oberflächen. Wir haben zwei Räder mit einer Achse uns gedacht, und die rollt von einer ebenen Fläche auf so einen Teppichboden, rauhe Oberfläche. Und wir hatten verstanden, warum die abknicken muss und hatten das so als Modell gesehen. - Hat das jemand einmal gemacht?

# Als Bremsung. Sie können sagen: Brechung ist Bremsung.

* Das geht nicht.
- Eben.
- Ich habe es auch einmal probiert.
- Doch, es funktioniert schon. Man sieht jedenfalls, dass die Achse sich leicht dreht. Man sieht da nicht das Weiterrollen, das habe ich auch noch nicht geschafft, aber zumindest, dass das hinrollt und sich dann so leicht dreht, dann noch etwas auf diese Fläche hinbewegt. Das funktioniert schon mit Schmirgelpapier zum Beispiel.
- Ja, da habe ich es probiert, und da hatte ich die Schwierigkeiten.

# Haben Sie noch andere Beispiele, dass eine Sache in diesem Sinn erklärt wird? Ein anderes Naturphänomen, was auch erstaunlich ist?

* Ja, wir hatten noch die Wasserwellen gehabt, die am flachen Ufer immer parallel zum Strand einfallen.

# Ja, dasselbe. Ich meine jetzt ein ganz anderes Beispiel.

* Zur Optik auch noch, das wäre die Beugung. # Ja, und wie erklärt man die?

* Schwierig zu erklären.

# Schwierig.

* Jedenfalls weiß ich kein so einfaches Modell.

# Ja, zu schwierig für den Anfänger. - Etwas anderes. -
Ich habe genannt, aber Sie haben es nicht gesehen, dass das Wasser aus umgekehrten Flaschen nicht ausläuft, obwohl die Öffnung nach unten gerichtet ist und offen ist. Nämlich dann, wenn man sie in ein Wassergefäß eintaucht. Anders gesprochen: Ich mache unter Wasser ein Gefäß voll Wasser, kann auch ein breites sein, und hebe es dann aus dem Wasser heraus, ohne dass es das Wasser ganz verlässt, dann bleibt das Wasser drin, in dem Glas. -
Kennen Sie dies, das Faktum? Spülen, staunen beim Spülen, falls man nicht zu oft gespült hat. Dann ist es wieder eine Gravitation. Dass die Steine fallen, ist sehr merkwürdig, kleine Kinder wundern sich noch, das ist ganz natürlich. Dies ist nicht natürlich. - Weiß jemand die Erklärung? Ist gar nicht einfach. Das ist mein Paradebeispiel, das Allerschönste, das ich habe. Ich will es jetzt kurz erzählen; erzählen, nicht durchsprechen. Man variiert zunächst, wie alles, was man nicht versteht, ändert man ein bisschen was. Man nimmt ein Gefäß, das hoch ist, Wasser bleibt drin; soo hoch, bleibt auch drin. Man macht es weit, Wassereimer, da bleibt es zum Entsetzen aller auch drin und kann kaum herausgezogen werden aus dem Wasser, denn es ist noch etwas dabei, was ich nicht genannt habe. Wenn man das Glas hält, so spürt man das Gewicht, was, wenn man näher nachsieht, das Gewicht dieses drinbleibenden Wassers ist. Da versteht man aber gar nichts. Wieso kann das Wasser drinbleiben, obwohl es doch nicht an der Decke festklebt? Es könnte schon herausfallen, wenn es wollte. Dies ist kurz erzählt. Dies ist identisch mit dem, dass man Brunnen, Ziehbrunnen bauen kann, bis zu einer Hubhöhe von ungefähr zehn Meter. Und dann kommt das Wasser nicht mehr hoch. Man saugt also, folgt ganz brav, klettert hinterher und dann hört es bei zehn Metern auf. Bis auf diese zehn Meter ist das dieselbe Geschichte. Und nun kommt noch neu hinzu, dass es auf einen Schlag aufhört. Klar? -
Das kann man variieren, na, sage ich später. Galilei hat das noch nicht verstanden. Torricelli hat es verstanden, nämlich nachdem Pascal auf den Gedanken kam, das könnte der Luftdruck sein, der da auf die Decke wirkt und auf das Wasser. Luftdruck. Wenn es das ist, dann muss auf hohen Bergen das Phänomen schwächer sein, weil da weniger Luft drauf ist. Berühmter Brief von Pascal an seinen Schwager, der in Clermont wohnt. Clermont hat einen tausend Meter hohen Berg und er schleppt das hinauf, der Schwager schleppt das hinauf. Tatsächlich ist dann die Wassersäule - ich habe das vergessen, Quecksilber statt Wasser, das ist Torricellis genialer Einfall, also das geht nur mit Quecksilber, weil es nicht so lang ist. Und dann bleibt das Quecksilber bei tausend Meter merklich etwas niedriger. Kurz und gut, die ganze Geschichte läuft darauf hinaus, dass ich erkenne, dass der Luftdruck schuld ist. Und was ist die Schuld am Luftdruck?

* Die Tatsache, dass Luft ein Gewicht hat.

# Ja. Ist dieser Luftmantel, der um die Erde herumliegt, der sich selbst hält. Insofern ist dieses Beispiel erdumfassend, dieser Luftdruck bewirkt das. Das dauert, wenn man das mit einer Gruppe bearbeitet, drei bis vier, fünf Stunden. Und es ist ein sehr geeignetes Beispiel, weil sich alle Stadien daran erkennen lassen. Dann hat man den Grund, die Ursache. Übrigens sagt ja Galilei ganz genau, was er will, in seinem Buch, Seite eins, in den Discorsi, Unterredungen zwischen drei Personen. Da heißt es wörtlich: "Wirklich war ich oft verwirrt und verzweifelt darüber, dass so viele Dinge der Erfahrung nicht geklärt werden konnten als Kausalzusammenhang." War er oft verwirrt und verzweifelt, Motivation, die beste Motivation. Verzweifelt darüber, dass so viele Dinge der Erfahrung nicht geklärt werden konnten. Und an anderer Stelle sagt er deutlich: Kausalzusammenhang, wunderbare Erscheinungen. Ich hätte gerne noch ein Beispiel, der Kreisel. Sagen wir einmal: Der Kreisel, dass er steht und nicht fällt. Was ist schuld? Man sagt immer `schuld', nicht? Was ist schuld, dass der Kreisel nicht umfällt? Etwas anderes. Eine Sache wird erklärt, wenn sie zurückgesetzt wird auf eine andere Sache. Was ist denn die andere Sache? -
Oder wissen Sie nicht, warum der Kreisel steht? -
Die letzte Ursache. Was könnte man machen? -
Dann will ich auch nichts sagen. Der bleibt stehen aus Gründen, die bei anderen Gelegenheiten ganz harmlos sind. Also das heißt mit dem Gleichnis eines berühmten Philosophen: man versteht eine Sache, wenn man einen alten Bekannten wiedererkennt. Wenn man die Brechung als Bremsung erkannt hat und in diesem Wasserexperiment den Luftdruck, so ist das überall etwas anderes im Kreise, das man sonst nicht in Erstaunen setzen sieht, was einen gar nicht erstaunt, etwas Gewohntes, Alltägliches. Das kommt in dieser Kombination dazu, merkwürdig zu sein. Also immer Reduktion auf ein anderes, das selbstverständlich ist. In der Mathematik auch. Da führt man so manche Dinge zurück auf eine Selbstverständlichkeit, dass es Parallelen gibt (hier ist Mathematik drin). Für die Kausalsuche ist der deutschen Sprache sehr vieles bekannt. Was sagt man, wenn in der Praxis etwas erstaunlich ist und man sucht den Grund? Sagen wir einmal, das Kind ist krank. Wie fragt man da? Da sagt man nicht: "Ich suche kausal" sondern wie spricht man also deutsch, wie drückt man sich da aus?

* Was fehlt dir?

# Was fehlt dir, ja.

* Was fehlt dir? wenn man krank ist.
- Oder: Was hast du?

# Nein, ich meine nicht, dass man sich selbst fragt. Ich meine die Ursache, die Wirkung. -
Was sagen wir, wenn... wenn Feuer ausbricht?

* Warum, wir fragen nach dem Warum.

# Wollen wir einmal aufschreiben, was es so alles gibt. Es gibt noch so viele andere Worte.

* Wieso.
- Weshalb.
- Bei Feuer frage ich erst einmal nach dem Wo. Nach dem Warum nachher.

# Also 'warum' nachher.

* Wodurch.

# Warum hat das Kind so dicke Backen? Also das ist eine Frage an sich selbst.

* Ja, wodurch? Wo hast du dir das geholt, die Krankheit, die Erkältung?

# Also passen Sie auf. Wodurch, das ist etwas anderes, durch das es kommt, geholt ist etwas anderes, das man erst herholen muss, meint das. * Weshalb.

# Weshalb. Verstehen Sie das Wort? Ich verstehe es nicht, kann mir nur eine Privaterklärung machen. Können Sie verstehen weshalb 'weshalb'? Das geht absolut nicht.

* Nein, wessen halben...

# Kann man aus dem Wort etwas heraushören? Woher denn? Aber weshalb erscheint mir einfacher, wessen halben, wovon ist das die Hälfte, da ich das Ganze suche?

* Ist das Halbe nicht da, manchmal sagt man doch auch: der Form halber; manchmal sagt man auch: der Schule halber, das bedeutet ja eigentlich wegen wem, wegen wessen halber.

# Wegen, das ist der Weg, da sieht man schon den Weg, der dahin führt. Was sagen denn die Franzosen?

* Pourquoi.
- 'Für was' heißt das.

# Heißt das nicht 'wozu'? Wozu ist etwas ganz anderes. Haben Sie noch mehr? Ich sammle das nämlich.

* Wieso.

# Das ist zwar etwas schwächer, aber ungefähr genügt es.

* Wofür. # Also Grund haben wir ja schon genannt, dass er auf den Grund geht.

* Weswegen.

# Ja, weshalb hatten wir schon. Weswegen? Auf welchem Wege und so weiter. - Fällt mir noch ein: Hängt ab von. Wir sind also in allen Himmelsrichtungen in diesem Fall gegangen. Vielleicht hängt ab von etwas anderem, wir suchen den Grund, auf dem es steht. Daneben haben Sie das, woran es liegt, offensichtlich sich hält, stützt, anlehnt. Also die Deutschen haben sehr interessante Kausalitäten. Das muss man mehr vergleichen, mit dem Französischen.

* Woher kommt das?

# Woher, ja. - Aber nicht etwa wohin.

* Wohin soll das führen?

# Ja, dann ist es zu Ende, macht, dass es wegkommt. - Noch was? -

* Das andere ist, da habe ich keine Worte mehr. Worin liegt die Ursache, der Grund? Wodurch wird es bewirkt?

# Also jedenfalls, Physik ist kausal, man will wissen, womit etwas zusammenhängt und dann ist man zufrieden. Und am Ende steht eine Gleichung, die die beiden Sachen verbindet. - Ist das ausreichend, das Kausale für die Physik oder kann man das, kann man 'kausal' noch bei ganz anderen Sachen fragen? Warum ist das Kind krank? Ist keine Frage der Physik. Oder... warum gibt es Krieg, warum gab es Krieg?

* Der Grund, auch wenn ich ihn weiß, ist oft nicht ausreichend. Auch wenn ich für den Kreisel einige rationale Gründe anführen könnte, dass er nicht umfallen dürfte, aber verstanden habe ich es trotzdem nicht, weil ich es mir eigentlich nicht vorstellen kann, dass er nicht umfällt.

# Vorstellen?

* Ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen, warum ein Kreisel nicht umfällt. Für mich müsste der umfallen.

# Ja, ja, das ist ein Faktum, dass Sie sich wundern.

* Ja, richtig.

# Aber wenn Sie es verstanden haben, dann dürfen Sie sich nicht mehr wundern.

* Das ist diese Schwierigkeit mit Verstehen.

# Ja, das ist es ja. - Was haben Sie eben gesagt? Wenn man es verstanden hat, sich doch noch wundert?

* Ja, wenn Verstehen jetzt heißt, es auf eine andere Ursache zurückführen, Drehimpulserhaltung oder es auch in Gleichungen zu beschreiben, Kreiselgleichung.

# Solche Art der Erklärung meinen Sie?

* Ja, dadurch kann ich es glauben, aber trotzdem nicht verstehen.

# Ja, was sagten Sie, auf solche Sachen wie Drehimpuls zurückführen? Das ist doch etwas anderes als bei dem früheren Beispiel auf den Luftdruck zurückführen oder auf die Bremsung. Das ist ja, weil Sie zugreifen, also schon in die Physik hineingreifen. Und wenn Sie dann aus der Physik oben irgendeine Regel fassen, die hier zuständig ist, dann dürfen Sie das nicht eine kausale Theorie nennen, sondern dahinter steckt eine. Aber die wollen wir bloßlegen. Und die lässt sich beim Kreisel bloßlegen, ohne alle Kenntnisse, außer denen, die jedes Kind hat. Nicht sofort. -
Na ja, das vielleicht später. -
Nun nehmen Sie einmal an, dass Sie eine Menge Sachen erklärt haben, physikalische Sachen. Ist dann die Physik wirklich verstanden? Wenn man also weiß, nach dem Schema: die Ursache von a ist b, und das ist sogar noch verbunden. Und dann gibt es ein ganzes Netz von Kausalbeziehungen. Und der Grund ist immer auch ein Phänomen, nicht wahr, ist nicht ein Begriff. Ein Phänomen wird hier zusammengebracht mit einem anderen, das man hat. Und das überzieht sich auf die ganze Welt mit Kausalfäden und wenn man die alle weiß, oder wenn man sich auf Physik versteht, versteht man dann auch Physik? Die Frage möchte ich jetzt stellen. Wenn man also Physik in dem Sinne kann, auch anwenden kann, dass man alle diese Kausalbeziehungen hat, zum Teil durch Vermittlung mit komplizierten Gleichungen, weiß man dann unbedingt auch schon, was Physik ist?

* Wenn Sie schon so fragen, dann wird das wahrscheinlich heißen, dass man dann Physik auch unbedingt noch nicht verstanden hat.

# Können Sie das bitte noch einmal sagen?

* Wenn Sie schon so fragen, dann wird es natürlich heißen, dass man dann Physik noch nicht verstanden hat.

# Na schön. Nun sagen Sie einmal Ihre Meinung dazu, ob das hier stimmt, wahr ist, wie ich darauf komme. Ganz kraß: Kann man ein guter Physiker sein in dem Sinne, dass man auf alles seine Erklärung versteht, die kausalen Verbindungen alle kennt? Ob man sie dann verstanden hat, die Physik verstanden hat, das Besondere ihres Vorgehens, die das Kausale sucht?

* Ich denke, ja. Ein Physiker müsste doch, wenn er so ein Muster hat von mehreren Erklärungen, und es kommt ein neues Phänomen, dann wendet er doch im Prinzip die gleichen Muster wieder an. Das heißt, er hat sein Kausalitätsmuster, das er auf das neue Phänomen, das er nicht kennt, neu anwendet, und dann macht er im Prinzip genau das Gleiche, was er vorher auch gemacht hat. Und dann müsste er es erklären können. Also von daher würde ich es bejahen.

# Nebenbei haben Sie jetzt gesagt, was exemplarisch ist. Haben Sie es bemerkt?

* Bemerkt habe ich es nicht bewusst.

# Wenn man aus der Kenntnis des Verfahrens, wie man etwas findet, die Ursache zu einer Erscheinung, wenn man das kennt, dann kann man dasselbe Verfahren auch anwenden auf andere Fälle. Wenn das, also nebenbei, exemplarisch dann vorliegt, wenn man mehr lernt als das einzelne Phänomen zu verstehen, isoliert kann man auch nur eines meinen. Das Verfahren aber sich bewusst macht.

* Ja, wenn das Verfahren passt. Es könnte ja auch sein, dass dieses Verfahren diesmal gerade nicht passt. Das ist ja möglich.

# Das ist schon Punkt zwei. Aber vorher noch. -
Ja, erst möchte ich doch klären, wenn man Physik versteht, auch Physik versteht, und selbst wenn man damit arbeiten kann und alles richtig klar, endgültige Klarheit, ob man dann unbedingt versteht, was man macht. Nicht nur das einzelne Phänomen versteht zu lösen, sondern auch das ganze Verfahren versteht. Um es gleich zu sagen, mit Ihren Worten: Kann man dann schon wissen, ob Physik auf alles anwendbar ist? Könnte man nicht die Physik hervorragend können und trotzdem nicht darüber nachgedacht haben, wo sie Grenzen hat, ob sie Grenzen hat? Vielleicht hat sie ja keine.
* Ich meine, dafür gibt es ja viele Beispiele von Naturwissenschaftlern, die ihr Fach, wie man den Eindruck haben muss, doch ziemlich unbewusst überschritten haben nach verschiedenen Richtungen und dann die Methoden, die Denkansätze benutzt haben, die sie aus der Physik kannten, in der Anwendung auf andere Bereiche und die dann teilweise sehr sorglos auf andere Bereiche, die eigentlich nicht in den Gegenstandsbereich ihrer Methode gehörten, dann mit den Methoden versucht haben zu erklären.

# Also wenn einer das nicht weiß, dass man nicht so ohne weiteres auf andere Gebiete schließen kann, dann weiß er etwas über Physik, dann versteht er Physik, und versteht sich nicht bloß auf sie. Vielleicht haben Sie Beispiele... für Grenzüberschreitungen. Wo haben Sie das Kausale, das mathematische Verfahren, das messende Verfahren, ...vielleicht nicht anwendbar ist. Zu unterscheiden von dem Fall, dass es noch nicht anwendbar ist.

* Ja.
- Der gesamte Bereich der Kindererziehung.
- Ich würde sogar allgemein sagen: alle, was mit dem Menschen zu tun hat. Wenn also der Mensch mit einbezogen wird, nicht unbedingt nur Kinder, sondern schlechtweg...

# Aber die Physik ist doch des Menschen.

* Dann wäre ja Physik... die Augenlinse kann ich ja noch physikalisch...

# Das verführt eben. Jetzt kommen eine Masse kleine Querfragen. Glauben Sie, dass das Fallgesetz schon zu Zeiten der alten Römer gegolten hat? Ich drücke mich so aus: dass es das gegeben hat. Sind die Steine schon so gefallen nach dem Fallgesetz?

* Ich glaube, das sind zwei verschiedene Fragen. Ob es das Fallgesetz schon gegeben hat ist, glaube ich, eine andere Frage als diejenige, ob die Steine schon immer so gefallen sind.

# Ja? Oder nicht? Verstehen Sie?

* Nein. Dass man aus dem Fenster stürzte, gab es das nicht?

# Die Vorhersage...

* Das eine setzt eben voraus, dass ich einen Zusammenhang aus dem Phänomen sozusagen herausisoliert und beschrieben habe und das andere setzt nichts weiter als die Phänomene voraus. Die Phänomene sind für mich eben die Erfahrungen, dass ich sehe, dass die Steine fallen, das haben die Leute damals mit Sicherheit auch schon in der gleichen Weise gesehen. Nur herausheben und dann quantitatives Beschreiben dieses Phänomens ist etwas, was...
- Ist das jetzt aber nicht die Unterscheidung, ob es das Fallgesetz schon gegeben hat und ob die das Fallgesetz schon hatten.
Das gab es doch auch, ehe es die Leute hatten.
- Da gehen dann bestimmte wissenschaftstheoretische Positionen ein, dass man meint, Gesetze nur zu finden braucht, dass man Gesetze im Buch der Welt liest oder ob man meint, dass man die Gesetze zu einem Teil auch selbst macht, indem man sie nämlich formuliert, so dass sie dann auf die Phänomene passen.

# Ich glaube, vielleicht führt das zu weit. - Das war eben sehr klar. Wie haben Sie gesagt?

* Es ist ein Unterschied, ob das Gesetz gültig ist, ob die Sachen nach diesem Gesetz ablaufen und ob die Leute damals dieses Gesetz schon kannten. Das eine ist: `Die Steine fallen immer' nach diesem Gesetz, das ich später formuliert habe, ohne Rücksicht drauf, ob ich dieses Gesetz schon weiß. `Also der Ablauf hängt nicht von dem ab, was ich über diesen Ablauf weiß' würde ich sagen.

# Genügt das nicht? Ich würde ja das Beispiel nicht bringen, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, bei Kindern. Die Leute sind zu verwöhnt, das ist die Frage. Das liegt in dem Wort `es gibt', das ist doch nicht präzis. `Das gab es, gibt es' ist ja ein ganz vielfältiges Wort. Hat niemand gewusst. Hat auch niemand wissen wollen. Aber wenn er es gewusst, gewollt hätte, wenn er ein schlauer Mensch gewesen hätte, hätte er es ja wohl gefunden, kann man doch schon. Braucht nicht unbedingt auf Galilei zu warten. -
Ja, nun weiß ich wieder nicht, wie wir darauf gekommen sind.

* Über: Die Grenzen der Physik müssen erkannt sein, um über die Physik etwas zu wissen...?

# Ja, ja, dann gehört dazu, dass man Physik versteht in dem Sinn, dass man weiß, was man tut. - Solche Fragen. Wir waren so weit, dass Grenzüberschreitungen gesucht wurden.

* Sie haben in irgendeinem Seminar einmal das Beispiel gebracht mit der Grenzüberschreitung bei einer Sinfonie. Physikalisch zu beschreiben, also ein Musikstück physikalisch zu beschreiben, das wäre eine Möglichkeit.

# Ja, eben die ganze Musik, Unsinn.

* Eben.

# Unsinn?

* Nein, also das würde dem jedenfalls nicht gerecht werden, dem, was eine Sinfonie als solche ausmacht.

# Die physikalische Beschreibung, Partitur.

* Wobei die Partitur noch nicht einmal eine physikalische Beschreibung ist.

# Ja, gar nicht. Also die berühmte Geschichte, in der Einstein gesagt hat: "Dann wäre ja eine Sinfonie eine Luftdruckschwankung, eine Sache von Luftdruckschwankungen".

* Das Problem stellt sich überhaupt bei allen Fragen der Information. Man ist heute sozusagen sehr dazu geneigt, die Information sozusagen schon zu den zum Teil objektiv vorfindlichen Fakten dazuzuzählen, obwohl im Grunde jede Information ja nur Bedeutung haben kann relativ zu einem bestimmten Empfänger. Und da spielt also immer, soweit man von Information redet, ein gewisses Element der Subjektivität mit herein. Wenn man von Bits und so weiter redet, haben diese Informationen nur Sinn für einen bestimmten Empfänger.
- Zum Beispiel die Frage, ob es eigentlich hell wäre, wenn wir nicht dawären.

# Ich habe das noch nicht konkret verstanden. Beispiel Empfänger?

* Zum Beispiel ist es so, dass man nun rein von der Datenverarbeitung her sagen könnte, man kann den Informationsgehalt ausrechnen, der in einem Stück von Shakespeare zum Beispiel drinsteckt. Den Informationsgehalt, den kann man angeben, nur jetzt ist beispielsweise die Frage, wenn man zwei Shakespeares hat, gibt es dann soviele Shakespeares wie es Bücher gibt und es gibt keine Möglichkeit, diese Information irgendwie als Information aufzugreifen, wenn man nicht eine Subjektivität, die damit etwas anfangen kann. Solange da niemand ist, der damit etwas anfangen kann, solange da nur Zeichen sind, kann ich vielleicht irgendwelche grammatikalischen Wortarten ausziehen oder sonst etwas machen damit, aber ich kann nicht Räumlichkeiten bestimmen, ich habe keine Information im eigentlichen Sinne.

# Und für welche Informanten, Informierten ist dann die Physik gemacht? Welches Vorurteil haben die Physiker?

* Ich weiß es nicht, es gibt verschiedene.

# Sie sagen, es ist eine Information, nur für einen bestimmten Menschenkreis, Fragekreis.

* Ich denke, die Physiker sagen, sie interessieren sich beispielsweise nur für Informationsübermittlung, Informationsspeicherung und so weiter. Aber sie interessieren sich letztlich nicht für Information als verwertbare Information, weil dieses letzte Glied in der Kette immer jemand sein muss, der diese Information als Information verwertet und das andere sind dazwischengeschaltete apparative Abläufe. Ich würde sagen, ein Physiker, der weise ist sagt, ich beschreibe also nur diesen Teil dazwischen und es ist nicht so, dass ich mir anmaße, zum Beispiel die Information einer Beethoven-Sinfonie erfasst zu haben, wenn ich angebe, wenn die auf meiner Platte gespeichert ist in Form von irgendwelchen digitalen Zeichen und ich angebe, welche Information jetzt rein binär da drin gespeichert sind, dann würde ich sagen, der ist weise, wenn er sich darauf beschränkt. Wenn er sagt: "Ich habe die ganze Information dieser Beethoven-Sinfonie jetzt" dann würde ich sagen, überschreitet er sein Gebiet, weil er dann nicht den Empfänger und die Eigenarten des Empfängers, die ja zusammenwirken mit dem, was da gespeichert wird, weil er das nicht berücksichtigt.

# Was ist denn nun Informatik?

* Naturwissenschaft oder Mathematikwissenschaft?

# Die Wissenschaft Informatik. -
Ich weiß nicht, was das ist, ich benutze die Gelegenheit, es zu erfahren. - Wie? - Ich habe doch nun keinen besonderen Einzelkreis informiert ohne Sinn des Signals.

* Schwierig.

# Ja, ja. Das sind Informationsformen bezüglich des Inhalts. (Gelächter) Stimmt das?

* Das ist aber selbst wieder der Inhalt.
Man macht sich selbst zum Inhalt.
- Man macht sich aber auch Gedanken über Syntaktik und Semantik, ist ja genau diese Frage gerade in der Informatik, wo es eine große Rolle spielt. Was kann ich aus Information herauslesen, das ist ja genau dieser Gedanke.

# Das führt ja wieder zu weit. Ich komme wieder zurück auf die Frage vom Anfang. Haben Sie Gebiete, Fragestellungen, wo die Physik nicht hingehört? Das schließt ja nicht aus, dass sie anwendbar ist, obwohl sie versagt. Teilfrage - Sie haben von Kindererziehung gesprochen. Ein gutes Beispiel, nach physikalischen Methoden herauszukriegen, wie man Kinder erziehen kann, muss, nein, muss dann. Wenn schon, dann muss. - Sie scheinen ja nicht dafür zu sein, aber was würde das für Folgen haben?

* Aber ich denke, man würde überhaupt keine physikalischen Experimente machen können, weil der Grund an Reproduzierbarkeit, den ich für physikalische Experimente haben möchte, überhaupt in dem Falle, hoffentlich nicht erreicht werden kann. - Die Individualität würde auf der Strecke bleiben.
- Wenn es gelänge. Aber bei manchen wird es gar nicht gelingen.
- Ja, ein echter Physiker würde jetzt sagen, dann machen wir halt Statistik, wenn sich nicht alle gleich verhalten.
- Dann brauche ich drei Kinder.
- Mindestens, und dann sind die drei noch verschieden.
- Das wäre ja trotzdem Unsinn, und ich finde, es liegt nicht nur daran.

# Es gibt aber doch Erziehungswissenschaft.

* Die richtet sich ja nicht ohne weiteres nach dem Paradigma der Physik, sondern die hat ja eigene, ihrem Forschungsgegenstand angemessenere Verfahren, versucht es jedenfalls da.

# Physikalische Erziehungswissenschaft, physikalische?

* Gibt es in der Psychologie. Genau so eine Linie, die das sehr kausal, monokausal betrachtet. Also gibt es das sicher auch bei der Erziehungswissenschaft. Diese ganzen Testbatterien sind für mich so ein Beispiel, dieser Wahnsinnsaufwand, der Versuch, etwas total zu verallgemeinern und damit die Aussage reproduzierbar zu machen, wenn solche Testbatterien entwickelt werden.
- Aber auch da ist mein Gegenstand eigentlich nicht der Mensch sozusagen nur als physisch-körperhaftes Wesen, oder wie auch immer, jedenfalls nicht nur in seinem physikalischen Aspekt, sondern in dem Moment, wo die Antworten, da habe ich zumindest den Aspekt der Information. Es kann sein, dass ich diese dann von Inhalten versuche abzulösen, statistisch auszuwerten und dann im Grunde überhaupt nicht mehr auf Geistiges zurückschließe sondern versuche, das auf eine strukturelle Ebene zu bringen.
- Ich möchte mit Unterricht etwas Bestimmtes erreichen, mache eine Ausgangshypothese und stelle nachher fest, ob ich es erreicht habe oder nicht. So, das ist für mich Übertragung physikalischer Denkweisen auf Erziehungswissenschaften oder Unterrichtspraxis.

# Oder das Beispiel, wenn man eine neue Methode ausprobieren will, dann nimmt man zwei Klassen, das ist ja furchtbar beliebt gewesen, zwei Klassen, die einander gleich sind...

* ...und macht vier Stunden einen Unterricht in einer bestimmten Art und Weise, vier Stunden in der Woche, und stellt nachher fest, ob sich das gesamte Verhalten dieser Schüler verändert hat.

# Ja, eben. Das scheint ja schon ein Missbrauch zu sein.

* Ist es eindeutig auch.

# Macht man das noch?

* Ab und an gibt es noch Untersuchungen, aber weniger.
- Naja, es wird immer noch stark praktiziert, weniger glaube ich sicher nicht.
- Das geht indirekt auch ein, wenn man Befragungen macht, dann muss man sich absichern, dass man zum Beispiel aus ländlichen und städtischen Gebieten Schüler hat und dass die also möglichst breit gestreut sind aus allen sozialen Schichten -das katholische Mädchen vom Lande- man versucht also gezielte Einflüsse von der sozialen Umgebung, vom Elternhaus her, auszuschließen. Dass man sich da jetzt sozusagen eine ganz extreme Gruppe herauswählt und dann im Frankfurter Bahnhofsviertel irgendwie eine Gruppe vergleicht mit diesen Mädchen vom Lande und...
- ...den Mittelwert bildet.

# Und dann sind sie alle gleich.

* Aber ich denke, auch das ist schon etwas missbräuchlich, wenn man da meint, dass man bestimmte Faktoren isolieren kann und die anderen wegmitteln kann, das finde ich schon problematisch.
- Aber ich frage jetzt einmal andersherum: Was ist denn daran falsch, dass man guckt, dass man eine möglichst breit gefächerte Gruppe hat, sei sie jetzt vom Lande oder vom Bahnhofsviertel?
- Pädagogisch gesehen, wenn ich die als Klasse zusammenstelle, ist das sicher gut. Nur jetzt vom Untersuchungsstand her.
- Aber wenn ich dann etwas unterrichten will, und es herauskriegen will, wenn ich das in einer Einzelsituation auf Schülerebene gemacht habe, dann kann ich ja dieses Ergebnis eigentlich nicht übertragen auf eine andere Schülergruppe, wenn das speziell für die ist.
- Das wird ja gemacht, es werden ja große Untersuchungen gemacht, vor allem in der Psychologie und wohl auch in der Pädagogik, große Gruppen untersucht und darauf auf die Allgemeinheit geschlossen.
- Da werden aber die Gruppen meistens beschrieben, also ich kenne nur, dass man dann genau sagt, das ist die und die Gruppe, das ist das und das Bildungsniveau und nicht, dass man eine allgemeine Aussage macht.
- Das, was ich meinte ist, in der Methode steckt sozusagen drin schon, wenn man so einen Test macht, dass man versucht, zum Beispiel Klassen, wenn man viele Klassen untersucht, dass man Klassen aus ländlichen Gebieten, Klassen aus städtischen Gebieten und so weiter nimmt, und das versucht man dann zu verfolgen, welchen Einfluss hat das auf ihre Vorstellung, zum Beispiel auf ihr Verhältnis zum Naturphänomen etwa, wenn die Kinder aus der Stadt oder vom Lande kommen. Und dann meine ich, das ist ja sehr richtig und angemessen. Nur dann sozusagen die Schlussfolgerung, die Hypothese, dass alle die anderen Faktoren jetzt weggemittelt sind, keine Rolle mehr spielen, alle anderen individuellen Faktoren, sozial, alle die jetzt wegberücksichtigt sind, das halte ich für zu gewagt, weil man da individuelle Einflüsse, Klassenstrukturen und so weiter übergeht, wenn man das so annimmt. Aber es ist sicher eine Arbeitshypothese, die man braucht.
- Die Sozialwissenschaften arbeiten ja eigentlich alle so, und die haben sich ja stark an die Naturwissenschaften angelehnt, auch von der Terminologie her, von der gesamten Beobachtungsweise. Es gibt ja nun auch diese Tests, Intelligenztests, wie man die nennt, die in den Schulen immer noch angewendet werden, beispielsweise um zu entscheiden, ob irgendein Kind auf eine Sonderschule muss. Da ist ein wichtiges Kriterium, immer noch. Und nach den Erfahrungen, die nicht ich gemacht habe, meine Frau, die ist Sonderschullehrerin, die testet aber sehr oft Kinder, ist das so, dass diese Tests gar nicht so abwegige Ergebnisse liefern. Man kann nicht einfach sagen, da werden jetzt Grenzüberschreitungen ungeheuren Ausmaßes vorgenommen, sondern die Ergebnisse, die stimmen mit dem sehr oft überein, was man zunächst als Lehrer selbst empfindet, wie man das Kind einschätzt, aber auch mit dem zukünftigen Lebensschicksal. Da kann man natürlich die Frage stellen, ob das nicht dadurch vorbestimmt ist.
- Also meine Frau beispielsweise, die hat an Schulen gearbeitet, da war es auch so, die Firmen, die ja auch mit den Schülern bestimmte Tests machen, wenn die da eingestellt werden sollen, die haben tatsächlich einen ganz ausgezeichneten Selektionsapparat aufgebaut um wirklich die Schüler herauszupicken, die ihnen dann nachher, die auch in der Schule dann nachher über die Zeit hinweg sich als besonders gut und besonders leistungsfähig und besonders zielgerichtet erwiesen haben, und die machen das sehr schnell und sehr gründlich. Aber das ist natürlich fragwürdig, solch eine Methode, gerade wenn sie so gut greift, da anzuwenden, um dann Menschen auszuwählen.
- Ja, weil es dann auch die Menschen reduziert auf ihre Funktionsfähigkeit als Lehrling, als Arbeitnehmer, als Schüler. Der Sonderschüler wird in seiner Funktionsfähigkeit als Schüler, als Sonderschüler getestet in dem Fall. Das heißt: Wie stellt er sich den Anforderungen von Schule?
- Aber das spricht nicht gegen die Methode, das spricht gegen das, was wir damit machen.
- Gegen die Anwendung.
- Gut, dann ist die Frage, welchen Stellenwert hat sie dann als Methode?

# Es spricht dagegen, dass man nicht den Präzisionsfall hat. In der Physik muss es doch genau stimmen. Da können doch all diese Einwendungen, die man hier machen kann, obwohl es einen Wert hat, die kann man doch gar nicht machen.

* Innerhalb der Physik?
- Hmm.
- Ich denke, was man sehr gut sehen kann, ist vielleicht, dass man das Wesentliche in der Erziehungswissenschaft und in der Psychologie auch erfahren kann letztlich nur durch Kasuistik, indem man nämlich einzelne Fälle nimmt, einzelne Menschen nimmt und dann diese Menschen in ihrem Lebensweg verfolgt und ganz genau diese Einflüsse bei ihnen die ganz individuellen, speziellen Strukturen, die sich bei ihnen gebildet haben, versucht zu erschließen und zu beschreiben. Nur so wird man den Menschen wenigstens annähernd gerecht, wenn man das versucht. Aber gerade dieses Verfahren ist ja in der Physik völlig unsinnig. Wenn ich einen Stein jetzt nehme und diesen einzelnen Stein in seiner Form und seinen Einflüssen betrachte, die er erlebt hat, dann ist das für die Physik eine völlig uninteressante Fragestellung, weil die sich eben für das Material schlechthin interessiert und Eigenschaften dieses Materials, aber nicht für diesen speziellen Stein, den ich da habe, wenn der besonders schön geformt ist, und sich so gerieben hat, dass da Interessantes dabei herauskommt. Und gerade bei Individuen würde ich sagen, ist das eigentlich der Hauptgegenstand, zu sehen, welche Entwicklungsgeschichte jemand durchlaufen hat.
- Ja, gut, dann wäre das aber keine Wissenschaft, die man mit Menschen oder an Menschen betreiben könnte. Die Wissenschaft will ja immer allgemeine Aussagen machen. Man kann keine Wissenschaft betreiben, indem man sagt: "Ich kann überhaupt keine Aussage machen, ich muss da jetzt diesen einzelnen Menschen genau ansehen, dann wird sich irgendetwas herausstellen."
- Also ich glaube, ganz so ist es auch nicht. Die Frage ist: kann man zu einem guten Menschenkenner werden, wenn man einen Menschen gut kennt? Ich könnte mir denken, dass man einen Menschen in all seinen Regungen sehr genau kennt. Dass er aufgrund der Vielfalt, die er in sich trägt, bei den verschiedenen Antrieben und Motiven und so weiter, dass man da auch ein sehr guter Menschenkenner werden kann und deshalb in dem Sinne beinahe schon exemplarisch dann, wenn man einen Menschen ganz gründlich genau kennt, sehr viel erfahren kann über viele andere Menschen. Aber man wird dann nie versuchen, das sozusagen anzuwenden, pauschal denen überzustülpen, sondern man hat einfach eine Sensibilität für das Individuum.
- Ja, ich würde versuchen, das anders zu formulieren oder auf eine andere Ebene zu bringen oder einen anderen Bereich anzudeuten. Also Kant hat ja den Begriff `praktische Philosophie' geprägt. Praktische Philosophie ist das menschliche Handeln in der Gemeinschaft oder: Wie verhalte ich mich als Mensch in einer Gemeinschaft? Und ich glaube, dass der Bereich der praktischen Philosophie etwas ist, was von der Physik grundsätzlich nicht bedient werden kann. Also da könnte man schon einmal einen Bereich nennen, der mit Sicherheit auszugrenzen ist.

# Was ist denn praktische Philosophie?

* Ich habe es eben versucht zu beschreiben.
- Das ist also der Bereich des menschlichen Handelns in einer menschlichen Gemeinschaft. Wenn ich mich als Mensch verhalte, wie man heutzutage so schön sagt, also als Politiker zum Beispiel entscheide ich mich für etwas Bestimmtes, für ein ganz bestimmtes Vorgehen. Oder als Vater oder als Mutter, oder als Lehrer, wenn ich mich pädagogisch verhalte. Alles das, was man mit Ethik bezeichnet. Das ist also etwas, das jenseits der Physik ist, mit Sicherheit.

# Und die Noten? Die Zeugnisnoten? Das Abitur, nullkomma außerhalb der Physik.

* Ja, ja.

# Da es sie aber als Physik gibt...

* Als Tabelle gibt es die. Ja, das ist festgesetzt. Das ist nicht von Physikern festgesetzt sondern von Politikern. Das sind doch die Leute, die ich eben schon ausgegrenzt habe.
- Weil sie mit Ethik zu tun haben!

# Also gibt es nichts schlimmeres als den Lehrer, der daran glaubt, an das was er tut.

* Also das scheint mir das wesentlich schwierigere Problem zu sein.
- Das ist wieder die Sache mit der Information. Jede Note ist eine Information, aber die Frage ist, was die Information für eine Bedeutung hat, wenn ich das sehe, was sie für mich für eine Bedeutung hat.

# Die sieht so glatt aus wie ein Kieselstein.

* Deswegen, das ist ja eigentlich das Verführerische. Man kann damit, im Sinne der Informationstheorie, man kann damit arbeiten. Mit der als Datum kann man alles Mögliche machen, man kann die sogar zusammenzählen und kann dann irgendwelche Mittelwerte ausrechnen...
- Ein Profil erstellen.
- ...kann das auf drei Stellen hinter dem Komma ausrechnen und hat dann eine Information, eine andere unter Umständen als wenn man man als dritte Stelle hinter dem Komma eine andere Zahl herausbekommt. Die Frage ist: Was bedeutet das jetzt in einem anderen Sinne als Information, bezogen auf den Lehrer, den Empfänger?
- Also das ist ja auch der Sinn, warum die Note so gemacht worden ist. Das werde ich nie vergessen. Ich war einmal im Landtag und dort haben wir mit den Fraktionsvorsitzenden gesprochen, damals ging es darum, dass das Kurssystem auch auf die Abendgymnasien übertragen werden sollte und da hat die Frau Engel, das war die Sprecherin der FDP seinerzeit gesagt: "Wir wissen ja ohnehin, dass das alles Unsinn ist, was wir da machen. Aber wir müssen diese Noten so in dieser Form haben, weil dieser Computer in Dortmund die nur so verarbeiten kann". Kommt einem sarkastisch vor.
- Ist grotesk, aber es stimmt.
- Schwarzer Humor.
- Aber ich habe immer noch mehr Probleme mit den Lehrern, die wirklich dran glauben, dies wäre ein objektives Maß. Die also gerade bei den Mathematikern und Naturwissenschaftlern weit verbreitet ist, der Glaube an die Note. "Wir haben zum Glück" hat mir einmal ein Kollege gesagt. "wir haben zum Glück noch objektive Maßstäbe."

# Wenn man daran glaubt, an die Noten, die man gibt. Man kann sie ja geben, aber braucht nicht zu glauben.

* Und dann findet eine Grenzüberschreitung auch in diesem Moment statt, wenn ein solcher Lehrer sich mit diesem Verständnis hingibt und seine Noten dann alle einzeln eingibt, sich dann noch des Mediums Computer bedient, und dann alle mündlichen Einzelnoten, die er im Laufe eines Schuljahres gibt, eingibt und daraus einen Ausdruck machen lässt für seine Schüler, sich also auch noch dieser Institution Computer bedient und dann so wagt zu sagen, da kann doch wohl keine Frage mehr dahinter stecken, ob das nun die richtige Note oder die falsche Note ist. Das ist jetzt wirklich eine objektive Note. - Dann begeht er aber nur einen Fehler. Dass er sich als Mensch in die Notengebung ausklammert. Ich meine, dass der Computerausdruck richtig ist, ok, die Noten, die er eingegeben hat, stimmen auch. Das möchte ich in keiner Weise anzweifeln. Nur sich selbst stellt er in dem Moment nicht in Frage, indem er die Note gibt.
- Richtig, er nimmt sich aus dem Streit heraus.
- Mir geht es darum, was gibt das für ein Bild rückwärts für Schüler, zum Beispiel von Computern, von Naturwissenschaft oder Mathematik als objektiver Vorgehensweise, die da beschreiben kann, was ist und was nicht ist?
- Das ist ja die Verführung der Wissenschaft immer, dass man denkt, wenn man Zahlen hat, hat man Fakten und wenn man die hat, hat man meistens das, was eigentlich die qualitative Grundlage bildet für das Ganze. Also wenn so ein Lehrer eine Note vertauscht und statt einer Zwei hat einer eine Fünf da stehen, das passiert da ohne weiteres. Wenn er aber für jeden eine Beurteilung schreibt, individuell auf diese Person zugeschnitten, und die vielleicht eine Seite lang ist und wo er ganz genau innerlich sich fragen muss: Wie hat sich dieser Schüler in welchen Situationen verhalten, was sind seine Probleme, wenn er so etwas schreiben müsste, dann würde es ihm bestimmt nicht passieren, dass er irgendwelche Beurteilungen durcheinander schmeißt.
- Man muss aber auch sehen, dass die Gesellschaft den Lehrer dazu gezwungen hat, ja sich juristisch abzusichern und das ist das letzten Endes so ein Computer. Ich kann mich entsinnen, wir hatten einen Lehrer in meiner Schulzeit, und der hat gesagt, als es um die Noten ging: "Die Schule ist dafür da, auf die Ungerechtigkeiten des Lebens vorzubereiten." Das könnte heute kein Lehrer mehr sagen, der würde vor Gericht kommen, da bin ich ganz sicher. Es gibt eben mittlerweile soviele Überwachungsinstanzen für Lehrer und das Verhalten von Lehrern. Was da nur noch zählt, dass da jemand irgendetwas Objektives hat. Und objektiv, das sind beispielsweise Aufzeichnungen im Notenbuch oder vom Computer ausgedruckt. Das ist unanfechtbar, alles andere wird mittlerweile schon in Frage gestellt. Und darum verhalten sich die Lehrer auch so. - Gut, aber dann ist für mich die Frage: Warum wird so jemand Lehrer? Das wusste er auch vorher schon, er war ja lange genug Schüler, bevor er Lehrer wurde. Warum stellt sich einer als Lehrer zur Verfügung, um sich in dieses System einbauen zu lassen?
- Deswegen werden sie doch Mathematiklehrer, da sieht man doch, ob die Ergebnisse stimmen und nicht Deutschlehrer, über den Aufsatz kann man doch streiten.
- Das ist die entscheidende Frage: Sollte man sich hier von vorneherein ausklammern und sagen: entweder-oder; entweder ich gehe in das System hinein und mache das vollkommen mit oder kann man nicht auch seine Aufgabe darin sehen, jetzt zu versuchen, innerhalb des Systems etwas zu ändern?
(Diskussion gekürzt, zum Teil unverständlich)
- Man sollte jetzt nicht diese Pauschalbeurteilung auch so auf Lehrkräfte ausdehnen und einen Lehrkörper jetzt so hinstellen, sondern man selbst, wenn man Interesse daran hat zu unterrichten, dann ist man einerseits natürlich gezwungen, die Noten zu geben, man ist in diesem Schulsystem. Aber zum anderen glaube ich, sind wir jetzt auch hier, um doch gerade in Naturwissenschaften den Physikunterricht etwas anders zu gestalten und vielleicht die Schüler spüren zu lassen, dass Physikunterricht auch etwas anderes bedeuten kann. - Das ist überhaupt das Problem, dass es nicht nur um die Lehrer geht, sondern wie die Noten von anderen Leuten beurteilt werden, insbesondere von den Eltern.
- Die Eltern legen großen Wert darauf, weil davon die Zukunftsaussichten abhängen.
- Und damit ist es ein gesamtgesellschaftliches Problem.
- Was ich interessant fände, wäre zu sehen, wieweit exemplarisches sokratisches genetisches Lehren möglich ist unter den Bedingungen dieses Notendrucks. Denn das ist ja, man kann davon ausgehen und Prinzipien aufzeigen, inwiefern das diametral entgegensteht.
- Und zur Ausgangsfrage zurück heißt dann, die physikalischen Methoden sind dann nur innerhalb der Physik anwendbar. Davon gingen wir ja aus, wieweit wir die physikalischen Arbeitsmethoden übertragen können oder nicht, und dann kommen wir zurück, dass wir die nur streng in der Physik anwenden können; wenn wir sie woanders anwenden wollen, uns klar sein müssen, unter ganz bestimmten Vorbehalten und jedes mal überprüfen. Man kann sie anwenden, aber sie sind dann nicht so fassend wie innerhalb der Physik. - Schlimmstenfalls sind sie sogar uninteressant.
- Ich finde, man kann sagen: Man muss sich immer der Eigenarten seines Gegenstandsbereichs völlig bewusst bleiben. Das passiert ja bei dem Lehrer, der da meint, er hat objektive Daten, das passiert da nicht. Der vergißt seinen Gegenstandsbereich und hält sich an Zahlen.
- Da können wir noch zu einem anderen Punkt übergehen. Ich habe also jahrelang gedacht, das wäre die naturwissenschaftliche Unterrichtsweise, indem wir also experimentieren oder unsere Schüler experimentieren lassen. Das ist ja nun wirklich nicht mehr das Experiment, schon zumindest nicht mehr das Experiment, wie die Physik vorgeht. Ich habe Ihnen ja gesagt, am Beispiel von diesen Fallversuchen, dass wir in der Schule einen Versuch machen und dann ist das so. Ein Beweis, einmal durchgeführt, dann kommt das heraus, ok, selbstformuliert, an die Tafel geschrieben, ins Heft geschrieben, das Gesetz ist da. Das ist ja noch nicht einmal eine böse Realität, wenn sie etwas gemacht haben im Sinne von Arbeitsteilung. Was wir damit vermitteln ist eine ungeheuer einfache Vorstellung von dem, wie Naturwissenschaften funktionieren. Ich mache die Bedingungen, baue das entsprechende Gerät, dann kommt das richtig heraus. Was für eine Vorstellung von Physik und Naturwissenschaften bilden wir denn damit in den Köpfen unserer Kinder? Man muss das ja nur machen, das weiß ja meistens der Lehrer, wie das geht, und in der Natur weiß das der Physikprofessor, wie das geht, und der sagt dann: So und so muss der Versuch angelegt werden. Und dann wird das gemacht, und dann weiß der ja auch, was herauskommt, weil in der Schule, der Physiklehrer wusste auch immer, was herauskommen soll.
- Ist aber nicht immer alles herausgekommen.
- Aber der konnte zumindest erklären, was hätte herauskommen sollen, der wusste das. Und so ein Bild verlängern wir an der Stelle.
- Oder es wird ein bisschen getrickst.
- Das geht immer.
- Ich habe so mit diesen Nebeneffekten meine Hauptprobleme. Welche Nebeneffekte produzieren wir eigentlich mit dem Physikunterricht?

# Es ist höchste Zeit, nicht? * Ja.

- Ich wollte gerade noch etwas ergänzen, Herr Wagenschein. Ich hatte von Ihnen ja diese Reproduktion bekommen. Ich habe das nochmal fotokopiert, das war für mich so ein Schlüsselerlebnis. Beispiel. Dieses Blatt ist von den Fallversuchen in Freiberg, um nachzuweisen, ob sich die Erde dreht und wie man das nachweisen könnte. Und das ist also das Versuchsergebnis quasi. In Originalgröße, das bei dem Experiment zugrunde gelegt worden ist und da ist mir das bewusst geworden mit unserem Physikunterricht. Wenn ich jetzt sage, ich mache in der Schule einen Versuch, der das beweisen soll, das geht natürlich so nicht, aber jetzt einmal als Beispiel. Und dann müsste herauskommen: Im Osten um so und so viel schlägt das Ding auf. Aber wenn man das betrachtet, sieht man nur: Die Wahrscheinlichkeit, wo das nun aufkommt, ist ja nun sehr offen. Und das finde ich... - Das ist der Punkt?
- Das ist der berechnete Punkt.

# Ja, so kommen physikalische Ergebnisse heraus, typisch.

* Der ist dann noch nicht einmal richtig.
- Das ist noch nicht einmal der Mittelwert.

# Mittelwerte!

* Ja, und hat das experimentell einmal geklappt hier?
- Ja, die Näherung war ja schon ganz gut. Das ist ausgerechnet.
- Man hat das genau bei dem Kreus fallengelassen hier?
- Ja, und zwar 160 Meter Höhe und das ist die Originalgröße.
- Das sieht man doch deutlich!
- Wir haben es ausgerechnet, 27,3 ± 4
- Aber die Wirklichkeit sieht meistens so aus, wenn man zum Beispiel die Elementarladung misst, das gibt es ja auch, diese Geräte...
- Aber selbst bei entsprechender Eingrenzung aller Bedingungen kommt es so klar nicht heraus. Und mit dem verkürzten Bild der Naturwissenschaften gehen die Schüler in die Gesellschaft. Und das ist für mich so etwas. Wie kann sich denn eigentlich so ein Image von Naturwissenschaften halten wennse denn so in der Krimmel suche, nee. Also wenn sie so lange suchen müssen, um dann zu einem vielleicht durchaus zweifelhaften Ergebnis zu kommen.
- Wenn man den Versuch heute machen würde, wäre es doch sicher viel besser mit den modernen Messmethoden.
- Die haben sich schon Gedanken gemacht. Die haben Bleikugeln in heißes Wasser gelegt und haben die dann abgetrocknet, und wenn sie abgekühlt waren, fielen sie dann alleine durch so einen Ring durch, damit also keine Auslösefehler und so etwas auftreten. Also ganz pfiffige Sachen. - Wir würden das sicher nur noch auf dem Bildschirm zeigen.
- Inzwischen richtet sich die Natur etwas besser danach.
- Da gibt es doch sicher eine Computersimulation.
- Wozu überhaupt Natur? (Gelächter quer durch)
- Also so ungenau sind die Ergebnisse auch nicht!
- Also ich bringe das nächste Mal noch Fotokopien mit.

# Auf Wiedersehen.